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„So dass uns Kindern eine durchwegs christliche Umgebung geschaffen war“ |
Sonntag, 14. November 2010 | |
Eine Ausstellung in der Heilandskirche thematisiert das Verhältnis der hiesigen evangelischen Kirche zu den Konvertiten aus dem Judentum.
„Ich Endesgefertigte Paula P., geb. Rosenthal wurde 1884 als Tochter evangelischer Eltern in Graz geboren. Ich und meine beiden Geschwister erhielten eine durchaus christliche, volksdeutsche Erziehung, verkehrten ausschließlich in arischen Familien und erfuhren erst als Erwachsene mit ungefähr 17 Jahren, dass unsere beiden Eltern der Rasse nach angeblich Juden und erst nach ihrer Verehelichung getauft worden waren. Auch die einzig Ueberlebende der früheren Generation, die Mutter meines Vaters, hatte sich zugleich mit unseren Eltern taufen lassen, so dass uns Kindern eine durchwegs christliche Umgebung geschaffen war.“ Mit dieser Kurzdarstellung ihrer Familiengeschichte eröffnete die Grazerin Paula P. im August 1938 ein Schreiben an die für die „Arisierung“ jüdischen Eigentums zuständige Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit in Wien. Ziel ihres Bittgesuches war die Befreiung von den Zwangsmaßnahmen, die die Nationalsozialisten Juden auferlegt hatten: soziale Isolierung, berufliche Deklassierung, Beraubung, Vertreibung und schließlich physische Vernichtung. Denn was für Jüdinnen und Juden seit dem „Anschluss“ im März 1938 Alltag war, wurde für Paula P. mit der Einführung der „Nürnberger Rassengesetze“ in Österreich im Mai 1938 ebenfalls zur traurigen und lebensbedrohenden Realität, wurde doch die Antwort auf die Frage, wer jüdisch war oder nicht, fortan allein durch durch rassistische Kriterien bestimmt. Nach dem Tod ihres nichtjüdischen Ehemannes wurde Paula P. am 10. Jänner 1944 in das Ghetto nach Theresienstadt transportiert, wohin auch ihre Schwester Margit F., die in Graz als Krankenschwester im evangelischen Diakonissenkrankenhaus gearbeitet hatte, schon ein Jahr zuvor deportiert worden war. Während ihre Schwester im November 1944 in Theresienstadt ums Leben kam, konnte Paula P. nach dem Ende der NS-Herrschaft wieder nach Graz zurückkehren. Das Schicksal der Familie von Paula P. ist nur eines von vielen, das im Rahmen eines Forschungsprojektes ans Licht geholt wurde, das vom Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern des Akademischen Gymnasiums Graz und des BG/GORG Kirchengasse Graz durchgeführt wurde. Neben der Geschichte der Verfolgung wurde zudem die der vorangegangenen Konversion thematisiert – und die Frage, wie sich die Heilandskirche zu ihren ab 1938 verfolgten Mitgliedern verhielt. Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht Ausstellung: „So dass uns Kindern eine durchwegs christliche Umgebung geschaffen war.“ Die Heilandskirche Graz und ihre „Judenchristen“ zwischen 1880 und 1955. Heilandskirche Graz, Kaiser-Josef-Platz 9, täglich 8:00 bis 18:00 Uhr, noch bis 18. November. Begleitpublikation: Heimo Halbrainer/Gerald Lamprecht, „So dass uns Kindern eine durchwegs christliche Umgebung geschaffen war.“ Die Heilandskirche Graz und ihre „Judenchristen“ zwischen 1880 und 1955, Verlag CLIO, Graz 2010. 224 S, € 18,-
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