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„Neue Reproduktionstechniken könnten einen großen Schritt für den Feminismus bedeuten“
Archiv - Wissenschaft und Forschung
Donnerstag, 7. September 2006
ImageCarl Djerassi: „Die Politik hat zu wenig Interesse am Dialog mit den Wissenschaften."

Carl Djerassi, geboren 1923 in Wien, Chemiker, der sich selbst als die „Mutter der Pille“ bezeichnet, ist seit einigen Jahren auch als Schriftsteller tätig. Anlässlich der Aufführung seines Theaterstückes „Taboo“ (unter dem Titel „Reproduktion“ aufgeführt vom Theater im Bahnhof) kam er am 7. Juli nach Graz. Johanna Muckenhuber führte mit ihm für KORSO das nachstehende Interview über Chancen und Folgen moderner Reproduktionstechnologien.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Theaterstücke über Reproduktionstechniken zu schreiben?
Ich muss zugegeben, auch wenn das heute nicht mehr in Mode ist, ich habe stark didaktische Motive. Die meisten Theaterstücke haben nichts Interessantes über die Wissenschaft und die Technik zu sagen. Ich wollte die Sprache der Wissenschaft übersetzen, so dass auch andere Menschen sie verstehen können. Deshalb habe ich begonnen, die ersten Theaterstücke zu schreiben. Ich schreibe eine Geschichte, von der man wichtige Dinge über die Technik lernen kann.

Wie gehen Sie dabei mit dem Problem um, dass sich Wissenschaft und Fiktion vermischen – könnte es nicht passieren, dass die Leute, die die Stücke rezipieren, die beiden Aspekte nicht mehr auseinander halten können?
Das ist eine wichtige Frage. Um das zu vermeiden, habe ich eine neue Art von Text entwickelt. Science in fiction, unterschieden von „science fiction“. Alles, was in meinen Texten über die Technik und die Wissenschaft steht, stimmt, da gibt es kein Problem, dass ein falscher Eindruck vermittelt werden könnte. Bei meinem letzten Stück steht aber nicht mehr die Technik im Vordergrund. Ich wollte jetzt ein Stück über die komplizierten sozialen und emotionalen Aspekte der Reproduktionsmedizin schreiben. Diese Technologie hat ja Auswirkungen. Sie kann ganze Familiengefüge durcheinander würfeln. Und darum geht es in meinem neuen Theaterstück „taboo“. Die Reproduktionsmedizin verändert die Bedeutungen von Worten, Grautöne entstehen. Was bedeuten unter diesen neuen Voraussetzungen die Begriffe Familie. Heirat, Eltern, Baby, Zwillinge …

Sie sprechen von komplexen Emotionen und psychosozialen Folgen der Reproduktionstechniken. Denken Sie, dass Sie als Chemiker dafür kompetent sind? Wo bleiben bei dieser Abschätzung der Folgen die Philosophie, die Psychologie, die Sozialwissenschaften?
Da haben Sie natürlich Recht, dass diese Wissenschaften ganz stark mit den Natur- und Biowissenschaften zusammenarbeiten sollten. Das tun sie auch. Aber natürlich viel zu wenig. Das Problem ist, dass alle so viel zu arbeiten haben. Und wenn ein junger Wissenschaftler schon 80 Stunden in der Woche arbeitet, dann kann ich verstehen, dass er nicht noch eine 81. Stunde darauf verwenden möchte, über das was er tut mit anderen zu reden. Und dann gibt es ja auch noch das Problem, dass gerade die Politik viel zu wenig Interesse daran hat, mit den Wissenschaftlern zu reden und zu verstehen, welche neuen Herausforderungen da auf die ganze Gesellschaft zukommen.

Sie sprechen sich dafür aus, dass Frauen viel später Kinder bekommen können. Aber wie sinnvoll ist es, wenn 65-jährige Frauen – wie jüngst gemeldet – noch Kinder bekommen? Das hat doch schwer wiegende soziale Folgen.
Ich spreche ja nicht von 65-jährigen Frauen. Sehen Sie, eine Frau mit 35 Jahren hat bereits 95% ihrer Eier verloren. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau in der späten 30ern oder frühen 40ern noch Kinder bekommt, ist sehr gering. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind gesund ist, wird auch immer geringer. Wenn es möglich wird, die biologische Uhr um 10 Jahre zu verschieben, dann hätten wir für eine 40-Jährige die gesunden Eier einer 25- bis 30-jährigen Frau, das wäre wunderbar. Es gibt ja immer mehr Frauen, die wollen, ganz zu Recht, auch Karriere machen. Aber das geht eben nur zwischen 20 und 40 Jahren. Männer können ja immer zuerst Karriere machen und dann erst Kinder zeugen. Für Frauen geht das nicht. Aber die Wissenschaft will ihnen das ermöglichen. Die Reproduktionstechniken können einen großen Schritt für den Feminismus bedeuten. Die Frauen können so den Männern gleichgestellt werden, zuerst Karriere machen und dann mit Mitte 40 in Ruhe ihre Kinder bekommen.

Sehen Sie eine Gefahr darin, dass die Reproduktionstechnologien zu einem Reproduktionszwang führen und die Möglichkeit zur Reproduktionsverweigerung einschränken könnten?
Nein, die Technik bietet ja nur die Möglichkeiten. Was dann damit passiert und wie die Gesellschaft damit umgeht, ist eine Frage der Politik. Die Gesellschaft muss sich damit auseinander setzen und darüber diskutieren, wie sie mit diesen neuen Möglichkeiten umgeht. Aber es geht hier auch um Chancen. Es gibt so viele Menschen, die gerne Kinder hätten, denen diese aber verwehrt bleiben, da geht es auch um lesbische Paare. Für die eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Ich denke wirklich, dass jeder liberale Mensch, gerade auch junge Frauen, Feministinnen sehen können, dass diese Technologien großen Möglichkeiten für die Selbstbestimmung der Menschen bringen. Die natürlich breit diskutiert werden müssen. Aber genau deshalb schreibe ich ja meine Theaterstücke.
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