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Vermutungen über eine Sackspinne
Archiv - Wissenschaft und Forschung
Donnerstag, 7. September 2006
Image Was wir über unsere Gesellschaft, ja über unsere Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien (Niklas Luhmann).

Daher wissen wir seit diesem Sommer, dass eine Spinne, die für den Menschen gefährlich, wenn auch nicht lebensgefährlich ist, plötzlich unter uns lebt und beisst. „Das Grauen hat einen Namen: Dornfinger“, vermeldete die Berliner Zeitung am 26. Juli. „Seit Wochenbeginn“ verbreite das Tier „Angst und Schrecken“ in Brandenburg.

Aber schon einen Monat zuvor hatte Cheiracanthium punctorium in Österreich sein erstes Gastspiel gegeben. Zuerst schlug die Spinne gleich zweimal in Oberösterreich zu. Besonders medienwirksam waren spätere Auftritte in Niederösterreich: In einer Polizeiinspektion wurde das Tier gleich nach frischer Tat festgenommen, dass ein anderes Exemplar aus seinem Versteck in einem Bikini de ssen Besitzerin, „die 18-jährige Juli“ insultierte, berichtete die Kronenzeitung Ende Juli. Und dann war da noch der oberösterreichische Gemeindearzt, den die Spinnenattacke während der Gartenarbeit mehrere Tage in den Krankenstand zwang (Oberösterreichische Rundschau).
Dass der Klimawandel und die Erderwärmung den Dornfinger nach Österreich und Deutschland gelockt haben, darüber gab es weitgehend mediale Einigkeit. Warum die Sackspinne zuvor in ihrem angestammten mediterranen Lebensraum hatte wirken können, ohne mediale Aufmerksamkeit zu erregen, wurde nicht debattiert.
Aber sehr wohl, seit wann das Klima in heimischen Gefielden warm genug ist für die vielleicht „giftigste Spinne unserer Fauna“ (Neue Vorarlberger Tageszeitung):
Ein wie immer gut informierter Leserbriefschreiber der Presse hatte vor „ein zwei Jahren“ von Dornfinger-Beobachtungen vernommen.
Vor drei Jahren schon wurde das als aggressiv beschriebene Insekt das erste Mal in Tirol gesehen, berief sich die Neue Vorarlberger Tageszeitung auf eine Innsbrucker Spinnenexpertin.
„Der Dornfinger lebt schon ca. 10 bis 15 Jahre in Österreich“, weiß Heinz Hubmann vom Herpetologischen Zentrum Steiermark auf seiner Website zu berichten.
„Dabei ist der Dornfinger bereits seit dem Rückgang der letzten Eiszeit, also vor rund 12.000 Jahren hierzulande in warme Trockengebiete eingewandert“, ließ der Professor der Niederösterreichischen Nachrichten letztlich alle anderen Hypothesen um Jahrtausende hinter sich.
Und dann wurde es plötzlich wieder still um das Tier. Sicher, zuvor hatte noch ein Wiener Dornfinger-Fänger sein Exemplar dem Tiergarten Schönbrunn gespendet und ein tüchtiger Geschäftsmann bietet heute noch unter der Adresse www.dornfinger.at einen „Spider Catcher“ an. Das große Geschäft wird es aber nicht (gewesen) sein, verzeichnet die Site doch kaum tausend Zugriffe. Jedoch neue Gefahren drohen: Die zitierte Spinnen-Fachfrau aus Tirol deutete in der Neuen Vorarlberger bereits an, sie wisse  „von drei Spinnenarten, deren Bisse ähnliche Auswirkungen wie jene des Dornfingers haben könnten.“ Da kann man nur mehr mit Luhmann fragen: Wie ist es möglich, Informationen über die Welt und über die Gesellschaft als Informationen über die Realität zu akzeptieren, wenn man weiß wie sie produziert wird?

Martin Novak
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