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„Fair teilen“: Ein Gespenst geht um in Österreich
Montag, 19. Juli 2010
Image Österreich liegt bei der Vermögensbesteuerung an vorletzter Stelle in der EU; Reichtum konzentriert sich in immer wirtschaftsschädlicherem Ausmaß bei einigen wenigen. Kommt jetzt auf Druck von Zivilgesellschaft und Gewerkschaften ein Umdenken? Im Herbst dieses Jahres droht den ÖsterreicherInnen ein spätes, aber umso bittereres Erwachen. Während in anderen europäischen Ländern die Diskussionen über die Sanierung der durch Krisen- und Bankenpakete ausgehungerten Budgets schon in vollem Gange sind, beschert uns eine gnädige Bundesregierung noch einen sorgenfreien Sommerurlaub, bevor Details über die Sparpläne bekannt gemacht werden. Seine Budgetrede will der Finanzminister ja überhaupt erst am 9. Dezember halten – mit vermutlich katastrophalen Auswirkungen für das Weihnachtsgeschäft.
Denn: Wenn die österreichische Bundesregierung den Rezepten der anderen EU-Staaten folgt – und es besteht wenig Zweifel daran, dass sie das tun wird – dann droht ein Mix aus Sparmaßnahmen, zum Beispiel im Sozialbereich (z.B. die Abschaffung der 13. Familienbeihilfe, die bereits im Gespräch ist) und, auf der Einnahmenseite, von Erhöhungen bei Verbrauchssteuern wie der Mineralölsteuer. Kann sein, dass auch noch eine klitzekleine Bankenabgabe zur Beruhigung der Volksseele mit im Paket ist.  Spätestens dann werden wir wissen, dass sich die Vermögenden auch in Österreich mit ihren Interessen durchgesetzt haben.

Deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Es gäbe durchaus andere Möglichkeiten, die aus dem Ruder laufenden Staatsschulden wieder einzukriegen – Möglichkeiten, die noch dazu den Vorzug haben, dass sie nicht konjunkturdämpfend wirken wie die genannten. Ihre Umsetzung würde allerdings die Umkehr eines Trends erfordern: Seit 1986 wurden in Österreich die vermögensbezogenen Steuern der Reihe nach abgeschafft. 1980 waren sie laut OECD noch für 2,88% des gesamten Steueraufkommens verantwortlich, 2004 nur mehr für 1,3%. Damit liegt Österreich innerhalb der EU an vorletzter Stelle; nur Tschechien behandelt mit 1,2% Anteil am Gesamtsteueraufkommen seine Vermögenden noch eine Spur schonender. Der EU-Durchschnitt liegt bei 5,33%, viele Staaten (wie Großbritannien mit 12,03 oder Frankreich mit 7,57%) lukrieren deutlich mehr Abgaben aus Vermögenssteuern. Das nimmt nicht wunder: An echten und für das Steueraufkommen relevanten Vermögenssteuern gibt es in Österreich nur mehr die Grundsteuer B (also jene, die nicht landwirtschaftlichen Besitz betrifft) und die Grunderwerbssteuer. Die Grundsteuer wurde 1983 (!) zum letzten Mal an die steigenden Immobilienpreise angepasst.

Abgeschafft wurden im Laufe der Jahre folgende vermögensbezogene Steuern: Die Gewerbekapitalsteuer (1986), das Erbschaftssteueräquivalent für Kapitalgesellschaften (1993), die Vermögenssteuer (1994; noch 1990 hatte sie mit 511 Mio Euro mehr eingebracht als die Besteuerung des gesamten immobilen Vermögens), die Wertpapiersteuer (1995), die Börsenumsatzsteuer (2000), die Erbschafts- und Schenkungssteuer (2008). Dass die österreichische Abgabenquote im EU-Vergleich relativ hoch liegt (wenn sie auch bei weitem nicht die höchste ist) ist also allein den Abgaben auf (unselbstständige und selbstständige Arbeit), den indirekten Steuern und den Sozialversicherungsbeiträgen geschuldet. Dass jedem Vorschlag einer Wiedereinführung von Vermögenssteuern gerne mit der reflexartigen Gegenattacke begegnet wird, „die Steuern seien ohnehin schon so hoch“ – oder, in ihrer vermeintlich intellektuelleren Variante, „die Leistungsträger würden damit bestraft“ – lässt sich in diesem Licht nur als bewusst inszenierte Realitätsverweigerung betrachten: Hoch sind die Steuern auf Arbeit – nicht jene auf Vermögen; und weder Erben noch das Anhäufen von Vermögen, ohne dieses realwirtschaftlich zu investieren, gehört zu den besonders bemerkens- oder gesellschaftlich wünschenswerten Leistungen. Details am Rande: Im Jahr der Abschaffung der Vermögenssteuer wurde eine konsumdämpfende Massensteuer – die Mehrwertsteuer – von 18 auf 20% erhöht, schon ein Jahr zuvor war die nicht gemeinnützige Privatstiftung als Möglichkeit der steuerschonenden Behandlung großer Vermögen eingeführt worden.

Vermögenskonzentration fördert die Krise. Diese auffallende Schieflage in der Besteuerung ist neben anderen Faktoren zweifellos mit dafür verantwortlich, dass „die Bruttoentgelte für unselbständige Arbeit von 1964 bis 1997 sich verzwölffachten, während die Einkommen aus Besitz im gleichen Zeitraum um das 30fache [stiegen]“ (Karl Goldberg: Vermögensbesteuerung – ein internationaler Vergleich, Wien 2007). Sie begünstigt damit einen krisenfördernden Mechanismus: „Finanzblasen am Akteinmarkt und am Derivatemarkt entstehen besonders dann, wenn freies Vermögen vorhanden ist, das nicht anderweitig – für Konsum oder Investitionen – benötigt wird; Vermögens- und Einkommensschrägverteilungen begünstigen also Blasen“, sagt der Ökonom Prof. Christian Lager vom Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Graz. Und er zitiert eine amerikanische Studie (Piketty and Saez, 2004), die einen verblüffenden Zusammenhang zwischen Vermögenskonzentration und Krisenmechanismus aufzeigt: Auch in den 30-er Jahren stieg die Vermögenskonzentration vor der Krise explosionsartig an, erst durch den New Deal wurden diese Vermögen abgeschöpft. Das gleiche Phänomen lässt sich heute beobachten. Lager: „Was das Frappierendste daran ist: Dieser Peak lässt sich allein auf den raschen Anstieg jener Vermögen zurückführen, die sich in den Händen des reichsten Prozentes der Bevölkerung befinden.“
Vermögenssteuern könnten diese negativen Effekte verhindern, die mit ursächlich für die Krise sind. Lager: „Da liegen derzeit zwei auf dem Tisch: Jener des Ökonomen Stephan Schulmeister, der – bei einer Freigrenze von 100.000 Euro – eine „Flat tax“ für Vermögen von einem halben Prozent vorschlägt; diese könnte rund 3 Mrd. Euro bringen. Die Gewerkschaft GPA-DJP schlägt – bei einem üppigen Freibetrag von 500.000 Euro – eine progressive Vermögensbesteuerung von ¼ bis 1,5% vor, eine solche ist auch in einigen Kantonen der Schweiz verwirklicht. Durch den hohen Freibetrag ist gewährleistet, dass weder die Häuslbesitzer noch der Mittelstand davon betroffen wären.“

Als besonders leistungsfeindlich erweist sich die Abschaffung der Erbschaftssteuer:
Während das durch harte Arbeit erworbene Einkommen Länge mal Breite versteuert werden muss, muss für leistungsfrei Ererbtes derzeit kein Cent abgeführt werden. Das (von Erben-Seite) gern gebrachte Argument, dass es sich bei einer Hinterlassenschaft  um schon einmal versteuertes Einkommen handelt und eine weitere Besteuerung daher ungerechtfertigt sei, ist alt, aber schlecht: Wer sich von seinem bereits durch Lohn- oder Einkommensteuer geschmälerten Arbeitseinkommen auch nur eine Wurstsemmel kauft, entrichtet in Form der Mehrwertsteuer auch ein zweites Mal einen Obolus an den Fiskus. Abgesehen vom Gerechtigkeitsaspekt: „Auch die Erbschaftssteuer kann bei entsprechender Gestaltung einen großen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen leisten: So schlägt Stephan Schulmeister ein progressives Modell vor, das bis zu einer Milliarde Euro brächte“, sagt Lager. Und: „Damit die Erbschaftssteuer nicht durch Stiftungen umgangen werden kann, wäre dafür wie in Deutschland eine Erbersatzsteuer vorzusehen, die jährlich ein Dreißigstel des Stiftungsvermögens mit dem Erbschaftssteuersatz belastet. Dabei geht man davon aus, dass Vermögen durchschnittlich alle dreißig Jahre vererbt wird.“
Entsprechend gestaltete Erbschaftssteuern haben eine umverteilende Wirkung, das war auch bei der inzwischen abgeschafften Erbschaftssteuer in Österreich der Fall. Z.B. haben 2006 bei insgesamt 62.000 Erbfällen 800 Erben die Hälfte des gesamten Erbschaftssteueraufkommens bezahlt. Das überrascht nicht: Abgesehen davon, dass laut Geldvermögensbefragung der Nationalbank (2004) über 60% der Haushalte nichts erben, lag die Hälfte der Erbschaften unter 22.000 Euro.

„Fair teilen“.
Eine zivilgesellschaftliche Initiative, getragen u.a. von NGOs wie dem globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC, Global 2000 und der Armutskonferenz, aber auch von den Gewerkschaften vida, die 155.000 Mitglieder in Österreich vertritt, und PRO-GE (mehr als 250.000 Mitglieder), versucht nun unter dem Kampagnentitel „Wege aus der Krise“ Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Wiedereinführung von Vermögenssteuern im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung liegt: „Sie verhindern ja auch, dass für die Krise  nicht wieder jene zahlen müssen, die sie unter Garantie nicht verursacht haben, nämlich die kleinen ArbeitnehmerInnen“, sagt der steirische VIDA- und ÖGB-Vorsitzende Horst Schachner. Der ÖGB fährt daneben noch eine eigene Kampagne mit dem Namen  „Fair teilen“ und fordert unter diesem Titel unter anderem die Einführung vermögensbezogener Steuern mit einer Freigrenze von EUR 500.000, die Anhebung der Besteuerung von Stiftungen, die Aufhebung der Gruppenbesteuerung für Großkonzerne, die bekanntlich etwaige Verluste im Ausland mit eventuellen Gewinnen in Österreich gegenverrechnen dürfen, die Abschaffung der Spekulationsfrist bei Wertpapierverkäufen, eine europäische Finanztransaktionssteuer oder eine Börsenumsatzsteuer in Österreich – und last but not least eine Wertschöpfungsabgabe, also Sozialversicherungsbeiträge für arbeitslose Einkommen.
Schachner: „Wenn die Vermögensbesteuerung auch nur auf den Schnitt der EU-15 angehoben wird, bringt das 3,5 Mrd Euro ein – ohne dass dabei die Wirtschaft schaden nimmt. Wenn’s statt dessen zu einer Erhöhung der Massensteuern kommt, wird das massive Auswirkungen auf den Konsum haben.“ Kämpferischer Nachsatz: „Wenn’s so weit kommen sollte, dann kann sich die Regierung anhalten.“

l Christian Stenner


Weitere Infos:
www.wege-aus-der-krise.at
www.fairteilen.at
www.vida.at
» 1 Kommentar
1Kommentar
am Freitag, 20. August 2010 18:56von Harald Freunbichler
Sehr informativ und objektiv. Danke. (Komme über Nazi-Recherche hierher, danke für das Archiv.)
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