Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Was schert uns der Krieg!
Mittwoch, 17. Februar 2010
Wimmlers Demontagen Richard Schenz ist in der österreichischen Wirtschaftslandschaft eine eher größere Nummer. Zuletzt war er bis 2004 zwölf Jahre lang OMV-Generaldirektor. Er ist neben vielem anderen Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich und der Industriellenvereinigung. Seit 2001 ist er auch „Kapitalmarktbeauftragter der österreichischen Bundesregierung“. Am 6. Juni 2008 schrieb Schenz einen zwei Seiten langen Brief an „Seine Exzellenz Me Feller Lutaichirwa Mulwahale“, den Vizegouverneur der Provinz Nord-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo. Er erklärt darin seine und Österreichs Unterstützung dabei, „die Region als einen erfolgreichen Spieler innerhalb der afrikanischen Nationen und sogar in einem globalen Zusammenhang zu etablieren“. Das knapp 60.000 Quadratkilometer große Gebiet „Nord-Kivu“ im Osten des Kongo ist eine Goldgrube (Gold, Edelsteine Pyrochlor u.a.). Deshalb streiten sich alle möglichen „Interessenten“ darum, unter ihnen auch der österreichische „Geschäftsmann“ Michael Krall. Für diesen wirft sich Herr Schenz in besagtem Brief ins Zeug: „Die andauernden Bemühungen von Mr. Krall (…) und die Resultate dieser Bemühungen (…) werden ein wichtiger Maßstab für andere österreichische Investoren mit heftigem Interesse an der Provinz Nord-Kivu sein.“

Rund vier Millionen Menschen sollen im Kongo im letzten Jahrzehnt umgekommen sein. Für Leute wie die Herren Krall und Schenz. Die damit natürlich überhaupt nichts zu tun haben. In jenem Gebiet, das vor gar nicht allzu langer Zeit noch belgische Kolonie war, dann nach kurzer Morgenröte, kolonialem Putsch und Ermordung Patrice Lumumbas französisch-belgische Neokolonie, europäisch-nordamerikanischer Rohstofflieferant und Waffenabnehmer, der zuletzt den Staatsnamen Demokratische Republik Kongo trug. Ein funktionierender, zusammenhängender Staat ist im Kongo längst Schimäre. Hierzulande ist meist vom „Bürgerkrieg“ die Rede, der dort herrsche. Aber es ist ein Krieg der fremdfinanzierten Warlords, die mit Waffen aus dem reichen Norden um die jeweiligen Rohstoffquellen Krieg führen. Wie der Herr Gouverneur der „Provinz Nord-Kivu“.
Mit euren Granaten und Bomben und Minen
Fahrt weiter so fort und lasst uns verdienen.
So spricht Fressack, der Sprecher der „Hyänen, die Menschengesichter tragen“, im Epilog des Monumentalwerks von Karl Kraus Die letzten Tage der Menschheit. Dieses laut Kraus „einem Marstheater zugedachte“ Drama wurde nach seinem Erscheinen vor rund neunzig Jahren in unseren Breiten erst spät zur Kenntnis genommen. In Wahrheit halbwegs entdeckt erst seit den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und auch dann eher nur auf den 1. Weltkrieg gemünzt, statt auf den modernen Krieg überhaupt. Dabei spricht Naschkatz, bei Kraus zweiter Sprecher der Hyänen, vor Leichen kauernd durchaus universell:

Wir sagen es ins Ohr euch, ihr solltet uns danken:
Dadurch, dass ihr hier liegt, geht’s besser den Banken.
Durch die Bank konnten sie das Kapital sich vermehren,
die Fusion mit der Schlachtbank kann man ihnen nicht wehren.
Ihr könnt noch von Glück sagen, so ruhig zu liegen,
wenn zugleich mit den Kugeln die Tausender fliegen.
Doch seid ihr entschädigt: ein jeder ein Held!
Ihr schwimmt ja in Blut, und wir nur in Geld.

Ich werde Sie hier nicht mit den anderen Reimen aus diesem Epilog behelligen, den Kraus Die letzte Nacht betitelte. Den Anklagen des Verwundeten beispielsweise. Oder dem Aufschrei des Sterbenden. Oder gar den Unterhaltungen der beiden Kriegsberichterstatter, durch die man sich in die Redaktionskonferenz der „Zeit im Bild“ oder der Kronenzeitung versetzt fühlen könnte. Wohl aber belästige ich Sie heute damit, dass die Bühnenmusik für Die letzte Nacht von dem 1898 geborenen österreichischen Komponisten Hanns Eisler stammt, dem als Musiker nirgendwo anders mit derartiger Missachtung und Feindseligkeit begegnet wurde und wird wie in unserem Idyllenmusikland. Hauptsächlich wohl, weil er das Sakrileg beging, Musik mit Politik für die Mühseligen und Beladenen, die Ausgebeuteten, Unterdrückten und Opfer in Zusammenhang zu bringen. Manchen Herrschaften reicht als Argument gegen Eisler noch immer, dass er Komponist der DDR-Hymne war (deren Qualität wenigstens zwanzig Jahre nach dem Untergang der DDR anerkannt werden könnte; und die als Hymne nur noch übertroffen wird von der ebenfalls von Eisler komponierten „Kinderhymne“ mit dem Text Brechts). Vor genau achtzig Jahren, in der Nacht vom 15. auf den 16. Jänner 1930, fand in Berlin (im Theater am Schiffbauerdamm) die Uraufführung und meines Wissens seither einzige Aufführung der „Letzten Nacht“ mit der Eisler-Musik statt. Als ob Kraus das Schicksal der Eisler’schen Musik vorausgesehen hätte, fasste er die Rezensionen dieser Aufführung in der der Aufführung folgenden Nummer seiner Zeitschrift „Die Fackel“ so zusammen: Das Äußerste an Infamie war wohl die Behandlung oder Nichtbehandlung des musikalischen Kunstwerks, das Hanns Eisler dem Text angegliedert hatte, der „Katzenmusik“, von der ein Unverantwortlicher sprach und der allein zuliebe schon alle Problematik eines Bühnendaseins der „Letzten Nacht“ hinzunehmen war. – Wo sind die heutigen Musiker und Theaterleute, die endlich die jahrzehntelange Schande beenden und das Werk wiederauferstehen lassen? Und dabei nicht zuletzt auch erinnern an Schauspieler, die Die letzte Nacht 1930 zur Aufführung bringen halfen. Da wäre beispielsweise Paul Morgan, geboren 1886 in Wien, gestorben 1938 im Konzentrationslager Buchenwald. Oder Wolfgang Heinz, nach dem Ersten Weltkrieg am Wiener Volkstheater, nach dem Zweiten Weltkrieg an der linken Wiener Scala, von dort nach Ost-Berlin vertrieben. Oder der fast nur noch als Film-Blödler bekannte Theo Lingen. Von dem bis heute nicht ganz klar ist, ob er sich mit oder ohne Dreck am Strecken schauspielernd um das Leben seiner jüdischen Frau durch die Jahre des Nationalsozialismus turnte, einer Frau übrigens, die als erste Frau Bertolt Brechts doppelt gefährdet war. – Lauter Tabus, die hierzulande noch Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Herrschaft ihre Wirkung tun.

So wie ein Mantel des Schweigens gehüllt wird über das, was „österreichische Investoren“ zum millionenfachen Morden beitragen. Und die Verklärung dessen durch das mediale Flächenbombardement. Kriege brechen nicht einfach aus. Sie haben Ursachen. Die Täter haben „Name, Anschrift und Gesicht“. Kraus und Eisler machten sie durch ihre Kunst sichtbar – und gaben ihre Stimme den Opfern.
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