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„Rusalka“, „Die Csárdásfürstin“, „Peepshow“, „Weh dem, der lügt!“ und „Leonce und Lena“ |
Mittwoch, 17. Februar 2010 | |
Fußfrei – Theatertrips und -tipps
Rusalka: Zu viele Motive. Das Publikum sucht noch seine Plätze, während auf der Bühne die Abendstunden in einer kafkaesken Kleinstadt immer wieder von vorn ablaufen. Ein Ecklokal – einmal „Lunatic“, dann „Solaris“ genannt – signalisiert die Nacht- und Tagseite, Romantik und Wahnsinn von Antonin Dvoráks „lyrischem Märchen“ „Rusalka“ – zumindest in der Inszenierung von Stefan Herheim. Dvoráks „Rusalka“, wie die Undinen, die jungfräulichen Wasser- und Elementargeister im Slawischen heißen, ist eine Variation von Friedrich de la Motte Fouqés „Undine“ oder Andersens „Die kleine Seejungfrau“. Die Nixe missachtet die Warnungen des Vater-Wassermannes und kehrt mit Hilfe der Zauberin Jezibaba ihrem eigentlichen, nassen Element den Rücken. Aber wie die Nixe niemals siegen kann und sich zum Schluss in Schaum auflöst, ist auch Herheims Über-Interpretation – ein Spiel, das sich nicht gewinnen lässt. Über Andersens homoerotischen Lustverzicht hinausgehend erzählen Regie und Dramaturgie (Wolfgang Willaschek) sehr frei eine männliche Lust- und Gewaltprojektion, in deren Rahmen der Wassermann seine Frau im wahren, bürgerlichen Leben massakriert. Unheimliche Romantik, Wasser und Wald für das Sinnlich-Unbewusste, Schaufenster mit Beate-Use-Puppen zu ebener Erde, dafür im ersten Stock bürgerliche Verklemmtheit, aufreizende Nymphen und männliche Hybris … Jede Menge, zu viele Motive. Bis der geisteskranke Mörder in der dramaturgisch ohnehin nicht besonders kompakten Oper vom gelb markierten Tatort geführt wird, dauert es arg lang. Dabei beweist Stefan Herheim, der in Graz bereits mit einer halsbrecherischen Carmen begeistert hat, auch diesmal mit beeindruckender Kompetenz, dass Naturwesen und Menschen, Nixen und Prinzen irgendwie nicht zueinander passen. Johannes Fritzsch führt das Grazer Opernorchester zu einem vollen, feurigen Klangkörper zusammen und die Sänger (Gustav Belacek als Wassermann, Gal James als Rusalka und vor allem Dubravka Musovic als Jezibaba) machen das motivische Verwirrspiel zu einem Genuss. Absolut empfehlenswert; vor allem für Freunde von Bildungstests auf der Grundlage von Dr. Dvorák und Kommissar Freud. Noch am 07., 25., 27. Februar und am 03. und 12. März. Die Csárdásfürstin: ironisierte Genrebilder von makelloser Prägnanz. Erst fliegen die Kleidungsstücke durch die Luft, dann die Handgranaten und im Variété hängen alsbald die pompösen Aktbilder schief. Auch Peter Konwitschny inszeniert in die „Csárdásfürstin“ hinein, was Partitur und Libretto nachweislich nicht erzählen. Aber die Einbeziehung des Ersten Weltkriegs als Hintergrund für die 1915 uraufgeführte Operette leuchtet unmittelbar ein. Mit fortlaufender Handlung – Fürstensohn liebt Variétékünstlerin und schließt vor der Einberufung einen Ehevertrag mit ihr, den er aber dann halb verdrängt, um dem Standesdünkel des Vaters gerecht zu werden – fordert der Krieg immer stärker sein Recht. Champagner und Leichengeruch parfümieren einen aberwitzigen Tanz auf dem Vulkan. Graf Boni richtet verliebt eine phallische Panzerfaust auf Komtesse Stasi, sie greift sich einen Kopflosen für ein Tänzchen … Als der strenge Fürst schließlich erfährt, dass er ebenfalls mit einer Variétésängerin verheiratet ist, hat sich die Csárdásseligkeit längst in Ernüchterung verwandelt. Die Liebenden finden ihr Happy End nur mehr auf einem öden Schlachtfeld oder zwischen Ruinen und der ausgestreckte Arm eines „vielseitigen Kellners“ wirft schon seinen drohenden Schatten. Konwitschnys ironisierte Genrebilder sind von makelloser Prägnanz, seine Inszenierung läuft wie auf Schienen und trotzdem kommt der Abend nicht so recht in Fahrt. Tatsächlich lässt das Grazer Philharmonische Orchester unter Tecwyn Evans es diesmal etwas an Feuer vermissen. Dabei ist Götz Zemann als Feri von Kerekes hervorragend und Gerhard Balluch, der als Fürst von und zu Lippert-Weilersheim ein bisschen wie Stalin aussieht, gewinnt das Publikum mühelos. Sieglinde Feldhofer ist eine sehr frische Komtesse Stasi, und Éva Bátori schlägt sich wacker als Variétékünstlerin Sylva Varescu. Ladislav Elgr ist als Fürstenspross Edwin in seiner Verliebtheit schon wieder unheimlich und zeigt mit Martin Fournier (Graf Boni) auch körperlich beachtlichen Einsatz. Anders als Herheims „Rusalka“ landet Konwitschny mit der „Csárdásfürstin“ einen konzeptuellen Sieg. Wenn die Aufführung trotzdem kein Triumph ist, dann vielleicht, weil Konwitschny inzwischen Opfer einer Aufklärung ist, die er selber durchgesetzt hat. Der Tanz mit dem Kopflosen, die Intervention des Dirigenten oder das Défilé der ganz reizenden, weiblichen Krüppel vor dem Vorhang, 1999 noch Erregungsanlässe in Dresden, werden in Graz mittlerweile kennerisch genossen. Was kommt danach? Die beste augenblicklich vorstellbare Inszenierung. Noch am 06. und 24. Februar und am 07., 14., 19. und 25. März. Peepshow: Anleitungen, wie man sich trennt. Das Mini-Amphitheater aus Homogenholz für „Peepshow“ auf der Grazer Probebühne steht im Widerspruch zur im Titel signalisierten Verengung des Blickfeldes – einerseits. Andererseits gewinnt durch diese Bühne Marie Brassards bereits bei den Wiener Festwochen aufgeführter Text bei aller Coolness zusätzlich archaische Kraft. In der Inszenierung von Anna-Sophie Mahler wird eine wunderbare Martina Stilp zum Zentrum eines Ritus, den das amüsierte und betroffene Publikum gleichsam mit vollzieht. Der eingangs beschworene Wald nebst See steht für Geschlechtlichkeit, der böse Wolf für männlichen Sex, aber das Kaleidoskop aus immer nur angerissenen Figuren lässt sich nicht auf einen Geschlechterkampf reduzieren. Ob kleine Schülerin, einsamer SM-Praktikant, durch die Nacht streunender Teenager, ihre Verlassenheit wegträumende Träumerin, oder sogar ein Hündchen: „Tu etwas für mich. Tu mir weh. … Wenn ich nur eine Möglichkeit wählen kann, wie kann ich dann alles haben? …Ich weiß, dass das nicht stimmt. Aber was weiß man schon“. Die Inszenierung insgesamt ist wie die Bühne geprägt von Sparsamkeit und Transparenz. Diese schöne Schmucklosigkeit ist auch das Verdienst von DJ Gerriet K. Sharma. Im Schneidersitz hockend spielt er der proteushaft ihre (Mini)Rollen wechselnden Schauspielerin seine Töne zu, ohne jemals auf akustische Überwältigung oder billige Illustration zu zielen. Einmal erzählt Martina Stilp von der Welt als Kristallkugel in einer Kristallkugel in einer Kristallkugel … und das lässt sich auch von diesem Abend sagen, der in seinem Minimalismus eine ganze Theaterwelt einfängt. Wer die Filme von Chantal Akerman oder Claire Denis mag, wird den Abend lieben Noch am 02., 08. und 24. Februar und am 15. und 22. März Weh dem, der lügt: Das Ganze ist weniger als seine Teile. Tobias Kratzer, Finalist des Europäischen Opernregiepreises, liefert gemeinsam mit seinem Ausstatter Rainer Sellmaier, Gewinner des Ersten Preises und sämtlicher Sonderpreise des Grazer Ring Awards für „Rigoletto“, eine post-postmoderne Inszenierung von „Weh dem, der lügt“ am Grazer Schauspielhaus. Bei Grillparzers (einzigem) Lustspiel geht es immerhin um die Forderung nach absoluter Wahrhaftigkeit in einer unvollkommenen Welt. Der Küchenjunge Leon erträgt das Knausern seines Arbeitgebers, des Bischofs Gregor von Chalons, an den nötigen Nahrungsmitteln nicht. Der geistliche Wahrheitsfanatiker muss sich nämlich das Lösegeld für seinen von Graf Kattwald im Rheingau gefangenen gehaltenen Neffen Atalus buchstäblich vom Mund absparen. Um dem abzuhelfen, also um seine Arbeitsbedingungen zu verbessern, macht sich der Küchenjunge erbötig, den Neffen zu befreien. Sein Unternehmen wird allerdings durch das Gebot des Bischofs, immer nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, erheblich erschwert … Daneben ist der Geschichte auch eine Aufsteigerkarriere eingeschrieben – der Küchenjunge Leon ernennt sich selbst zum Küchenchef und wird am Ende der Mann der heidnischen Herzogstochter Edrita …alles auf einer Kulturgrenze zwischen Heiden- und Christentum, Barbarei und Zivilisation angesiedelt. Der Vortrag von Kochrezepten ist ein hübscher Einstieg, der Bischof mit Diktiergerät kein schlechter Gag. Aber: Wenn nach der Pause tatsächlich Essensgerüche den Theaterraum durchziehen, wird man wieder nur gereizt, nicht befriedigt. Was dem Abend ein wenig abgeht, ist ein über den schönen Effekt hinausgehendes Verhältnis des Regisseurs zu seinem Stoff. Ein konsequenterer Erzähler ist da Rainer Sellmaier (Bühne und Kostüme). Die Riesenküche erinnert an eine lichte Kathedrale und natürlich auch an Greenaways „der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“. Sellmaier kleidet Franz Xaver Zach und Franz Solar als Bischof und Hausverwalter in das Grau von Untoten, oder – Doppellrollen! – als heidnischer Kattwald bzw. als dessen Aufseher Mesner in grüne Phantasieuniformen. Auch Thomas Frank als starker und dümmlicher Bräutigam Galomir trägt dieses Outfit und zeigt wie die übrigen Wilden eine blaue Hautfarbe: Heiter-krasse Überzeichnungen, wenn auch die verbalen Äußerungen der Protagonisten gelegentlich an die Onomapoetik von Comicfiguren erinnern. Franz Solar und Jan Thümer (Neffe Atalus) werden ihrem Ruf als Komiker glänzend gerecht. Als Bischof ist Franz Xaver Zach ein wenig blass, als ambivalenter, gutmütig-grausamer Herzog Kattwald, der auch „Kultur“ beweisen will und sich deshalb einen Frankenkoch leistet, läuft er dagegen zu einer beunruhigend-komischen Form auf. Sophie Hottinger zeigt als Grafentöchterchen mit schrägem, unverfrorenem Witz völlig neue Seiten. Und Dominik Warta vollzieht seltsame, nicht recht erklärbare Rituale, mit denen er als Pilger eine Landschaft, als Fährmann ein Gewitter und eine Flussüberquerung (für die es auch prompt Szenenapplaus gibt) herbeizaubert. Für alle, die es auf klassischem Niveau gern richtig lustig haben. Noch am 04. und 12. Februar und am 03. und 20. März. Leonce und Lena: Zukunft mit No Future. Die derzeit ungemütlichste, vielleicht aber auch großartigste Aufführung an den Bühnen Graz ist „Leonce und Lena“ auf der Probebühne des Schauspielhauses, inszeniert von Bernadette Sonnenbichler. Man fragt sich, was diese von „Elling“ und „The Homefront“ her bekannte Spezialistin für geradezu abartig eigensinnige Regiearbeiten aus Büchners ironischer Verzweiflungskomödie um Prinz Leonce vom Reich Popo und Prinzessin Lena vom Reich Pipi machen könnte. Und zum Unterschied von Tobias Kratzers „Weh dem der lügt“ stellt Sonnenbichler jedenfalls ein eindeutiges Verhältnis zu ihrem Stoff her. Sie verwandelt die leichtfüßigen, schwermütigen Verzweiflungsaussagen des heiratsunwilligen Prinzen in Aggressionen und Autoaggressionen, lässt absurde Bonmots in Attacken ausagieren und die Helden (oder Opfer?) der Komödie sich in ihren grauen und schwarzen Kleidern einander zur Argumentation über den Spiel- und Denkgrund zerren und schleifen. Jeder ist sein eigenes, unbequemes Gefängnis, in dem er sich, wenn überhaupt, nur mehr ruckartig bewegen kann. An diesem Abend langweilen sich keine Prinzen und Höflinge, allenfalls hat eine Nullbockgeneration Hoffnungen auf gar nichts und Grufties machen sich schon mal mit Wittgensteinzitaten unverständlich. Die Regisseurin lässt diese menschlichen, von ihrem eigenen Ennui-Programm gesteuerten Automaten zu den Sounds einer gegenwärtigen Rapkultur oder Anklängen an Tom Waits steife, beklemmende Tänze aufführen. Der profunde Lebensüberdruss dieser Geschöpfe à la Edward Gorey geht einher mit ihrem Widerwillen gegen die eigene Identität, mit einem Identitätszerfall und natürlich gegen die drohende Hochzeit. Und selbst am Ende, wenn diese Zufallsautomaten Leonce und Lena einander glücklich geheiratet haben, ist kein Happy End in Sicht. Der Bräutigam philosophiert (oder lamentiert), die Kindsbraut in Schwarz setzt sich mürrisch auf die umgedrehte Badewanne. Gestemmt wird das alles von zwei großen, jungen Schauspielern. Sebastian Reiß als Leonce ist ein schwarzer, hellwach-unglücklicher Struwwelpeter und sein abgerissener Gegenspieler, der Valerio von Claudius Körber, ist ihm in seiner Nichtsnutzigkeit ebenbürtig. Katharina Klar gibt eine weiß geschminkte Horrorprinzessin, deren Puppe man nicht sein möchte und die sich am liebsten mit dem eigenen Haar erwürgen würde. Franz Josef Strohmeier als Hofmeister bedient Sabine Freudes Bühne aus Technotrödel – Schalter, Lichter und Luken einer zur Vergangenheit geworden Zukunft – meist verkehrt gehend, ein Oger mit einer Mischung aus grobem Unfug und Kindlichkeit. Als nächster Klassiker für Bernadette Sonnenbichler wäre wohl Becketts „Warten auf Godot“ fällig. Auf der großen Bühne, mit dem neuerdings historischen Ansatz … Noch am 10., 26. Februar und am 01., 21., 29. März.
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