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Lug und Krug |
Mittwoch, 8. Dezember 2010 | |
„Der Fall Dorfrichter Adam“ am Schauspielhaus Graz
Selten wurde die Probebühne am Grazer Schauspielhaus ihrem Namen so gerecht. „Der Fall Dorfrichter Adam“ zeigt den Sprechtrainer Michael Jackenkroll und den Schauspieler Gustav Koenigs bei der Erarbeitung einer Szene aus Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“. Immer wieder gehen die beiden einen Dialog des neugierigen Gerichtsdieners und des arg zerschrammten Richters durch, mit ständig wechselnden Betonungen und am Ende gar in eine wüste Rauferei verstrickt. Am Beginn stellen sich Sprechausbildner und Schauspieler erst einmal dem Publikum vor. Die eigenen Lebensgeschichten werden im Laufe des Abends allerdings variiert. Zu Beginn fällt das noch gar nicht auf, erst als Jackenkroll vom Tod seiner Frau im Bosnien-Krieg erzählt, werden Fälschung und Manipulation erkennbar. Der Schweizer Regisseur Boris Nikitin zeigt mit dem „Fall Dorfrichter Adam“ Kleists Thematik von Lügen und Betrügen im Minikosmos einer Bühne detail- und variantenreich. Nicht nur vor Gericht gilt seit jeher: Wer überzeugender die Unwahrheit sagt, hat oft das bessere Ende für sich. Auch das Wesen des Schauspielers als Darsteller fremder Biografien ist letztlich ein Fake und nur wer ganz in die Rolle schlüpft, kann das Publikum für die Dauer des Stücks vergessen lassen, dass es sich hier um Fiktion handelt. Michael Jackenkroll als schlaftrunkener Passagier in der U-Bahn und Gustav Koenigs als brüllender Eisbär geben einen minimalistischen, durchaus nicht unkomischen Einblick in die Techniken der Schauspielerei, zeigen aber auch die Grenzen der darstellerischen Möglichkeiten. Das Scheitern an der Lüge ist schon bei Kleist systemimmanent. Der Dorfrichter muss am Ende fliehen, um seiner gerechten Strafe zu entgehen. Die beiden Akteure auf der Probebühne lassen sich selbst in ihren Geschichten wiederholt scheitern und beginnen in der Folge Spekulationen über den anderen anzustellen, um von der eigenen Lage abzulenken. Das Publikum wird zunehmend verwirrter: Was ist real und was wird an den Haaren herbeigezogen? Der Beitrag des Grazer Schauspielhauses zum Kleist-Jahr, das 2011 an den Freitod des Autors vor zweihundert Jahren erinnern wird, ist originell und vermittelt interessante Einsichten in Kleists Botschaft. Wie man durch geschickte Intonation, durch Musik und durch Gesten die Wahrnehmung manipulieren kann, hat man selten so deutlich auf der Bühne gesehen. Der Krug landet am Ende auch noch an der Wand, die Scherben verfehlen das Publikum in der ersten Reihe nur knapp. Ein sehenswertes Experiment. | Wolfgang Kühnelt „Der Fall Dorfrichter Adam“, noch zu sehen am 9. und 21. Dezember 2010 sowie am 9., 16. und 24. Jänner 2011. Informationen unter www.buehnen-graz.com
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