Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Es lebe das Weihnachtsgeschäft! Mit Kehlmann?
Freitag, 18. Dezember 2009

Wimmlers Demontagen - von Karl Wimmler

Es ist jedes Jahr dasselbe: Die Bedeutung des Weihnachtsgeschäfts wird immer wieder völlig unterschätzt. Dabei wird man ohnehin schon frühzeitig sensibilisiert. Spätestens mit der ersten Lebkuchenauslieferung beim Hofer Anfang September müsste jedem klar sein: Heuer geht’s ums Ganze!

Aber da sich bis Allerheiligen noch immer nichts Wesentliches tut, laufen spätestens ab Anfang November alle Wirtschaftsjournalisten des Landes nicht nur die offenen Türen sämtlicher Wirtschaftsinstitute des Landes ein, sondern droht auch jedem dahergelaufenen BWL-Absolventen die bange Frage: „Wie wird das heurige Weihnachtsgeschäft?“ – An und für sich könnte man jedes Jahr einfach die meisten Wortspenden beispielsweise der letzten drei Jahrzehnte wiederholen (ausgenommen 1989/90) – und läge nicht falsch. Aber irgendwer käme sicherlich dahinter und konstruierte daraus wieder einen Skandal oder kramte die hinausgeschmissenen Kosten dieser oder jenen „Studie“ aus der Schublade (was, nebenbei gesagt, viel zu selten passiert). Und einer der vielen kritischen Journalisten deckte auf, dass sträflicherweise die Frage übersehen wurde: Wirkt sich der Quelle-Konkurs positiv oder negativ auf das Weihnachtsgeschäft aus? Und schon entstünde ein Streit unter den Experten, ob der Ausverkauf von Quelle-Waren „die Konsumenten“ mehr zu „Vorziehkäufen“ animiert oder das Geschäft der Konkurrenz ruiniert habe.

Die Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen. Und Anfang des Neuen Jahres, wenn die Weihnachtsfeier- und Silvesterräusche verraucht sein und die lohnabhängig Beschäftigten und Unbeschäftigten ihren Kater in der wirtschaftlichen Realität spiegeln werden, wird kein Hahn mehr nach den Weihnachtsgeschäftsprognosen krähen. Die Experten werden über „leichtes Plus“ da und „Minuswachstum“ dort reden – im Wintertourismus. Und die Bettenauslastung. Und dann kommt das Wetter. Nicht nur touristisch: Springt die Baubranche heuer früher an als letztes Jahr? Und die Buchungslage der Reisebüros? Und so weiter. „Wirtschaftsjournalistik“ halt, gepaart mit dem, was in unseren Breiten als „Wirtschaftswissenschaft“ üblich ist. – Stopp! Eigentlich wollte ich nur übers Weihnachtsgeschäft reden. Wie die Leser meiner Texte wissen, kenne ich mich dabei überhaupt nicht aus. Nicht einmal beim Buchhandel. Aber da zu Weihnachten auch Unmengen an Büchern verschenkt werden, hätte ich wenigstens in diesem Bereich einen konstruktiven Vorschlag: Lassen Sie heuer vielleicht die Bücher von Daniel Kehlmann weg! Nicht, weil er ohnehin „Bestsellerautor“ ist und es nicht unbedingt nötig hat (obwohl das auch kein zu verachtender Grund wäre). Auch nicht, weil seine Bücher schlecht wären. Es gibt Legionen von schlechteren. Und auch nicht hauptsächlich wegen seiner heurigen Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. Deswegen allerdings schon eher: Wer den dort versammelten Vertretern der hiesigen und benachbarten Herrschenden aus Politik und Wirtschaft derart in den Arsch kriecht, hat irgendwann einmal eine Rote Karte verdient (der aus Kärnten stammende Theatermacher Johann Kresnik hat zu Kehlmanns Salzburger Rede alles Nötige gesagt: „Eitel, selbstbezogen und inhaltlich uninteressant“).

Kehlmann vs. Brecht – eine etwas ungleiche Auseinandersetzung. Die Gründe, die ich Ihnen als Argument für einen weihnachtlichen Verzicht auf Daniel Kehlmann nahe legen möchte, hat mir der unterschätzte Wiener Schriftsteller Erwin Riess nahegebracht. Indem er – in der Wiener Literaturzeitschrift „Wespennest“ - jene Rede unter die Lupe nahm, die Daniel Kehlmann zur Eröffnung des letztjährigen Brecht-Festivals in Augsburg vorgetragen hatte. Es würde zu weit führen, alle Facetten dieser Rede auszuleuchten. Belassen wir es für heute beim folgenden Zitat „Immer wieder sehen wir bei ihm (Brecht, K. W.) dieselben dialektischen Rechtfertigungsgebilde: Galilei, der eben nicht dorthin geht, wo alles zum Besten steht, sondern dorthin, wo er gebraucht zu werden meint; jener gute Mensch von Sezuan, der ein böser Mensch werden muss, weil die Dinge eben so sind und es anders nicht geht; der Richter vor dem Kreidekreis, der zwar bestechlich ist, aber hintenherum das Gute fördert. Immer jene brillant wendungsreichen Fabeln, in denen ein Autor sich mit sich selbst wie mit seinen Zuschauern ins Benehmen darüber zu setzen sucht, dass man sehr wohl auf der Seite der Täter stehen könne, ohne doch einer von ihnen zu sein, dass man in der Tat Loblieder auf den Diktator verfassen dürfe, ohne doch als dessen vollgültiger Anhänger gelten zu müssen, kurz, dass es nicht unbedingt ein Widerspruch sei, die Sowjetunion zu unterstützen und Moskau doch so schnell wie möglich  zu verlassen.“ – Erwin Riess kommentiert knapp: „Die Dialektik ein fauler Zauber, Galilei ein verschlagener Unhold, Brecht ein zwielichtiger Dichter, dessen Texte gegen ihn gekehrt werden müssen. Der primitivste Ladenhüter der Rezeptionsgeschichte – die bösartige Vermengung von Leben und Kunstwerk – hier tritt er in reiner Form auf, gilt es doch, die bösen Linken jetzt, da die Nachfrage nach ihren Irrlehren wieder größer zu werden droht, ein für allemal auszulöschen.“ Soweit Erwin Riess in der Zeitschrift „Wespennest“ – Wenn Sie Zeit haben, lesen Sie den gesamt Riess-Text mit ausreichend Kehlmann-Zitaten unter: http://www.servus.at/VERSORGERIN/82/brecht.html. Die Kehlmann-Rede müssten Sie selbst suchen; sie erschien am 19./20.Juli 2008 in der Süddeutschen Zeitung.

In diesem Sinne – ein Gutes Neues Jahr! Mit Brecht, ohne Kehlmann.


Karl Wimmler ist Historiker und Kolumnist des KORSO.
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >