Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Unter Strom: Elektrische Mobilität im Vormarsch
Sonntag, 16. Mai 2010
Klima-Kollaps, Peak Oil, steigende Ölpreise – das sind nur drei Gründe, warum der Ausstieg aus der Welt der fossilen Energien immer mehr UnterstützerInnen findet. Ende April traf sich in Graz eine große Runde hochkarätiger internationaler ExpertInnen aus Wissenschaft, Industrie und Politik, um Möglichkeiten, Chancen und Risiken des Umstiegs auf elektrische Antriebe im Bereich des Individualverkehrs zu diskutieren. Das Fazit: Vieles ist bereits technisch machbar, manches wird schon verwirklicht. Und: Wer sich vom Elektroantrieb mehr Umweltfreundlichkeit erhofft, muss genau darauf achten, woher der Strom kommt. (pr) Begeisterung bei der Politik. Landes- und Bundespolitik setzen, so war den einleitenden Reden von Bgm. Siegfried Nagl, Verkehrslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder und Vizekanzler Josef Pröll zu entnehmen, in der Tat auf einen Wandel: „Die Welt der Mobilität wird in zehn Jahren ganz anders aussehen“, sagt Nagl, der glaubt, „dass die Welt nicht mehr allzu viel Zeit hat, diese neuen Technologien einzuführen.“ Edlinger-Ploder will vor allem bei Jugendlichen Begeisterung wecken, denn: „Kein Jugendlicher hat eine Förderung benötigt, um einen IPod zu kaufen.“ Josef Pröll ist schließlich davon überzeugt, dass „die Faszination Mobilität neu gedacht und mit neuen Energieträgern gefüllt werden muss“ – auf dem Wege der Ökologisierung des Steuersystems will er auch mehr Geld dafür zur Verfügung stellen.

Probleme und Prognosen.
Wenig von der von den PolitikerInnen beschworenen Begeisterung zeigte Robert Kremlicka vom Beratungsunternehmen A.T. Kearney in seinem Einleitungsvortrag. Er skizzierte Probleme, die seiner Meinung nach im Zusammenhang mit der Umstellung der Antriebssysteme entstehen: Die Vielfalt der möglichen Antriebe und Energiespeichersysteme zersplittere die F&E-Budgets der Unternehmen; weil es noch keinen entwickelten Gebrauchtwagenmarkt für E-Fahrzeuge gebe, sei die Frage des Wertverlustes ungeklärt; für 2020 sei ein Engpass bei Lithium absehbar (das für die derzeit höchstentwickelten Akkusysteme benötigt wird) und allein die Kosten für die Lade-Infrastruktur würden bis 2020 ca. 650 Mio Euro betragen – bei einem zusätzlichen Stromumsatz von 50 bis 100 Mio. Euro. Die CO2-Belastung betrage beim durchschnittlichen Benzin- oder Dieselmotor ca. 160g pro 100 km, bei einem Elektromotor sinke sie unter den Erzeugungsbedingungen des österreichischen Strommixes auf 60g – allerdings emittiere auch der Smart nur 88g. Die Reichweite der bekannten Erdölvorräte in den letzten Jahrzehnten lägen immer zwischen 38 und 40 Jahren – dass deren Förderung wegen der sich leerenden Lagerstätten immer teurer und riskanter wird, wie das jüngste Beispiel der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko zeigt, erwähnte Kremlicka allerdings nicht. Trotz aller Skepsis prognostiziert er aber, „dass 2020 immerhin 10% der Neuzulassungen Plug-in-Hybridfahrzeuge und Elektrofahrzeuge und weitere 20% herkömmliche Hybridfahrzeuge betreffen werden.“

Autos und Zweiräder.
Dennoch sind es an vorderster Stelle bestehende große Automobilkonzerne, die in die Entwicklung von elektrisch betriebenen Fahrzeugen investieren: Martin Arlt von BMW erläuterte die Ergebnisse des Flottenversuchs mit dem „Mini E“, der – bei einer Reichweite von ca. 180 bis 200 km – die Alltagstauglichkeit eines reinen Elektroautos unter Beweis stellt: „Die durchschnittliche Fahrtstrecke beträgt – wie beim Verbrennerfahrzeug – 36 km pro Tag, die Minis wurden nur alle drei Tage aufgeladen. Das Aufladen wird zu 94% über Nacht zuhause erledigt.“ Und: Menschen, die elektrisch fahren wollen, wünschen auch, dass der Strom für ihr Automobil aus umweltfreundlichen Quellen stammt: „Man sollte also als Anbieter einen Ökostromproduzenten an der Hand haben“, sagt Arlt. Der auf Elektroantrieb umgebaute Mini ist übrigens  Pilot für den „echten“ E-Flitzer von BMW, das Megacity-Vehicle, das 2013 auf den Markt kommen soll.
Schon weiter als BMW ist Peugeot; der französische Automobilerzeuger hat bereits 10.000 Elektroautos verkauft. Der Peugeot Ion (64 PS, 130 km Reichweite und ein Zwillingsbruder des Mitsubishi MIEV) soll in Österreich Anfang 2011 auf den Markt kommen und in 30 Minuten zu 80% aufgeladen sein, sagt Laurent Pernet von Peugeot Österreich – vorausgesetzt, es findet sich eine Steckdose, die entsprechende Ampère-Durchflüsse erlaubt. Mit dem Ur-Smart-ähnlichen BB1, der Elemente aus der Motorradkonstruktion aufnimmt, aber dennoch vier Personen Platz bietet, soll in wenigen Jahren ein spezielles leichtes Stadtfahrzeug folgen.
Die akkubedingt derzeit noch geringen Reichweiten der E-Antriebe fallen im Zweiradbereich am wenigsten ins Gewicht, entsprechend boomen dort die Verkaufszahlen. Magna Marque verkaufte von seinem BionX-Fahrrad-Antrieb vor zwei Jahren noch 3000 Stück, nächstes Jahr werden es 200.000 sein, berichtet Marque-Miteigentümer Manfred Gingl. Und Stefan Pierer von KTM setzt auf elektrisch angetriebene Cross-Motorräder, die den Lärm bei einschlägigen Veranstaltungen minimieren sollen.

Forschung, Infrastruktur und internationale Erfahrungen.
An der TU Graz, berichtet Vizerektor Franz Stelzer, wird nicht nur in verschiedensten Bereichen an den technischen Voraussetzungen der E-Mobilität geforscht – von Ladetechnologien über Leistungselektronik bis zu Range Extendern –, Studierende bauen auch den ersten elektrischen Formula-Student-Rennwagen und ein weiteres Fahrzeug, das mit einem Liter Benzinäquivalent weiter als 1000 Kilometer fahren soll. Mit der Errichtung öffentlicher Ladestellen befassen sich nicht nur Energieversorger, sondern auch Supermarktketten wie SPAR. Der Verbund versucht vorzupreschen und präsentiert ein fertiges Modell einer Stromtankstelle; Energie Steiermark und Graz AG wollen ihr eigenes Tankstellen-Netz errichten und SPAR wird in Kürze bei seinen Filialen Ladestationen für E-Bikes einrichten.
Der aus der Expo-Stadt Shanghai angereiste Stadtplaner Ma Jun berichtete, dass in China die Entscheidung für Elektromobilität bereits vor 10 Jahren gefallen sei, 2024 werde es kaum mehr traditionelle Fahrzeuge geben, sondern vorwiegend Hybridautos, die wiederum schrittweise durch reine Elektrofahrzeuge ersetzt würden. Bis 2010 sollen 17.000 Ladestationen errichtet werden – schon jetzt sind 120 Millionen E-Mopeds (!) in Betrieb.

Nur Strom aus erneuerbarer Energie macht Elektroautos umweltfreundlich. Auf den Klimaaspekt der elektrischen Mobilität wies schließlich Gerfried Jungmeier von Joanneum Research hin: „Wir brauchen nicht nur neue Elektrofahrzeuge, sie müssen auch Diesel- und Benzinfahrzeuge ersetzen. Und der zusätzliche Strom muss aus erneuerbaren Quellen stammen, sonst kann der Effekt eintreten, dass E-Fahrzeuge für höhere CO2-Emissionen verantwortlich sind als Benzin- oder Dieselfahrzeuge.“ Werden 320.000 herkömmlicher Fahrzeuge durch Elektroautos ersetzt, könnte die CO2-Reduktion bis zu 700.000 Tonnen jährlich betragen. In all diesen Berechnungen ist auch der gesamte Energieaufwand enthalten, der für die Produktion des Fahrzeuges und der Akkus benötigt wird. „Elektrofahrzeuge verursachen in der Herstellung – auch wegen der Speicher – etwas mehr CO2-Emissionen“, sagt Jungmeier im KORSO-Gespräch, „aber das wird eben mehr als wettgemacht, wenn der Strom für den Betrieb aus erneuerbarer Energie – vor allem aus Photovoltaik oder Wasserkraft – stammt.“ Das noch immer kursierende Gerücht, Photovoltaikpaneele benötigten für ihre Produktion mehr Energie, als sie im Laufe ihres zumindest zwei Jahrzehnte währenden Lebens erzeugen, verweist Jungmeier übrigens in den Bereich der „urban legend“: Spätestens nach zwei Jahren haben sie schon die Energie hereingespielt, die bei ihrer Herstellung verbraucht wurde.


Dr. Oswin Kois,
Energie Steiermark

Wir setzen auf „Anschubfinanzierungen“, wobei wir uns bis jetzt auf E-Bikes konzentrieren, weil in diesem Bereich die Zeit des Experimentierens vorbei ist. In Kooperation mit Giga-Sport wird ein eigenes Energie-Steiermark-Fahrrad herausgebracht werden und bis Juni werden wir einige E-Autos in unseren Fuhrpark aufnehmen. Mit Magna und der Graz AG arbeiten wir am Aufbau eines Kompetenzzentrums für E-Mobilität, und bis Ende des Jahres wollen wir 50 Ladestationen in der ganzen Steiermark errichten.
Was die Ladestationen betrifft, so bin ich froh, dass es schon jetzt im Rahmen dieser großen Konferenz zu ersten Gesprächen über eine Koordination kommt. Ich halte nichts davon, wenn wir in Hinkunft rote, grüne und graue Ladestationen und, noch schlimmer, fünf verschiedene Ladestecker haben – und verärgerte Kunden.

DI Wolfgang Malik,
Graz AG

Wir haben 1000 Autos in unserem Fuhrpark, bis 2015 sollen 10% davon E-Fahrzeuge sein. Wir wollen Litfasssäulen, Straßenlaternen etc. als Tankstellen anbieten und die E-Mobilität der Straßenbahn mit individueller e-mobility ergänzen.
Was die Ladestationen betrifft, werden Energie Steiermark und die Graz AG eine gemeinsame Linie finden. Elektromobilität fängt aber nicht an der E-Tankstelle an, sondern ist auch eine Frage der Bewusstseinsbildung. Wir wollen da in Zukunft mit eigenen Fahrzeugen beispielgebend wirken.

Dr. Gert Heigl,
Energie Graz

E-Mobility ist ein entscheidendes Thema, wir haben bereits eine E-Tankstelle beim City-Park im Einsatz und wollen eine weitere mit einem Schließfachsystem für Akkus bei der Uni Graz eröffnen. Je nach Bedarf sollen dann in den nächsten drei bis vier Jahren 40 Ladestationen in Graz errichtet werden. Der Mehrbedarf an Strom wird nicht hoch sein, er sollte allein aus Photovoltaik gedeckt werden. Wir planen Photovoltaikanlagen mit einer Kapazität von 200 kW zu errichten, gestern erst wurde die Entscheidung getroffen, eine Anlage mit ca. 1500 m2 auf der Busremise in der Kärntner Straße zu installieren.

Bgm. Mag. Siegfried Nagl
Ich habe diese Konferenz unter anderem deswegen initiiert, weil ich nicht will, dass unsere wunderschöne Stadt weiterhin als Feinstaubhochburg Europas gehandelt wird. Zum Zweiten haben gerade wir in Graz mit den hier ansässigen einschlägigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen die Chance, Wertschöpfung und Green Jobs im Bereich E-Mobility zu schaffen. Und nicht zuletzt nützen solche Kongresse auch der Gastronomie, Hotellerie und dem Handel.
Die Stadtplanung muss sich jetzt überlegen, welche Infrastruktur wir für die Elektromobilität brauchen, und die Stadt muss ihre eigene Flotte entsprechend umstellen. Das geht bis zum E-Fahrrad, mit dem ich als Bürgermeister bald unterwegs sein werde, und bis zu den Dienstwägen. Und natürlich müssen wir für die Ladestruktur gemeinsame Normen finden – dazu wird die Stadt auch ihre Verfügungsgewalt über die öffentlichen Flächen nutzen.
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