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Ulrike Königshofer – Mehrere Millionen Möglichkeiten
Mittwoch, 8. Dezember 2010
Unter dem Titel „Mechanismen der Natur“ hat Ulrike Königshofer ihre Arbeiten gerade zu einem Katalog zusammengefasst – künstlerischer Humus trifft hier auf den empirischen Boden der Wissenschaft. Und er trifft auf Theorien, die nicht so haltbar sind, wie sie vorgeben, auf Ordnungsprinzipien, die sich in ihrer gefassten Willkür leicht zerpflücken ließen, wenn man nur lange genug an ihnen kratzen würde. Und das tut Ulrike Königshofer mit Akribie.

Und mit den etablierten Mitteln der Wissenschaft. Antiquierte Illustrationen aus naturwissenschaftlichen Lexika werden nachgeahmt, paradoxe Modelle von Maschinerien stellen die Messbarkeit uns umgebender Phänomene in Frage. Versuchsreihen werden angelegt, Stammbäume verglichen, Algorithmen grafisch dargestellt,  mechanische Apparaturen zur Hervorbringung des Zufalls geschaffen. Die Künstlerin erprobt den sichtbaren Zweifel. Und der macht auch vor wissenschaftlichen Systematiken nicht Halt  –  vielmehr versucht sie jene halbseidene Grenze zwischen Tier- und Pflanzenwelt  aufzuzeigen, die uns die Wissenschaft setzt: „Es ist nicht die Natur, die nach solchen Ordnungen erwachsen ist, sondern unser Denken“, so Ulrike Königshofer. Wo sich ihr persönliches Interesse für Naturwissenschaften begründet, kann sie nicht genau festmachen. Es hat sich während des Malereistudiums einfach herauskristallisiert. Dazu kam über den Job in einer Buchhandlung die Nähe zum wissenschaftlichen Buch und
einem schier unerschöpflichem Fundus an Materialien.

Wie das Neue in die Welt kommt.
Aber beginnen wir vielleicht besser mit Charles Darwin. Seine Evolutionstheorie bildet für viele von Königshofers Werken den theoretischen Einstieg. „Reproduction“ nennt sich ihr hundertfach fotokopiertes Portrait des Wissenschaftlers, das gleichzeitig dessen Theorien rund um Mutationen in die Sphären digitaler Vervielfältigung transferiert, wenn das immer wieder reproduzierte Schwarz-Weiß-Konterfei langsam seine klaren Strukturen verliert und dabei  erste Ansätze zur Veränderung zeigt. „Am Anfang stehen die Darwinfinken“, so die Künstlerin. Bei näherer Auseinandersetzung wurden aus einer Art dreizehn verschiedene. Die zugehörigen Studien finden sich auch in ihren Tuschezeichnungen „Von der Gleichförmigkeit der Natur“, wo die Finken als Ikonen der Evolutionstheorie einem Atommodell und einer Kristallstruktur gegenübergestellt werden. Daneben zeigt sie auch scheinbare „Monstren“ der Evolution wie den geflügelten Fisch. Mutation, so stellte Darwin mit seinem bahnbrechenden Werk „Die Entstehung der Arten“ klar, ist Zufall und mit Sicherheit keine zielgerichtete Reaktion auf die Umwelt. Erst  im Nachhinein erweist sie sich als brauchbar. Oder eben nicht.

Kleine Menge, großer Zufall
könnte gleichsam ein Rezept für das Neue lauten. Denn geografische Isolierung begünstigt das Entstehen neuer Arten. In einem ausgedehnten Lebensraum herrscht wie beim Würfeln das Gesetz der großen Zahl, erläutert Ulrike Königshofer und zeigt dazu in kleinen Schaukästen aus Buchabbildungen zusammengestellte Dioramen dieser speziellen Inselwelten. Mit der Menge der Würfe gleicht sich das Auftreten der einzelnen Punktzahlen nämlich an. Und mit der Menge gleichartiger Lebewesen heben sich zufällige Mutationen bald wieder auf.

Fehlerhafte Systeme.
Ein Fehler ist im Sinne der Evolution damit nicht nur negativ besetzter Makel, sondern birgt  Veränderungspotential. „Anstelle von einfacher Wiederholung eine höhere Komplexität auszubilden und etwas Neues zu schaffen“, analysiert die Künstlerin. Ihre verästelten Punktzeichnungen baut Ulrike Königshofer mittels algorithmischer Regeln auf, lässt sie von einem Punkt aus sich ins Endlose verzweigen. Zu Vergleichszwecken werden nun bewusst Fehler eingebaut und deren Auswirkungen auf die immer komplexer werdende Struktur untersucht. Ein Ansatz, den man als Grundprinzip in vielen ihrer Arbeiten ausmachen kann.  Auch wenn sie aus Zuckerwürfeln, Holzklötzchen oder weißen Legosteinen  dreidimensionale Algorithmen  zu „Formel-Kristallen“ schichtet oder am Computer schneekristallähnliche „Formel-Keime“ entwickelt.
   
Abstammungsnachweis des Zufalls.
Regelrechte Versuchsreihen startet Königshofer mit kleinen Wachsobjekten. Dazu werden Bindfäden in einen Topf mit heißem Wachs getaucht und anschließend in kaltem Wasser abgeschreckt. Die Wiederholung des Vorganges lässt biomorphe Wesen heranwachsen, die trotz gleicher Prozedur immer neue Formen ausbilden. Daraus hat sie in einer Weiterentwicklung des Experiments ganze Stammbäume des Zufälligen generiert: Ein in Gips abgegossenes Wachsobjekt wurde zur Ausgangsform erklärt und gezielt mit Wachs weiter behandelt. So wuchsen in einem am Objekt dokumentierten Entwicklungsprozess ganze Generationen heran, die alle von derselben Form abstammen.
Auch Schablonen sind Werkzeuge, die der immer gleichen Reproduktion dienen und regelmäßige Formen erzeugen. Ihre  Kreise durchbricht die Künstlerin mit unsymmetrischen Matrizen und Linienstrukturen, die an zufälliges Gekritzel denken lassen. Eine „Apparatur zur Herstellung von Chaos“ liefert derartige Bilder sogar ohne Handumdrehen.

Gott würfelt nicht.
Es gibt keinen Zufall – alles ist durch Gesetze bestimmt, behauptet  die Physik. Ulrike Königshofer nennt ihre Apparaturen, die eine mechanische Zufallsgenerierung versprechen „Zufallsgenerator“, „Würfelmaschine“ und „Wahrsagekiste“: Als kleine Kugel nimmt der Zufall seinen Weg durch ihre vorgefertigten Kanäle und Ebenen. Wie er sich bei der nächsten Gabelung entscheiden wird? Auf die Finger schauen kann man ihm auch hier nicht, sein Tätigkeitsbereich bleibt verborgene Möglichkeitsform. Einsicht bietet einzig ein Einwegglas mit schwarzen und weißen Kugeln, das Ulrike Königshofer bereitstellt und das insgesamt 40 Millionen Kombinationsmöglichkeiten verspricht.
Ist die Wissenschaft danach bestrebt, die Unberechenbarkeit der Natur auf ein Minimum zu reduzieren, so weiß sie auch um ihre Schwachpunkte. Am sichersten offenbart sich der Zufall beim Wetter, das sich auf lange Sicht immer noch nicht präzise voraussagen lässt. Und so widmet sich Ulrike Königshofer auch einer Reihe von Wolkenbildern, entwirft „Wettermesser“, beschriftet Wolkenteile mit Weltformeln, dokumentiert  deren Bewegungen in alle möglichen Pfeilrichtungen. Und vergibt
Titel wie „Determinismus [lat.]“, die Lehre von der eindeutigen Bestimmbarkeit alles Geschehens durch Ursachen“, die alle derartigen Bestrebungen ad absurdum führen. Hier findet auch die Chaostheorie ihren Niederschlag und die berühmte Vorstellung vom Flügelschlag eines Schmetterlings  –  und jeder kleinen Veränderung, die einen Richtungswechsel provozieren kann. Demnach sind alle Phänomene der Welt miteinander verbunden. Auch die Wissenschaft mit der Kunst?  „Wer ernsthaft die Wahrheit der Dinge ergründen will, darf sich keiner einzelnen Wissenschaft verschreiben“, so Rainer Maria Rilke über diese wechselseitigen Abhängigkeiten. Die ganz neue, unvorhersehbare Früchte tragen können, räumt man ihnen nur den nötigen Platz ein.

www.ulrikekoenigshofer.at

| Eva Pichler

ULRIKE KÖNIGSHOFER...
geboren 1981 in Koglhof; 1995-2000 Kunstgewerbeschule in Graz; 2000-2005 Universität für angewandte Kunst Wien, Abteilung Malerei, Prof. Adolf Frohner; 2010 Theodor Körner Preis; 2007 und 2010 Anni und Heinrich Sussmann Stipendium; 2005 Sofie Fohn Stipendium; 2005 Förderungsstipendium der Universität für angewandte Kunst Wien.  Ausstellungen (Auswahl): 2011 Studioraum Galerie im Traklhaus, Salzburg (solo); 2011 Startgalerie MUSA, Wien (solo); 2010 Ankaufspreis des Landes Steiermark; 2010  Förderungspreis des Landes Steiermark, Neue Galerie Graz im Künstlerhaus, Graz; 2010 „You Fail“, Periscope im Kunstraum Pro Arte, Hallein; 2010 „Die Tatsachen der Lüge“, Kulturkeller Weiz (solo); 2009 „Auf A folgt immer B?, Basement Wien; 2009 „Die Anatomie des Defekts“, Narrenturm Wien; „Konturen“, Kunstraum Niederösterreich; 2007„Die Ordnung der Natur“ Kunstraum Praterstrasse, Wien (solo); 2005 „Real“, Kunsthalle Krems; 2005 „Made in Weiz“, Städtische Galerie im Kulturforum, Offenburg (D), 2004 „Himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt“, Steirischer Herbst, Weberhaus Weiz; 2002 „Segmente“, Heiligenkreuzerhof, Wien; lebt und arbeitet in Wien.

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