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Das Verantwortungs-Los |
Sonntag, 16. Mai 2010 | |
Kreative Stadt Entwicklung (21) von Harald Saiko
Schon in der attischen Demokratie gab es angeblich die Kritik, dass dieses Herrschaftssystem in weiten Bereichen auf den Sachverstand und die Erfahrung ausgebildeter Funktionseliten verzichtet hat. Dadurch habe die Volksversammlung als Souverän unter dem Einfluss von Demagogen zur Verblendung geneigt. Rechtswidrige Beschlüsse und Verfahren waren in dieser Sicht die logischen Folgen einer politischen Fehlkonstruktion. Schon die zeitgenössische Kritik hat diese Demokratie als eine Herrschaftsform gegeißelt, die den Ungebildeten und Unvermögenden dazu diente, ihre Taschen mit dem Geld und Gut anderer zu füllen, erläutert Wikipedia diesen Teil europäischer Geschichte kurz und bündig. Klickt man auf „Funkionselite“, so folgt der nächste Aha-Effekt: Eine Elite (urspr. vom lateinischen electus, „ausgelesen“) ist soziologisch genommen eine Gruppierung überdurchschnittlich qualifizierter Personen (Funktionseliten, Leistungseliten) oder der herrschenden, einflussreichen Kreise (Machtelite) einer Gesellschaft. Das Wort „Elite“ tauchte erstmals im 17. Jahrhundert auf, zur Zeit der Französischen Revolution wurden mit „élite“ Personen bezeichnet, die sich im Gegensatz zu Adel und Klerus ihre gesellschaftliche Position selbst verdient hatten. Sic, auch nicht schlecht. Egal ob Funktions- oder Machtelite, die Teilnahme beider vermissen wir heutzutage bei der Bewältigung der öffentlichen Interessen, in Bund, Land und der Stadt. Ja, der Begriff ist geradezu verpönt. Und bei komplexen Fragen zur Stadt und deren Entwicklung fällt der Verzicht besonders leicht, glaubt doch jede/r selbst am besten zu wissen, wie es in der Stadt zu sein hat. Das ist fatal, der zersiedelte Speckgürtel mit all seinen Folgen ist nur eines der unzähligen Beispiele, Rechtswidrigkeiten aller Art inclusive und Geldflüsse in die Taschen so mancher ebenso. Die unzähligen Masterpläne, Bürgerbeteiligungen und Beiräte in der Stadt, die niemand mehr hören oder sehen kann, zeigen auch, wie Stadtentwicklung der Demagogie folgt, es allen recht zu tun: Man lässt die Betroffenen scheinbar mitreden, macht daraus ein Papier und schubladisiert dieses dann. Wer führt die öffentlichen Interessen einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu einer konkreten Umsetzung? Und: Wer bestimmt die öffentliche Meinung dazu? Medien und Politik gieren nach Unmittelbarkeit und Ereignissen, produzieren hysterische Aufschreie und Schein-Betroffenheiten, statt gesellschaftliche Strukturen und Mechanismen ergründen zu wollen, oder – im Fall der Politik – eine politische Agenda umsetzen zu wollen, ja überhaupt eine zu haben! So haben beide ihre Möglichkeiten der Mitgestaltung von Staat und Gesellschaft längst verspielt. Wenn Grazer Gemeinderäte allen Ernstes vorschlagen, die BürgerInnen vom Balkon an das Rednerpult des Gemeinderates zu bitten, um „die Realitätsferne der Politik abzubauen“, dann verzichtet letztere auf ihre Daseinsberechtigung. Verantwortung abgeben statt übernehmen, heißt die Devise. Die Verantwortung jedenfalls los sein. Verantwortungslos, das Verantwortungs-Los. Architekt DI Harald Saiko, geboren und aufgewachsen in Graz, Studium in Graz und Paris, führt ein Büro für Architektur.Stadt.Kultur in Graz, Wien und Timisoara.
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