Kurt W. Rothschild (21.10.1914 – 15.11.2010) |
Mittwoch, 8. Dezember 2010 |
Vor wenigen Wochen, am 30. Oktober, erreichte mich eine kurze Mail: „[…] im Anhang ist ein kleiner Artikel, den ich verbrochen habe. Interessiert er Sie eventuell?“ Gezeichnet war die Nachricht mit emr.Prof. Dr. Kurt W. Rothschild. Nun ist der Gastkommentar, den wir in unserer Novemberausgabe veröffentlichten und der sich mit der Berechtigung von Trial and Error in der Wirtschaftspolitik beschäftigte, zu unserer Trauer so etwas wie ein kleines inoffizielles Vermächtnis des bedeutendsten österreichischen Wirtschaftswissenschafters der Nachkriegszeit geworden.
Offizielle Vermächtnisse gibt es viele: Kurt Rothschilds Beiträge zur ökonomischen Theorie haben ihm breite internationale Anerkennung gebracht, von seiner Grundlagenforschung über die Zwischenkriegszeit („Austria’s Economic Development between the Two Wars“ (1947) ) über seine Werke über Lohntheorie (u.a. „The Theory of Wages“ (1954)) bis zu Fragen des Arbeitsmarktes („Arbeitslosigkeit in Österreich 1955-1977“ (1977), „Theorien der Arbeitslosigkeit“ (1988)). Noch im Vorjahr verfasste er gemeinsam mit Hans Bürger das Buch „Wie Wirtschaft die Welt bewegt. Die großen ökonomischen Modelle auf dem Prüfstand.“ Er war jener Ökonom, der die Theorie von John Maynard Keynes nach Österreich gebracht und als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Linz Generationen von Studierenden die moderne Nationalökonomie vermittelt hat. Bis zu seinen letzten Lebensmonaten war er nicht nur interessierter Beobachter der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern hat – unter anderem als Konsulent des Wirtschaftsforschungsinstituts – auch am wissenschaftlichen Leben teilgenommen; und er scheute sich nicht, auch mit einem interessierten Journalisten aus der Provinz wie dem Verfasser dieser Zeilen per Mail-Korrespondenz eine Fachfrage zu diskutieren.
Die Person Kurt Rothschilds aber auf seine Meriten als Wirtschaftswissenschafter zu reduzieren (er sah die Ökonomie übrigens als einen Teil der Sozialwissenschaften, der gut daran täte, sich auch stärker auf andere Disziplinen wie Psychologie und Soziologie zu stützen), würde seiner humorvollen, verhalten ironischen und zutiefst humanistischen Persönlichkeit wenig gerecht. Rothschild vertrat als linker Keynesianer wirtschaftspolitische Überzeugungen, die den Absichten der neoliberalen Offensive diametral entgegen standen, und ich erinnere mich, dass unser erstes Zusammentreffen im Rahmen einer Konferenz zur Verteidigung der Verstaatlichten und der Gemeinwirtschaft 1987 in Steyr stattfand, wo Rothschild eines der Hauptreferate hielt. Er war auch in hohem Alter ein begeisternder Vortragender – auf wissenschaftlichen Symposien ebenso wie auf Bildungsveranstaltungen im grünen und sozialdemokratischen Umfeld. Wenige Monate vor seinem 95. Geburtstag fuhr er allein mit dem Zug von Wien nach Linz, um dort bei einer Veranstaltung vor mehreren hundert Studierenden über die ethischen Grundlagen der ökonomischen Theorie und den Hintergrund der gegenwärtigen Krise zu sprechen.
Bei einem ausführlichen Gespräch über die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise, das ich vor einem Jahr in Wien mit Kurt W. Rothschild führen durfte*, war er noch verhalten optimistisch und lehnte einen Vergleich der gegenwärtigen Situation mit jener der dreißiger Jahre ab: Die Politik habe diesmal auf die Krise richtig rea- giert, die Maastrichtkriterien ausgesetzt und die Wirtschaft durch konjunkturfördernde Maßnahmen wiederbelebt. Heute scheint es, als sei dieser Optimismus verfrüht gewesen. Hoffen wir, dass der Tod von Kurt W. Rothschild nicht auch symbolhaft für den Untergang einer wirtschaftswissenschaftlichen Denkweise steht, die den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen in ihren Modellen einen zentralen Platz einräumt.
| Christian Stenner
* Veröffentlicht in: Christian Stenner (Hg.): Kritik des Kapitalismus. Gespräche über die Krise. Wien: Promedia 2010.
» 1 Kommentar
1Kommentar am Mittwoch, 29. Dezember 2010 16:54
Berührend, dass sich korso von einem der ruhigen, klugen, humorvollen, und ,ja, "coolen" denker verabschiedet.
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