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Viva la Muerte! Viva la significacion!
Archiv - Kultur
Donnerstag, 11. Mai 2006
ImageZum Auftakt Frauen auf den unvermeidlichen Plastikstühlen, die Rücken zum Publikum: Eine Versuchsanordnung über Armut und Unwissenheit, Patriarchat und weibliche Unterdrückung? Das reduzierte Orchester von Sandy Lopicic spielt im Licht nackter Straßenlaternen World Music vom Balkan inklusive einiger spanischer (oder kubanischer?) Akkorde flächendeckend für den gesamten macho-mediterranen Bereich.

Der von den Faschisten 1936 ermordete Federico Garcia Lorca hat seine lyrisch-dramatische „Bluthochzeit" einer Zeitungsmeldung nachrecherchiert: Eine Frau ehelicht einen netten Kerl, brennt aber mit ihrer großen Leidenschaft, unguter Tunichtgut und verheiratet, durch.
Und zwar direkt von der Hochzeit weg. Verfolgung, Messerduell, beide Männer tot, als Kollateralschäden hinterbleiben mehrere verpfuschte Frauenleben. Mit solchen faits divers hat später auch Truffaut gearbeitet. Die Inszenierung von Cornelia Crombholz in der harzfrischen Stierkampfarena des Grazer Schauspielhauses orientiert sich allerdings weniger an der Nouvelle Vague als dem beliebten Überwältigungsfilm. Die Regisseuse bringt die spanische Mischung aus Eros und Tod nicht nur in Beziehung zu deutschen Frauen, denen türkische Ehemänner in den Bauch treten, sondern zieht die Linie gleich weiter bis zur Zerstörung des World Trade Center.

Frenesie mit Plastikstühlen. Redet die an sich gute Theresa Affolter als Mutter deshalb weniger mit ihrem Sohn (Dominik Warta) als immer zum Publikum hin über die kleinen Messer, die so große Männer killen? Und benützt sie gegen Ende der Inszenierung deshalb ein rotes Megaphon – 9/11? –, was die Lautstärke unbedingt, die Verstehbarkeit nur bedingt fördert?
Tatsächlich bestehen die Merkmale des Überwältigungsfilmes in unmissverständlichen Bedeutungen, überlebensgroßen Gefühlen und maximaler Lautstärke.
Daher drohnt – droht, dröhnt, thront – Sandy Lopicic mit seinen fünf Kollegen über der Arena und spielt umso feuriger, je stärker die Gefühle unten kochen. Gefühlsaufruhr wird vor allem durch heftiges Im-Kreis-Laufen, wenn es ganz schlimm wird, auch durch ein Von-Planke-zu-Planke-Rennen bis zum bitteren Zusammenbruch dargestellt.
Ein Mann – schön abgerissen Sebastian Reiß als Leonardo – tritt auf, quetscht seine Frau an die Wand und hebt ihr Bein für ein eheliches Quickie. Aha, Machismo ... die Vorgänge, selbst die intimen, denaturieren augenblicklich zum Beleg für eine Bedeutung. Und in Augenblicken frenetischer Lebensfreude werden die Plastikstühle rhythmisch zur Musik über die Köpfe gehoben.

Gelungene Details. Aber wie der Überwältigungsfilm bietet auch die Inszenierung von Cornelia Crombholz neben den Masseneffekten viele wirklich gelungene Details. Das Chillout der Frauen, die ihre Kleider in die Arena werfen, der erste Blick, den die Braut (Martina Stilp) ihrer zukünftigen Schwiegermutter zuwirft, oder der unspektakuläre Brautvater von Franz Solar, der mit Hut und schäbigem Sakko sehr an Sam Peckinpahs genialen Nebendarsteller Burt Young erinnert.
Vor der Katastrophe befreit sich Thomas Kornack von seinem fahlen „Telering – der Speck muss weg -Kostüm" (kein so guter Einfall) und führt als wunderbar dicker Mond in Unterhosen einen surrealen Tanz auf (wunderbarer Einfall). Und Margit Jautz im weißen Tutu wird als Tanzpartnerin zur magischen Wolke.
Dominik Warta schließlich demonstriert, wieder einmal etwas schlapp, dass die EU-Spanier sich leider kaum mehr von den übrigen europäischen Müttersöhnchen unterscheiden. Frau Crombholz hat Lorcas lyrisch-folkloristisches Kleinformat zu einschüchterndem Cinemascope aufgeblasen, das dabei gelegentlich unscharf geworden ist. Wer schon von Fontheims „Lulu" begeistert war, der wird auch von Crombholz „Bluthochzeit" nicht enttäuscht sein.

Wilhelm Hengstler

„Bluthochzeit": noch am 9. und 26. Mai, jeweils 19.30 Uhr im Grazer Schauspielhaus


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