Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Buchrezensionen
Mittwoch, 8. Dezember 2010
Lesen nach PISA | Lernen als Erziehung zur Selbstbefreiung | Zwischen Welschriesling und Klapotetz | Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels | Ein Schloss im Wandel der Zeiten | Ungarn: Demokratie in Gefahr

Sachbücher


    Lesen nach PISA

Eduard Beutner, Ulrike Tanzner (Hrsg.): Lesen. Heute. Perspektiven.
Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag 2010. 260 S., EUR 29,90 (=ide-extra. 15)

In Kürze werden wir es mit der Bekanntgabe der jüngsten PISA-Ergebnisse wieder Schwarz auf Weiß bestätigt bekommen: Mindestens 20% der österreichischen SchülerInnen sind nach Beendigung der Pflichtschulzeit noch immer nicht in der Lage, sinnerfassend zu lesen. Sie verstehen weder einen Fahrplan noch die Anleitung zur Inbetriebnahme der Kaffeemaschine.
Keine Frage: Nach acht Jahren Schule sollte jede/r in der Lage sein, einen Gebrauchstext zu verstehen. Nur: Darf Lese-Unterricht sich darauf beschränken, wie es die OECD vorgibt, die Fertigkeit zu vermitteln, „geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen?“ Das Verstehen literarischer Texte hat in dieser utilitaristischen Definition keinen Platz mehr, fürchtet der Klagenfurter Germanist und Fachdidaktiker Werner Wintersteiner, und folgerichtig fordert der Deutschlehrer Markus Kreuzwieser seine KollegInnen dazu auf, „Mut“ zu zeigen und zumindest in der AHS auch weiterhin „schwierige Texte“ zu lesen.
Beide Artikel finden sich in einem eben erschienenen Tagungsband, der die Beiträge eines Symposiums anlässlich der Emeritierung des Salzburger Germanisten Karlheinz Rossbacher versammelt. Es geht dabei um Perspektiven der Kulturtechnik Lesen in der Epoche des Web 2.0, das völlig neue Haltungen der Informationsaufnahme voraussetzt. Der Band gibt darauf ebenso Antworten wie auf die Frage, worin denn eigentlich die Bedingungen für den „Flow“ bestehen, den Zustand der Entrückung, der sich bei Viellesern regelmäßig einstellt. Und er behandelt die psycholinguistischen Voraussetzungen des Lesens ebenso wie seine sozialen.
Trotz der eingangs zitierten Befunde sind einige AutorInnen übrigens durchaus optimistisch, was die Zukunft des Lesens – über Gebrauchstexte hinaus – betrifft. Als Beweismittel dient ihnen der durch Joanne K. Rowlings Harry-Potter-Romane ausgelöste Leseboom, der auch im historischen Rückblick gesehen kaum seinesgleichen hat. \ cs


    Lernen als Erziehung zur Selbstbefreiung

Robert Reithofer, ISOP (Hg.), Maryam Mohammadi (Fotos): Grenzenlos. Basisbildung zwischen Empowerment und Antidiskriminierung.
Graz: CLIO 2010, 170 S., EUR 10,00 (=CLIO Historische und gesellschaftspolitische Schriften, Band 10)

ISOP und Geschäftsführer Robert Reithofer stehen für Innovative Sozialprojekte, Graz; Empowerment steht für Selbstermächtigung oder Selbstbestimmung, so Reithofer in seinem Aufsatz „Basisbildung als antidiskriminatorische Praxis“. Das vorliegende Buch vereint neun Aufsätze zum Selbstverständnis von ISOP – „Faire Chancen sind essenziell für die Armutsbekämpfung“ von August Gächter, „Lernen verändert Welten“ von Eva Reithofer-Haidacher und Peter Webhofer oder „Elementare Grundbildung als Basis“ von Joachim Hainzl sowie Berichte über die praktische Arbeit, etwa „Die Externe Hauptschule ISOP als Ort des Respekts und gegenseitiger Wertschätzung“ (J. Hainzl) oder über Alphabetisierung und Sprachförderung am Beispiel der Stadt Feldbach von Michael Kern.
Der Band knüpft an jenes Buch an, das Reithofer 2009 (zur steirischen „regionale 2008“) über lokale Herausforderungen durch Migration im internationalen Kontext herausgab, und er erweitert das Thema über die Zuwanderung hinaus. Denn auch bei den hier „Eingeborenen“ gibt es Armut und Bildungsdefizite, wobei der Soziologe Gächter formuliert: „Armut macht fremd“. Auch die Autoren Thomas Wolkinger und Mark Terkessidis kritisieren, dass soziale Probleme – wie der Mangel an Bildung – von der Rechten „ethnisiert“ würden. Wichtig ist vielmehr das gemeinsame Lernen; das Verbreiten von Angst und Unsicherheit in der „Mehrheitsgesellschaft“ wird verurteilt. Das bei uns vorherrschende selektive Schulsystem muss damit aufhören, zur „Vererbung“ von sozialer Ungleichheit beizutragen.
Besonders anschaulich sind die 20 Foto-Porträts mit den authentischen Aussagen der vorgestellten Personen, sei es der Sehbehinderte aus der Steiermark, sei es die 60-jährige Türkin, als positive Beispiele für die Anstrengung, den Hauptschulabschluss oder Deutschkenntnisse zu erlangen. Auch viele Farbfotos aus den Arbeits- und Unterrichtsbereichen von ISOP, alle aus der Kamera von M. Mohammadi, machen den Band „Grenzenlos“ höchst lebendig; zugleich ist die aus dem Iran stammende Fotografin mit ihrer Biographie exemplarisch für das kulturelle Anliegen der hier vorgestellten Texte. Der Band dürfte in keiner Gemeindebücherei unseres Landes fehlen. \ Hedwig Wingler


    Zwischen Welschriesling und Klapotetz

Bernd Schmidt: Die südsteirische Weinstraße. Zwischen Welschriesling und Klapotetz. Eine Geschichte in Bildern und Texten.
Schleinbach: Edition Winkler-Hermaden 2010. 112 S., EUR19,90

Von Ehrenhausen bis Leutschach erstreckt sich die 1955 eröffnete südsteirische Weinstraße, seit wenigen Jahren schließt sie auch Straß und Vogau mit ein; ein Zweig verbindet Gamlitz und mit dem an der Hauptroute liegenden Sulztal. Sie ist zweifellos die Lebensader der steirischen Weinregion, die einen nachhaltigen Wiederaufschwung erlebt hat: Hatte die Anbaufläche nach dem Ersten Weltkrieg noch an die 5000 Hektar betragen, so schrumpfte sie bis 1960 auf 1646 Hektar – um danach bis 2000 wieder auf 4300 Hektar anzuwachsen.
Bei weitem nicht nur solch nüchterne Zahlen finden sich im eben in der Edition Winkler-Hermaden erschienenen Band über die südsteirische Weinstraße – sie würden ja auch dem Thema nicht gerecht. Das reich mit historischen Fotos illustrierte Werk – für den Text zeichnet der ehemalige Steirerkrone-Kulturchef Bernd Schmidt verantwortlich – bietet auch eine Menge an kulturhistorischen Details. Wussten Sie etwa, dass der Begriff „Winzer“ früher einen (meist zu schlechten Bedingungen) angestellten Arbeiter bezeichnete, der in einem bescheidenen Winzerhäuschen wohnte, während sich sein Arbeitgeber stolz Weinbauer nannte?
Eine Besonderheit der Weinstraße liegt darin, dass sie auf gewisse Weise nicht nur eine Ost-West-, sondern auch eine Nord-Süd-Verbindung darstellt: Über zwei Abschnitte von insgesamt 2,2 Kilometer liegt sie als neutrale Straße zwischen Österreich und Slowenien. Sie war zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung somit auch ein Symbol für die Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen zur damaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Wobei die Grenze für die Weinbauern ohnehin nie wirklich „dicht“ war: Doppelbesitz – also Grundstücke auf beiden Seiten der Grenze – gab es zu allen Zeiten, manche Weinbauernfamilien haben einen „österreichischen“ und einen „slowenischen“ Zweig. Familiengeschichten, Gespräche mit RepräsentantInnen verschiedener Generationen der bekannten Winzerdynastien und das schon erwähnte historische Fotomaterial machen auch den besonderen Reiz des Bandes aus. | cs

KORSO verlost in Kooperation mit der Edition Winkler-Hermaden drei Exemplare des Buches beim Kulturquiz unter www.korso.at!


    Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels

Christoph Matulla/Wolfgang Müller: Humus oder Hunger. Landwirtschaft trotz Klimawandel.
Wien-Klosterneuburg: Edition Va Bene 2009.144 S., EUR 21,90


Der Klimawandel lässt sich nicht länger wegdiskutieren: Im ersten Teil des vorliegenden Buches schildert Dr. Christoph Matulla anschaulich die Grundlagen des Klimas und seiner Veränderungen mit den Schwerpunkten Europa und Österreich. Bei der Darstellung möglicher künftiger Klimaentwicklungen werden potenzielle Entwicklungswege und -modelle im kontinentalen Kontext vorgestellt. Des Weiteren werden Methoden aufgezeigt, wie diese Simulationen auf die lokale Skala der Alpenregion Österreichs übersetzbar sind. Dem Landwirt wird so vor Augen geführt, auf ihn zukommen könnte, insbesondere was höhere Temperaturen und abnehmende Niederschläge betrifft.
Der zweite Teil befasst sich mit der landwirtschaftlichen Praxis: DI Wolfgang Müller zeigt am Beispiel des trocken-heißen Klimas des Seewinkels und der dort von ihm erfolgreich praktizierten Bewirtschaftungsform auf, wie eintretende Klimanachteile zumindest teilweise kompensiert werden können. Im Mittelpunkt steht die Verbesserung des „Pflanzenstandortes Boden“ durch ökologische Maßnahmen zur Bodengesundung wie Humusaufbau und Aktivierung des Bodenlebens. Teilweise Extensivierung kombiniert mit sparsamen Düngungsmethoden sind ein alternativer Ausweg, der zugleich wieder eine nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft zu höherem Kurs in einer Welt der brutalen Überproduktion verhelfen könnte. \ js


    Ein Schloss im Wandel der Zeiten

Wolfram Dornik, Rudolf Grasmug, Peter Wiesflecker (Hg.): Projekt Hainfeld. Beiträge zur Geschichte von Schloss Hainfeld, der Familie Hammer-Purgstall und der gesellschaftspolitischen Situation der Südoststeiermark im 19. und 20. Jahrhundert.
Innsbruck/Wien/Bozen: Studien-Verlag 2010. 264 S., EUR 29,90

Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis der im Zuge der „regionale08“ durchgeführten Spurensuche und erschien mit Unterstützung der Kulturabteilung des Landes Steiermark. Die Beiträge sind in zwei große Blöcke gegliedert: Der erste befasst sich mit der Familie Hammer-Purgstall und dem Schloss Hainfeld. Der zweite Schwerpunkt liegt auf der NS-Zeit und ihrer ideologischen Vorgeschichte. Neben einer umfassenden Darstellung der Familiengeschichte werden konkret die Biografien zweier ihrer Mitglieder, des Komponisten Heinrich Hammer-Purgstall (1884-1954) und dessen Frau, der Malerin und Schriftstellerin Clothilde („Cleo“) Hammer-Purgstall (1905-2003), näher beleuchtet als gleichsam paradigmatisch für die ausklingende Welt landadeligen Lebens. Anhand des Kurbades Bad Gleichenberg werden aufkeimende antisemitische Tendenzen dargestellt, während sich ein anderer Beitrag dem Kampf der Kirche mit dem NS-System widmet. Die drei letzten Aufsätze sind den tragischen Ereignissen der letzten Monate des 2. Weltkriegs gewidmet: Einsatz von Zwangsarbeitern für den Bau des Ostwalls, Judenerschießungen sowie die Besatzung durch die Rote Armee. Trotz oder gerade wegen seiner breiten inhaltlichen Fächerung ein äußerst gelungener historischer Sammelband. \ js
    

 
Ungarn: Demokratie in Gefahr


Paul Lendvai: Mein verspieltes Land. Ungarn im Umbruch. Salzburg: Ecowin 2010. 233 S., EUR 23,60

Bei den Wahlen im April 2010 errang die rechtsnationale, populistische FIDESZ unter dem ehemaligen jugendlichen Rebellen gegen die KP-Nomenklatura, Viktor Orbán, die Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament. Dicht hinter der weit abgeschlagenen sozialdemokratischen MSZP landete die rechtsextreme „Jobbik“-Partei an dritter Stelle – wobei die Grenzen zwischen Jobbik und FIDESZ durchlässig sind und sich auch die FIDESZ-Parteiblätter immer wieder aus dem Fundus antisemitischer und vor allem romafeindlicher Hetze bedienen.Innerhalb von zwei Monaten besetzte der eiskalte Macht-Architekt Orbán alle wichtigen Staatsämter mit FIDESZ-Leuten oder Überläufern aus anderen Parteien.
Ost-Experte Paul Lendvai schildert in seinem neuen Buch den Weg unseres östlichen Nachbarlandes von den letzten Jahren des Realsozialismus über die euphorisch begrüßte Wende und die folgende Desillusionierung bis hin zum nationalistischen Sündenfall und schöpft dabei aus seinem reichen Schatz an Begegnungen mit politischen Entscheidungsträgern der höchsten Ebene. Das ist natürlich kurzweilig zu lesen und atmet den Charme der Authentizität; gleichzeitig liegt darin aber auch eine der Schwächen des Buches: Die Geschichte der letzten zwei Jahrzehnte wird vorwiegend aus dem Tun (und Lassen) zentraler Persönlichkeiten erklärt, der/die LeserIn erfährt wenig über gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, die Gründe für die Enttäuschung der Bevölkerung – wie z.B. das selbstherrliche Auftreten des IWF – werden nur gestreift bzw. auf das „Versagen“ der Sozialdemokratie und der Liberalen und die erfolgreiche Hetze rechter Medien reduziert.
Dass sich rechter Fanatismus und Gewaltbereitschaft nun durch den Wahlerfolg der FIDESZ legitimiert sehen, beweisen die Reaktionen, die Lendvais Buch in Ungarn und in gewissen vom rechten Weltbund der Ungarn dominierten Exil-Kreisen hervorgerufen hat: In Zürich gab es heftige Demonstrationen gegen die Präsentation des Buches, in Frankfurt musste eine Buchvorstellung abgesagt werden, weil der Veranstalter sich nach einschlägigen Drohungen nicht mehr in der Lage sah, die Sicherheit des Autors zu gewährleisten. \ cs

» 1 Kommentar
1"DI"
am Montag, 15. August 2011 18:37von Reinprecht karl
Sehr gut, Frage: Wenn ich einen Beitrag bringen will, wie geht das???danke für die Belehrung! mfg.k.r.
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