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Archiv - Nachhaltigkeit und Ökoland
Samstag, 8. Juli 2006
ImageDie EU-Ratspräsidentschaft ist vorbei. Die (selbst-)zufriedene Bilanz der österreichischen Bundesregierung: „Guat is gangen, nix is gscheh’n!" Auf Ebene der europäischen Verkehrspolitik gilt wohl nur letzteres.

Seit dem Auslaufen des Transitvertrags und dem Wegfall der Lkw-Beschränkungen durch Ökopunkte 2004 ist der Lkw-Verkehr über die Alpen stark angestiegen. Seine Zunahme zeigt gerade für Österreich die Entkoppelung des Verkehrsaufkommens vom Wirtschaftswachstum: Zwischen 1990 und 2003 ist nach einer Studie des Verkehrsclubs Österreich, so DI Martin Blum vom VCÖ, der „Transportaufwand per Lkw hierzulande um 95 Prozent (in Tonnenkilometern) gewachsen, während die Wirtschaft nur um 28 Prozent zugelegt hat".

Die Chance, endlich wirksame Maßnahmen zu einer Begrenzung des Schwerverkehrs zu setzen, wurde von Seiten der Regierung nicht genutzt. Bis 2020 erwartet die EU-Kommission nach ihrer eigenen Prognose einen Anstieg des gesamten EU-Güterverkehrs um mehr als 50 Prozent gegenüber dem Jahr 2000. Der Straßengüterverkehr soll um 55 Prozent ansteigen, die Luftfracht sich gar mehr als verdoppeln und der Schienengüterverkehr dagegen nur um 13 Prozent zulegen.
Der bisherige Trend setzt sich damit ungebremst fort. Der Kohlendioxidausstoß durch den Verkehr wird sich als Konsequenz ebenfalls weiter erhöhen; seit 1990 hat er bereits um 23 Prozent zugenommen. Man ist damit, freilich ohne es offen zugeben zu wollen, was den Verkehrssektor betrifft, ganz weit weg von den Zielen im Rahmen des Klimaschutzprotokolls von Kyoto. Die Umweltfolgekosten des Verkehrs in der gesamten EU schätzt die EU-Kommission auf 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein Lichtblick im Weißbuch der europäischen Verkehrspolitik offenbart sich höchstens in der Passage, dass für „ökologisch sensible Regionen" – wie die Alpen– empfohlen wird, „Umweltauswirkungen und Staurisiken" in die Maut-Berechnung einzubeziehen. Ob das in der Praxis allerdings eine echte Entlastung in Form von weniger Lkw-Verkehr bringen wird, steht jedoch in den Sternen.

EU verabschiedet sich vom Vorrang der Bahn. Die gesamteuropäische Verkehrspolitik hat sich von ihren bisherigen Lippenbekenntnissen zur Verlagerung des Gütertransportes auf die Schiene inzwischen auch offiziell distanziert. EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot hat im Juni eine überarbeitete Fassung der langfristigen Verkehrsstrategie der EU vorgelegt: In Zukunft sollen dem Weißbuch der europäischen Verkehrspolitik zufolge alle Verkehrsträger, also auch Straße und Flugverkehr, gleichrangig gefördert werden. Das geschieht ausgerechnet unter dem Motto einer effizienteren und damit umweltfreundlicheren Ausrichtung in der Verkehrspolitik. Obwohl im Wortlaut der revidierten Fassung davon die Rede ist, auf „Langstrecken und in Ballungsräumen auf die Verlagerungsstrategie zur Schiene nicht gänzlich verzichten" zu wollen, betont man doch andererseits, dass „die Mobilität auf den übrigen Verkehrssträgern dadurch nicht eingeschränkt" werden darf.
Zusätzlich ist die EU mit der überarbeiteten Verkehrsstrategie von ihrem bisherigen Ziel, die Verkehrsentwicklung von der Wirtschaftsentwicklung gänzlich zu entkoppeln, deutlich abgerückt und will stattdessen nur mehr die negativen Auswirkungen der anschwellenden Mobilität durch verschiedene Maßnahmen abfedern. Barrot bekräftigt diese Position: „Wir wollen auf die Straße keinesfalls verzichten, aber sie soll grüner werden – etwa durch den Einsatz von Biokraftstoffen, Hybridantriebe oder schärfere Abgasnormen."

Teilerfolg EU-Wegekostenrichtlinie? In einer Bilanz des abgelaufenen Halbjahres der österreichischen Ratspräsidentschaft zog EU-Parlamentarier Univ.Prof. Dr. Reinhard Rack (ÖVP) aus seiner Sicht eine äußerst befriedigende Bilanz des Erreichten auf dem Gebiet der EU-Verkehrspolitik: „Ein großer Erfolg ist der endgültige Beschluss der Wegekostenrichtlinie mit Berücksichtigung der sensiblen Gebiete nach über
15-jährigem Dauerstreit. Außerdem konnte unter der österreichischen Präsidentschaft ein Umdenkprozess in der europäischen Verkehrspolitik eingeleitet werden." Weiters wurde das Programm Marco Polo 2 auf den Weg gebracht, das eine Entlastung der Straßen durch Verlagerung von Gütern auf Seekurzstrecken und Binnenschifffahrt anstrebt. Dieses Förderprogramm wurde nunmehr mit dem vierfachen Budget ausgestattet (400 Mio. Euro) und kann auch von kleineren Unternehmen in Anspruch genommen werden.

Die EU-Wegekostenrichtlinie erlaubt zwar grundsätzlich die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen und damit eine Verrechnung der externen Kosten an die Verursacher, aber beinhaltet keine Verpflichtung für die Staaten diese auch umzusetzen. Wie die externen Kosten aber berücksichtigt werden können, will die Kommission erst nach Ausarbeitung eines Berechnungsmodells bis zum Jahr 2008 vorschlagen. Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ), der ebenfalls an den Beratungen des Verkehrsausschusses beteiligt war, ist mit den Ergebnissen nur bedingt zufrieden: „ Man hätte viel mehr herausholen können, aber wichtige Forderungen wurden nicht durchgesetzt, z.B. die Einführung einer Mautuntergrenze." Auf der anderen Seite spricht er sich offen dagegen aus, dass „die heimische Politik Ausreden für ihr Versagen" ständig in Brüssel sucht: „Man hat mehr Spielraum, als man zugibt und könnte sehr viel schärfer mit Kontrollen gegen Verstöße gegen die Verkehrssicherheit vorgehen und auch die Mautflucht, die für viele Orte, wie etwa Neumarkt, zur Bedrohung wird, drastisch unterbinden."

Widerstand von Seiten der Frächter-Lobby. Für die These von der zögerlichen Haltung von Seiten der Politik in dieser Frage spricht auch der Umstand, dass Barrot in seinem neuen Strategiepapier einen genauen Zeitplan für die Berücksichtigung externer Kosten im europäischen Mautsystem schuldig geblieben ist. In einer euphorischen Jubel-Bilanzbroschüre der österreichischen Regierung zum Ratsvorsitz wird die Wegekostenrichtlinie übrigens mit keinem Wort erwähnt.Ein nicht zu unterschätzender Faktor im politischen Entscheidungsprozess ist die Frächter-Lobby. Eines der wiederkehrenden Hauptargumente der Frächter, das etwa auch Regina Friedrich von der Firma Frikus anführt, läuft darauf hinaus, dass eine lokale Mautentscheidung im Alleingang schlecht für den ganzen Industriestandort Österreich wäre: „Beispielsweise könnten etwa die höheren Logistikkosten für den steirischen Autocluster dessen Betreiber zum Abwandern veranlassen."
EU-Parlamentarier Rack macht sich als begeisterter Wirtschafts-europäer für die Interessen der Transporteure stark, denn seiner Meinung nach „sind die Transitstrecken für den freien Warenverkehr unabdingbar" und eine Steuerung der Verkehrsflüsse sollte über strengere Emissionskontrollen erfolgen. Etwas übertriebenen Optimismus legt er bezüglich der Entwicklung von Zukunftstechnologien an den Tag, wenn er glaubt, dass schon in 15 Jahren wasserstoffbetriebene Fahrzeuge den Güterverkehr praktisch emissionsfrei abwickeln können.

Milliardengrab Brennerbasistunnel? Eine Entlastung der Verkehrssituation im Transit durch Österreich soll der rund 64 Kilometer lange Brennerbasistunnel bringen, für den kürzlich der Spatenstich erfolgte und der 2015 fertig gestellt sein soll. WU-Professor Dr. Sebastian Kummer, der soeben eine Studie mit dem Titel „Zur Effizienz von Infrastrukturbauvorhaben am Beispiel des Brenner-Basistunnels" fertig gestellt hat, bezweifelt die betriebswirtschaftliche wie volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Großprojekts; er verweist auf die exorbitanten Kosten, die mitt-lerweile auf bis zu 15 Milliarden Euro geschätzt werden. Skeptisch äußerte sich auch Dr. Wolfgang Roth, Vizepräsident der EU-Investitionsbank, der erklärte, dass das Projekt nur dann einen Sinn habe, wenn der Eisenbahntunnel in die europäischen Netze einbezogen werde, damit die Lkws schon in Rotterdam oder Frankfurt auf die Züge kommen; danach sähe es derzeit aus Gründen mangelnder Koordination und aufgrund der im Bahnverkehr höheren Kosten jedoch nicht aus. Mit dem derzeitigen Mautniveau würde sich der Tunnel nicht rechnen, auf Dauer würden riesige Verluste auf Österreich und Italien zukommen. Werde der Straßenverkehr nicht durch hohe Preise auf die Schiene gezwungen, sei der milliardenschwere Bahntunnel zum wirtschaftlichen Scheitern verurteilt, davon sind auch die Grünen überzeugt.

Kostenwahrheit durch flächendeckende Lkw-Maut. Trotz der Unkenrufe von Seiten der Wirtschaft mehren sich daher die Stimmen derjenigen, die verlangen, dass der Lkw-Verkehr für einen adäquaten Anteil der von ihm verursachten Kosten in der Infrastruktur und für verursachte Schäden an Gesundheit und Umwelt aufkommt. Eine positive Wirkung davon wäre, erklärt Mag. Sylvia Leodolter, Leiterin der Verkehrsabteilung der AK Wien, dass „dadurch mehr Mittel für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und des öffentlichen Verkehrs bereit stünden, was wiederum Arbeitsplätze und ein verbessertes Angebot für Pendler schafft."Die Schätzungen über die externen Kosten schwanken naturgemäß, aber die wissenschaftlich fundierte VCÖ-Studie zeigt, dass der Lkw-Verkehr in Österreich im Vorjahr für den Bau und den Erhalt der Straßen anteilige Kosten von 3,3 Milliarden Euro verursacht hat. Über verkehrsspezifische Abgaben, Steuern und Mauten bezahlte der Lkw-Verkehr lediglich knapp 1,8 Milliarden Euro. „Für den Fehlbetrag von 1,5 Milliarden Euro muss die öffentliche Hand aufkommen, die damit den Schwerverkehr stark subventioniert", kritisiert VCÖ-Experte Blum. Laut deutschem Umweltministerium werden die Straßen durch einen 40-Tonner-Lkw etwa 60.000-mal so stark belastet wie durch einen Pkw. Daraus folgt, dass der Lkw derzeit auf ehemaligen Bundesstraßen nur zu 42 Prozent und auf Landes- und Gemeindestraßen gar nur zu 12 Prozent die Kosten für die Straßenbenützung bezahlt. Immerhin fährt aber jeder dritte Lkw auf Länder- und Gemeindestraßen.

Wenn dazu auch die Kosten für Gesundheits- und Umweltschäden durch Abgase und Lärm sowie die Folgekosten der Verkehrsunfälle einbezogen würden, dann erhöhen sich die Kosten für die Allgemeinheit in Österreich um 2,3 Milliarden Euro. „Damit kostet der Lkw-Verkehr statistisch gesehen jedem Österreicher über 14 Jahre 560 Euro pro Jahr", betont der Vertreter des VCÖ –es gibt wohlgemerkt auch weit höhere Schätzungen, die von 6,6 Milliarden Euro sprechen (INFRAS Institut). Das Verschieben der Kostenberechnung durch die EU-Kommission auf 2008 hält er für eine reine Verzögerungstaktik: „Die entsprechenden Berechnungen liegen längst vor und könnten umgehend für eine flächendeckende Maut eingesetzt werden, was fehlt ist allein der politische Wille."

Keine Mehrkosten für den Konsumenten. An der Arbeiterkammer Wien wurde Anfang Juli eine mit renommierten Fachleuten besetzte Fachtagung zum Thema Ausdehnung der Lkw-Maut auf das gesamte Straßennetz veranstaltet. Sylvia Leodolter fasst die Ergebnisse der Referate prägnant zusammen: „Die flächendeckende Lkw-Maut ist nicht nur verkehrspolitisch sinnvoll, sondern auch technisch möglich und wirtschaftlich kein Problem."

Zweifel hinsichtlich der technischen Machbarkeit entkräftete Telematiker DI Karl Ernst Ambrosch: „Eine flächendeckende Lkw-Maut ist in Österreich unter Verwendung bestehender Infrastruktur technisch möglich." Mag. Reinhold Deußner vom Institut für Raumplanung stellte die volkswirtschaftlichen Auswirkungen dar: „Eine flächendeckende Lkw-Maut darf nicht als Ausrede für Preiserhöhungen herhalten. Die Auswirkungen auf die Konsumentenpreise dürfen mit durchschnittlich 0,14 Prozent kaum spürbar sein — demgegenüber steht eine gesicherte Finanzierung der Infrastruktur und des öffentlichen Verkehrs, das bringt Arbeitsplätze, eine effizientere Nützung vorhandener Lkw-Kapazitäten und weniger Umweltschäden", sagt Deußner. Der Wiener Verkehrsplaner Dr. Max Herry betonte die enorme Kostenlücke bei der Kostenwahrheit. „Der Lkw-Verkehr zahlt nur teilweise für seine Infrastrukturkosten, aber nichts für externe Kosten wie Umwelt, Lärm, Luft, Klimawandel und Unfallfolgekosten. Selbst mit einer moderaten Einbeziehung dieser Kosten müsste man die jetzige Lkw-Maut verdoppeln!"

Modell Schweiz zur Finanzierung der Infrastruktur. Der Schweizer Verkehrspolitik ist es im Gegensatz zu Österreich gelungen, das Wachstum des Lkw-Verkehrs wirksam zu stoppen. Man hat dort im Jahr 2001 eine Lkw — Maut eingeführt, die auf allen Straßen zu bezahlen und mit durchschnittlich 45 Cent deutlich höher als in Österreich ist, bis zum Jahr 2008 steigt die Maut sogar auf 50 Cent pro Kilometer. „Der Lkw — Verkehr in der Schweiz trägt damit zum überwiegenden Teil die von ihm verursachten Kosten", stellt Ueli Balmer vom Schweizer Bundesamt für Raumentwicklung in Bern fest, wobei die Mauthöhe nach Gewicht und Schadstoffausstoß des Lkw gestaffelt ist. Für Österreich halten die Experten es für zweckmäßig, zunächst eine einheitliche Maut von durchschnittlich 22 Cent pro gefahrenen Kilometer auf allen Straßen einzuführen. Wenn die Maut zusätzlich nach Schadstoffausstoß variiert, dann besteht ein Anreiz für Transporteure schadstoffärmere Lkw anzuschaffen. Um die gesamten verursachten Kosten zu decken, müsste die Lkw-Maut
54 Cent pro Kilometer betragen und damit im Bereich der Schweizer Mauthöhe liegen. Die Einnahmen dieser Maut auf Landes- und Gemeindestraßen würden 800 Millionen Euro pro Jahr betragen, der Großteil sollte den Bundesländern und Gemeinden zugute kommen, denn die zusätzlichen Mittel, die durch eine flächendeckende Lkw-Maut eingenommen werden können, werden dringend für den öffentlichen Nahverkehr und den weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur benötigt.

Josef Schiffer
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