Kopfzeile von Martin Novak
Diese Kolumne ist ein Auslaufmodell. Wie die Zeitschrift, in der sie erscheint. Beide sind textlastig. Textlastig, das ist ein schlimmer Vorwurf. Überhaupt lastig. Man darf rechts oder links sein. Will man aber jemandem listig seine politische Gesinnung vorwerfen, nennt man den Betreffenden links- oder rechtslastig. Einem Text kann man schwerlich vorwerfen, dass er ein Text ist. Wirft man aber dem Medium, das ihn publiziert, vor, es sei textlastig, klingt das lästig. Es klingt nach schier unbewältigbarer Lesearbeit. Sogar in einer Buchrezension habe ich den Vorwurf der Textlastigkeit schon gelesen. Ein Buch, das kein Bildband und keine Graphic Novel ist, tut sich aber – seien wir uns ehrlich – sehr schwer, nicht textlastig zu sein. Das kann man keinem Buch vorwerfen, nur dem System Buch.
Textlastigkeit, so der im Epilog geäußerte Verdacht der Redaktion, habe kürzlich zur Einstellung einer kleinen Parteizeitung der Grünen namens Planet nach 63 Ausgaben wesentlich beigetragen. Ich glaube ja, dass der Vorwurf der Textlastigkeit zumeist ein vorgeschobener ist. Das Internet, das textlastigen Zeitschriften das Wasser abgräbt, ist selbst ja auch ziemlich textlastig. Eine Google-Suche bringt praktisch nur Text zum Vorschein (und zwei Links, hinter denen sich Bilder und Videos verbergen). Facebook ist schon auch eine riesige Bilddatenbank, das Standarderscheinungsbild zeigt aber weitgehend Text. Twitter: praktisch nur Text. Und Links, die zumeist wieder auf Text verweisen.
Der deutsche Journalist und Star-Blogger Richard Gutjahr hat in einem standard.at-Interview gemeint, was er am Netz so schätze, seien „keine Deadline, keine Zeilenvorgaben, keine Sendelängen“. Kurz: keine Einschränkungen für geschriebenen oder gesprochenen Text. Mehr, nicht weniger. Nein, Textlastigkeit ist kein hinreichender Grund für die Einstellung von Medien. Zumal ja auch bildlastige Medien eingestellt werden. Die Ära der deutschschprachigen Ausgabe von FHM (For Him Magazine) etwa geht bzw. ging 2010 zu Ende. Ein Übermaß an Text scheidet als Begründung definitiv aus.
Zu viel Text ist es nicht. Vielleicht aber ein Zuviel an zusammenhängendem Text. Hier unterscheiden sich textlastige Medien (wie die Neue Zürcher Zeitung) und nicht textlastige Medien (wie zum Beispiel Twitter) ja tatsächlich. Man kann ein Tweet von maximal 140 (!) Zeichen lesen und hat damit einen abgeschlossenen Text bewältigt. Im Feuilleton der NZZ hat man auch nach 140 Zeilen oft das berechtigte Gefühl, noch nicht wirklich in den Text eingedrungen zu sein.
Da hat dann Wolfram Weimer, Chefredakteur des deutschen Focus seit Juni 2010 schon recht, wenn er in einem Interview mit dem Fachmagazin Pressesprecher sagt, dass der Leitsatz seines Vorgängers und Focus-Herausgebers Helmut Markwort „Fakten, Fakten, Fakten“ durch das Prinzip „Relevanz, Relevanz, Relevanz“ abzulösen sei. Fakten erfährt man auch aus den ersten Zeilen eines sehr langen Artikels, um zu wissen, ob die Lektüre relevant ist, kann man aber erst dann wirklich beurteilen, wenn man bis zum Ende durchhält. Das geht bei einem Twitter-Posting deutlich rascher. Und relevant kann es ja durchaus sein, wenn man so per Wikileaks-Link zu den geheimen Berichten der Wiener Botschaft über das österreichische Bankwesen gelangt. Dann muss man allerdings wieder eine ziemlich lange Depesche lesen, bevor man sicher sein kann, ob die Geschichten über hiesige Großbanken, die ein stellvertretende US-Botschafter 2006 nach Washington berichtet hat, relevant sind.
Unterm Strich ist es ökonomischer, eine Zusammenfassung im Spiegel oder sonst einem Medium zu lesen, das sich die Mühe macht, aus 250.000 Dokumenten die wichtigeren Nachrichten herauszufiltern. „In unserer vernetzten Welt verschwindet nichts endgültig, aber es scheint auch nichts von langer Dauer zu sein“, klagt Richard Stengel, leitender Redakteur des Time Magazine. Tatsächlich dürften Spiegel und Time nicht vom Verschwinden bedroht sein. Außer man legt ihnen Textlastigkeit zur Last.
» 1 Kommentar
1"Freunbichler" am Donnerstag, 17. Februar 2011 10:59
Hübsch. Hier für korso sei angemerkt: Es gibt immerhin sg. journalistische Prinzipien, also etwa die Gewohnheit, das Wichtige, die Essenz im ersten Absatz zu nennen. Diesen dann noch graphisch hervorzuheben, vereinfacht den Umgang mit ihren Bleiwüsten erheblich. Nicht jeder hat die Geduld (und den Masochismus, so lange zusätzlich vor dem Schirm der Welt zu sitzen) sich durch den Text zu wühlen. Sei er relevant oder nicht. korso ist es.
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