Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Kultur-Stresstest
Mittwoch, 8. Dezember 2010
KUNSTimKONTEXT von Herbert Nichols-Schweiger Die Grazer Oper, allerdings nur das Bauwerk, ist Eigentum der Stadt Graz. Vielleicht muss die Stadt deshalb nur 45 Prozent des Betriebsabgangs zahlen. Sonst ist von Stolz und Verpflichtung des Besitzers nicht viel zu merken, nicht einmal von den Eigentümervertretern Bürgermeister und Liegenschaftsreferent. Denn die ignorieren einfach die Funktionsfähigkeit des Spitzeninstituts steirischer Kunst für eine – wenn irgend möglich wirtschaftlich profitable – Wiedergutmachung an der vor Jahren versemmelten Thalia-Gestalt. Der Thalia-Komplex, den mehrdeutigen Begriff verdienen sich die städtischen Baubehörden mittlerweile, scheint die Prioritäten der Baubrüderschaft Nagl-Gollenz zu verschieben. Schwer anzunehmen, dass beiden die Bauästhetik drückt. Sie werden auch nicht auf Anhieb daran gedacht haben, dass die Namensgeberin an die Muse der Komödie und idyllischen Poetik erinnert.
Also wird nicht so deutlich, aber doch erkennbar die Theaterleitung angepflaumt, dass sie angeblich noch nicht weiß, welche Kosten die Verdrängung aus ihren Räumen während der Umbauphase verursacht. Geht es doch um die Implantierung eines Fitness-Tempels von europäischen Graden, also dalli-dalli. Wenn dort erst die Muskeln gestärkt und Sehnen gedehnt werden, sollen die damit ausgelösten Synergien (nicht zu glauben: Boutiquen und so) die Stadtkassa ins Klimpern bringen. Unter einem beseitigt ein architektonisches Face Lifting den Schandfleck am Rand der Innenstadt. Und das haben Unesco-Weltkulturerbe- und Altstadtkommission auch schnell begriffen. Und der Bürgermeister besteht einen Kultur-Stresstest… Den davon weniger berührten Menschen wurden die wahren Prioritäten wieder einmal glasklar vor die Augen genebelt.
Nur so nebenbei: der Bürgermeister ist einer der beiden Vorsitzenden des Lenkungsausschusses der Theaterholding und der Liegenschafts-Stadtrat einer der Aufsichtsräte. Die haben mit so kleinen Misslichkeiten einfach nichts zu tun und scheren sich wenig um das Verursacherprinzip. Auf längere Sicht glauben sie wahrscheinlich irgendwie Recht zu behalten: Wegen der Erweiterung und Verbindung des Opernhauses zum Thalia-Komplex wurde Anfang der 1980er Jahre heftig gekämpft. Verschandelung des Solitärbaus und so. Heute fällt das kaum mehr ins Gewicht.

Am vergangenen Wochenende wurde eine wahrscheinlich weltweite Rarität in Graz zelebriert – mit vollem Recht: 50 Jahre lang hat Alfred Kolleritsch mit hunderten AutorInnen (und auch für sie) eine Literaturzeitschrift herausgegeben, an der die meisten Kritiker gescheitert sind, wie immer sie es auch anlegten. Die „manuskripte“ sind – Literaturhauptstadt hin oder her – für die Entwicklung und Repräsentanz der deutschsprachigen Literatur dieser Zeit ganz einfach unverzichtbar und ein mit höchster Anstrengung, Begeisterung und Genie erzeugtes Kulturgut. Nicht nur diese über hundert AutorInnen, auch mindestens ebenso viele VerlegerInnen, LektorInnen und LiteraturkritikerInnen sowie abertausende LeserInnen haben in diesem halben Jahrhundert zuerst an das Gelesene, aber dann immer wieder auch an Graz und die Steiermark gedacht. Und sie haben diesem Land und dieser Stadt auf diese Weise einen Wert zugemessen, den kein anderer Betrieb oder gar Einzelner zu erzeugen imstande wäre.
Bestünde hier nicht so eine eigenartig ignorante Kultur- und Wirtschaftsauffassung, dass Kreativität weitaus weniger verdient als jene, die daraus ein Geschäft machen, also die AutorInnen der „manuskripte“ bis heute kein Honorar bekommen, dann wäre im Literaturhaus und im Schauspielhaus der Adabeis kein Ende gewesen. Dann wäre von Wirtschaftsleistung und Arbeitsplätzen geplafft worden. So waren es AutorInnen und viele weitere Menschen, die das Lesen auch heute noch zu einem Erlebnis machen und nicht nur zu einem Zeitvertreib (sic!).
Zum x-ten Male: Wenn diese mitteleuropäische Gesellschaft sich wirklich weltweit einen Vorsprung in der Arbeits- und Lebenswelt erhalten will (und das muss ihr vorderstes Ziel sein), dann muss diesen Außergewöhnlichkeiten Platz im tagtäglichen Leben verschafft werden – im Verein mit Bildung, Wissenschaft und Forschung. Kunst ist auch begriffslose Erkenntnis.
Kürzlich schrieb der (en suite!) vier- oder fünfmal prämierte österreichische Kulturjournalist in der Kleinen Zeitung: „Das Traurige an unseren gegenwärtigen Führungskräften ist ja nicht, dass sie mit Kunst nichts am Hut haben.“ Frido Hütter scheint das Hoffen noch nicht aufgegeben zu haben. An den Gemeinten in der Wirtschaft, bei den Behörden und in der Politik ist das nämlich ganz selten zu erkennen. Kann schon sein, dass sie gerne wollten, aber einfach nicht die Kraft und Zeit dazu finden. Nur: sie sind die einzigen, die das auch ändern könnten! Aber bekanntlich haben nicht einmal die Bank-Stresstests das gehalten, was von ihnen erwartet wurde…

Sie erreichen den Autor unter: nichols@mur.at.
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