Öffentlicher Raum ist im Grunde kaum je das, was seine Widmung verspricht. Zweckbestimmungen und Verhaltensregeln verspinnen einen scheinbaren Freiraum in ein undurchschaubares Netz von Segmentierungen. Es sind jene Grenzen zwischen öffentlichem und Privatraum, an denen Sylvia Winkelmayer ihre künstlerischen Arbeiten ausbalanciert. Erlernte Verhaltensmuster werden in Frage gestellt, Zwischenräume als Arbeitsfelder und intime Kleinsträume als Untersuchungsorte des Öffentlichen aufgetan.
Von Lücken und Fugen, Füllmaterialien und Kubikdezimetern. Als Baustellenarbeiterin getarnt und von notwendigen Requisiten umgeben ist Sylvia Winkelmayer in städtischen Asphaltwüsten mit der Materialsicherung eines ungenützten Raumes beschäftigt. „dm3 – öffentliche Raumerweiterung“ nennt sich ein Projekt, das die Künstlerin in den letzten Jahren am Wiener Praterstern, am Grazer Griesplatz und in Feldkirch verwirklichen konnte.
Wenn alles Öffentliche definiert und einem bestimmten Zweck gewidmet zu sein scheint, wendet sie sich jenen Räumen zu, die gemeinhin ausgeklammert sind, stochert in Ritzen herum, saugt das lose Material heraus und misst die gewonnenen Freiräume, die so freilich mehr gedanklich als körperlich nutzbar gemacht werden, mit Flüssigkeiten aus, die sie darin erstarren lässt. Vollgefüllt, bis die grelle gelbe oder grüne Lösung an die Oberfläche gelangt, werden die Furchen im Parkett des Stadtraumes so malerisch nachzeichnet. Das gewonnene Material wird aufbewahrt und die eingegossene Masse hat die Eigenschaft mit der Zeit wieder einzureißen, um dazwischen ein neues Freiraumnetz zu ermöglichen.
Aber was eröffnet uns dieser Zwischenraum, was bewirkt diese durch Spannungen entstandene Kluft im so perfekten Belag der Städte? Was machen diese Risse auf, welchem Darunter machen sie Luft? Sylvia Winkelmayer will Freiräume verstärken, hervorkehren, zeigen, wie viel Raum da ist und genutzt werden könnte. Zumindest metaphorisch. Nichts ist so verplant und verbaut, wie es auf den ersten Blick scheint, Öffnungen tun sich allemal auf. Die Umgebung arbeitet. Sie kann noch so fest zementiert wirken. Brüche allerorten. Auch die Kunst ist nur ein Lückenfüller, soll die Flächen nur temporär besetzen.
Intime Kleinsträume mitten in der Öffentlichkeit. Einen ganz anderen Zwischenraum nutzt Sylvia Winkelmayer in einem Fotoprojekt, eine Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Dabei wird ein Bildausschnitt ins Zentrum gerückt, der uns zwar geläufig, aber kaum je der näheren Beachtung wert scheint. Eine Tabuzone weit unter Augenhöhe. Die Kamera kommt von unten, zwischen Fliesenboden und Trennwand tun sich in öffentlichen WC-Kabinen voyeuristische Blicke in die Nachbarzelle auf. Diese „Bodenhaftung“ in der Fotografie legt jede Bedeutung auf die Füße, das Schuhwerk, das Beinkleid, die Standfestigkeit – eine Facette, die ein Bild ergibt, Personen und Persönlichkeiten vor unserem inneren Auge imaginiert. Das Klicken des Fotoapparates liefert sie dem Betrachter aus. Verunsichert sie in ihrer angeblichen Intimsphäre inmitten des öffentlichen Raumes, der rundum ohnehin bereits mit Kameras lauert. Das WC als vermeintlich letzter Rückzugsort zwischen Sicherheitsstrategien und Überwachungsmechanismen. Eine Illusion von Privatheit, die hier behutsam enttarnt wird.
Private Räume und persönliche Zeichen. Anders geht die Benutzung und Aneignung von Innenräumen vor sich: die Spuren der Menschen, die hinterlassen werden, hat Sylvia Winkelmayer in ihrer Ausstellung „materials“ im Grazer Rondo geprüft. Die Technik der Personenidentifikation machte individuelle „Zeichnungen“ der letzten Bewohner sichtbar. Fingerabdrücke wurden auf Glas mit Silbernitrat zu Kunstwerken gemacht, die nur bei genauem Hinsehen und bestimmten Lichtverhältnissen erkennbar wurden. Der eigene Schatten in Form des zweidimensional an die Wand gebrachten Arbeitsplatzes, der Schreibtisch, machte die Anwesenheit der Künstlerin in ihrem Atelier für den Besucher deutlich – an die Wand des sonst leeren Raumes projiziert.
Ausweichen, Umgehen, Abgehalten werden – Baustellen und die dazu geläufigen Materialien lösen die immer gleichen Verhaltensmuster aus – laufend werden wir auf rot-weiß-gestreifte Linien trainiert. Absurde Absperrungen öffentlicher Plätze aus materiellen Versatzstücken der Baustelle reizen diese oft unbewussten Handlungen: Stellt sich der Einzelne noch die Frage, warum er wie handelt, oder folgt er einfach den erlernten Gesetzen des Öffentlichen oder den Reaktionen der Masse? Wann und wo durchbricht eine Absperrung und was heizt die Menge oder gar den Einzelnen zum Durchbruch an? Am Wiener Urban-Loritz-Platz riegelte Sylvia Winkelmayer den Weg zum U-Bahn-Abgang großflächig ab, um diese selbstverständlichen Gesten zu beobachten. Im morgendlichen Menschenfluss, der unberechtigtes Stehenbleiben unmittelbar ahndet, wurde die Absperrung nach einigen Stunden schließlich von einem Passanten durchbrochen.
Die Funktion von Plakaten in Kunstbetrieb. Auch mediale Versatzstücke im öffentlichen Raum dienen Sylvia Winkelmayer als künstlerische Ausdrucksmittel. Die Beschäftigung mit Künstlerbiografien regte dazu an, eine fingierte Ausstellung medial über Plakate anzukündigen. Am angegebenen Ort und zur angegebenen Zeit wäre diese Ausstellung aber gar nie möglich gewesen. Kritisch-ironisch werden hier neben den Mechanismen einer Öffentlichkeit und ihrem Wahrnehmungsfeld auch die Mechanismen der Kunstwelt auf ihre Lücken hin untersucht. Lücken im Lebenslauf können leicht aufgefüllt werden. Es genügt scheinbar die Investition in eine Plakataktion. Die Öffentlichkeit wird die Ankündigung registrieren und die Existenz der Ausstellung wohlwollend ignorieren.
Weggesperrte Privatheit. Privat und öffentlich ist auch im Shoppingcenter untrennbar verflochten. Man fühlt sich öffentlich, bewegt sich aber auf privatem Terrain und unterwirft sich damit mehr oder weniger unbewusst Hausordnungen und Reglementierungen. Aber Sylvia Winkelmayer spürt auch hier ein Stückchen Privatheit auf – in den geräumigen Schließfächern, die, öffentlich wirksam verglast, als Zellen zur Einschleusung von Fremdmaterial im Shoppingcenter herangezogen werden können – simpel um einen Euro Kaution angemietet, die angedrohte abendliche Leerung in Kauf nehmend.
Es ist jene Begrenztheit und Dimensionalität, die die Künstlerin scheinbar herausfordert. Nicht Privates wird von ihr dort untergebracht – im Gegenteil: der Einkaufswagen als Symbol des umgebremsten Warenverkehrs wird zerstückelt, portioniert und weggesperrt. In Fragmente zerlegt, aber völlig außer Funktion gesetzt, wartet er publikumswirksam auf die abendliche Verschrottung. Einmal aus dem dimensionierten Kästchen entfernt, verliert er sein räumliches Bezugsystem und muss – einem Trugbild gleich – in sich zusammenfallen. Gleichsam wie das „Trugbild“ öffentlicher Raum als leere Versprechung von Sylvia Winkelmayer immer wieder auf subtile Weise enttarnt wird.
| Eva Pichler SYLVIA WINKELMAYER...
wurde 1981 in Wagna geboren; 1995-2000 HTBL Ortweingasse Graz (Keramik); 2000-2004 Publizistik und Kommunikationswissenschaften, Universität Wien; 2003-2007 Universität für Angewandte Kunst Wien / Klasse Medienübergreifende Kunst (Bernhard Leitner, Erwin Wurm); 2006-2007 Auslandsstudium Hochschule für Gestaltung Luzern (Animationsfilm); 2004 Gründungsmitglied der Gruppe MIR (Hannah Swoboda, Gerald Wenzl, Sylvia Winkelmayer); seit Jänner 2009, Arbeitsatelier Rondo (Graz). Ausstellungen (Auswahl): 2005 „Absperrung“, WUK und Urban-Loritz Platz; 2006 Heinestraße (Gruppenausstellung Klasse Erwin Wurm), Essence, MAK, Wien; 2006 „Sylvia Winkelmayer / fingierte Ausstellung“, Plakataktion; 2007 Der gesichtslose Blick, Kunstraum Niederösterreich, Wien und Brukenthal Museum, Sibiu; 2007 MIR. beyond the borderline, Kunsthalle Wien, project space; 2007 Toilettenprojekt Wien – Luzern; 2007 „78dm3. Die Lücke im Raum“, Heiligenkreuzerhof; 2007 „Damentoilette“, Fotoprojekt; 2008 „dm3 – öffentliche Raumerweiterung“, poolbar Festival, Feldkirch; 2008 „Die Lagebesprechung“, ESC, Graz; 2009 materials, Rondo, Graz; 2009 Imagineering, Graz, Markthalle am Lendplart lebt und arbeitet in Wien und Graz.
Mit Unterstützung durch die Kultur Service Gesellschaft stellt KORSO monatlich in der ARTBox steirische KünstlerInnen vor.
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