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„Die Wissensgesellschaft beginnt im Kindergarten - aber nicht in Österreich
Archiv - Bildung
Samstag, 6. Mai 2006
ImageSeit vergangener Woche ist PISA wieder in aller Munde. Fast 10.000 österreichische SchülerInnen müssen im April und Mai dieses Jahres in einer Testreihe erneut ihre Lese-, Mathematik- und naturwissenschaftliche Kompetenz unter Beweis stellen. Die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie werden erst Ende 2007 veröffentlicht.

Die schockierenden Resultate der letzten Runde haben deutlich gezeigt, dass das österreichische Schulwesen Reformen dringend nötig hat. Bildung sollte aber nicht erst ab dem sechsten Lebensjahr beginnen. Elementare Bildung im frühkindlichen Alter wird immer wichtiger. Dass es damit in Österreich allerdings noch weit her ist, beweist die OECD-Studie „Starting Strong". Schon im Vorschulbereich besteht enormer Aufholbedarf.

Mit über einem Jahr Verspätung ist der Länderbericht über Österreich nun endlich auf der OECD-Homepage abrufbar – bislang zwar nur in englischer Sprache, aber das sollte sich laut Maria Dippelreiter, „Starting Strong"-Verantwortliche des Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK), noch in den nächsten Tagen ändern. Der Unterschied zur PISA-Studie: Nicht die Kinder werden geprüft, sondern das gesamte Kinderbetreuungssystem. Ein Expertenteam verfasste nach einem Besuch in Österreich eine Stärken- und Schwächenanalyse.
„Die Ergebnisse der Untersuchungen werden dann hinsichtlich ihrer bildungspolitischen Umsetzbarkeit diskutiert. Sie sollen einen Beitrag dazu leisten, in Österreich ein integriertes System Lebenslangen Lernens einzurichten", ist auf der Homepage des Bundesministeriums zu lesen. Auf Nachfrage fühlt sich allerdings niemand mehr für die Resultate zuständig. „Der Kindergartenbereich ist Ländersache", lässt Gehrer-Sprecher Ronald Zecha ausrichten. Damit die Länder aber von den Ergebnissen der Studie Kenntnis erhalten, ist noch eine Unterschrift der Bundesministerin, unter einem von Maria Dippelreiter vorbereiteten Akt, notwendig. „Grundsätzlich könnten die Bundesländer den Bericht aber schon jetzt auf der OECD Homepage einsehen", so Dippelreiter. Nachdem die Länder den Bericht erhalten haben, besteht sie die Möglichkeit Stellungnahme zu beziehen. „Was dann geschieht, muss die Frau Bundesministerin entscheiden. Vielleicht wird eine Infoveranstaltung abgehalten oder ein Supplement-Band erscheinen", so Dippelreiter weiter. Offenbar fällt die Studie zu einem gewissen Teil doch in den Kompetenzbereich der Ministerin.

Forderung nach einem einheitlichen Bildungskonzept. „Die Wissensgesellschaft beginnt im Kindergarten" ist einem Folder zur Hochbegabten-Förderung des BMBWK zu entnehmen. Dieser „Slogan" sollte allerdings nicht nur kleinen Genies gelten, sondern die Basis für ein ganzheitliches Bildungsprogramm vom ersten Lebensjahr bis ins hohe Alter sein.
Einer der gröbsten Kritikpunkte des OECD-Teams am derzeitigen österreichischen Standard schlägt genau in diese Kerbe. Österreichweit gibt es kein klares Bildungskonzept für Kindergärten. Es gibt zwar in den unterschiedlichen Betreuungseinrichtungen bestimmte Schwerpunkte und regionale Zielformulierungen, aber nur auf kommunaler Ebene. Die Empfehlungen des Beobachterteams lauten dahingehend: „einen allgemeinen Plan von Dienstleistungen für die frühe Kindheit zu entwickeln, mit klar ausgesprochenen Zielen, Erwartungen, Zeitplänen, Finanzierungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten über kooperierende Ministerien und Körperschaften hinweg." Marisa Krenn-Wache, Projektkoordinatorin von „Starting Strong" meint dazu „Der Bund fühlt sich für Kinder erst ab dem ersten Schultag verantwortlich. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, wenn es auch einen Rahmenplan für Kinder vor dem Schuleintritt gäbe: Welche Werte, Ziele etc. erachten wir bundesweit als wichtig? Eine Verankerung der Zuständigkeit auf Bundesebene erscheint mir sinnvoll."

Zu wenige Betreuungsplätze. Ein weiteres Defizit ist das unzureichende Angebot von Betreuungsplätzen für Ein- bis Dreijährige. Nur 11 Prozent der Kinder in diesem Alter haben einen Krippenplatz. Wie hoch die prozentuelle Auslastung wäre, würden ausreichend Krippenplätze vorhanden sein, variiert von Bundesland zu Bundesland zwischen 20 und 40 Prozent (Statistik Austria 2002). Im Vergleich: In Dänemark werden 64 Prozent der Ein- bis Dreijährigen in Krippen betreut, in Schweden 60 Prozent, in Finnland immerhin noch 36 Prozent und in Frankreich sind es 29 Prozent. Für Kinder ab drei Jahren sieht die Situation schon anders aus. Im Durchschnitt besuchen 64 Prozent den Kindergarten, im Burgenland sind es nahezu 97 Prozent, in Tirol nur 48.

Notwendige Qualitätssteigerungen. Die Hauptindikatoren für eine mögliche Steigerung der Qualität in den heimischen Kindergärten sind vielfältig: Von einer höheren Ausbildung der KindergartenpädagogInnen über bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter bis hin zu einer überregionalen Stelle, die für Forschung, Datenerhebung und Evaluation zuständig ist. „In Österreich gibt es keinen Lehrstuhl für Kleinkindpädagogik", erklärt Krenn-Wache. Obwohl die KindergartenpädagogInnen im Bericht als hoch motiviert und gut ausgebildet dargestellt werden, gilt die umfangreichste Kritik dem niedrigen Ausbildungslevel. Mit Ausnahme von Deutschland und Österreich haben bereits alle EU-Staaten die Ausbildung für PädagogInnen im Vorschulbereich auf Hochschulniveau angehoben. Eine Forderung, die auch von der österreichischen Zukunftskommission formuliert und von Bundesministerin Elisabeth Gehrer bislang übergangen wurde. Die Ausbildung der KindergartenpädagogInnen in den BAKIPs fällt definitiv in ihren Arbeitsbereich. Auch Krenn-Wache plädiert für eine Anhebung des Ausbildungsniveaus: „Ein spezifisch österreichisches Ausbildungsmodell, gekoppelt mit Fort- bzw. Weiterbildungsmöglichkeiten, um die Stärken unserer derzeitigen Ausbildung zu erhalten und doch eine umfassende Qualitätsverbesserung zu erreichen, wäre nötig. Die Berufsgruppe der KindergärtnerInnen und HorterzieherInnen sowie die Berufsvertretung der Caritas Oberösterreich u.v.m. treten ganz klar für eine tertiäre Ausbildung ein und haben das auch mehrfach an die Frau Bundesministerin herangetragen."

Ein ausgezeichnetes Bildungssystem hat seinen Preis. 0,43 Prozent vom österreichischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) werden derzeit in den Bereich Kinderbetreuung investiert. Das entspricht 3.570 Euro (4.500 Dollar) pro Kind, ein relativ geringer Wert im Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Die OECD empfiehlt zumindest ein Prozent des BIP in den Vorschulbereich fließen zu lassen. Mit dieser Anpassung wären auch die dringend notwendigen Reformen finanzierbar. In erster Linie wäre laut Krenn-Wache an einen niedrigeren Erzieher-Kind-Schlüssel zu denken, an gute Fortbildungsmöglichkeiten, mehr Planungs- und Reflexionszeit und eben eine tertiäre Ausbildung für KindergartenpädagogInnen. Das würde zu Qualitätsverbesserungen führen und müsste mit einer Anpassung des Gehalts an VolksschullehrerInnen einhergehen. Die Ambitionen des Bundesministeriums scheinen derzeit nicht in diese Richtung zu gehen. Ob die Wissensgesellschaft in Zukunft wirklich im Kindergarten beginnt, wird wohl von einer adäquaten und fachgerechten Umsetzung der Forderungen der OECD Berichterstatter abhängen – und das wird wohl noch eine Weile dauern, nachdem noch nicht einmal geklärt ist, in wessen Kompetenzbereich die Studie fällt.
Manuela Palmar

» 1 Kommentar
1"ilse egger"
am Donnerstag, 1. Januar 1970 00:33von Gast
Sehr geehrte Frau Palmar! Sie schreiben vollkommen zu Recht,dass eine Qualitätssteigerung in den Kindergärten notwendig wäre.Vielleicht interessiert es sie auch,dass zur Zeit eine Gestzzesnovellierung vorbereitet wird,die die Qualität in den Kinderkrippen massiv verschlechtern wird,da die Kinderanzahl um 40% pro Gruppe erhöht werden soll.Wir Pädagoginnen in den Krippen könnten Unterstützung gut brauchen,da uns das Wohl der Kinder im Unterschied zu Erhaltern und Politikern sehr am Herzen liegt.mfg ilse egger
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