Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Meine und andere Prognosen
Mittwoch, 10. Juni 2009

Wimmlers Demontagen - von Karl Wimmler

Das Bedürfnis, in die Zukunft blicken zu können, ist seit eh und je weit verbreitet. Davon leben nicht nur die Horoskopproduzenten und -produzentinnen. Deren in aller Regel bodenloses Fabulieren war im Altertum wenigstens noch ideologisch-religiöses Erfordernis – als beispielsweise die römischen Auguren den Willen der Götter zu erforschen hatten.

Heutzutage hingegen stierln sogenannte Wirtschaftsforscher in einem täglich neuen Datensalat, um dann für das laufende Quartal, bestenfalls Jahr, nicht etwa für eine über das Heute hinausweisende Zukunft, irgendwelche Parameter zu „prophezeihen“. Allerdings befriedigt das das Begehren nach Wissen über die Zukunft natürlich nicht. Daher gibt es auch anderes. Im April dieses Jahres zum Beispiel startete derstandard.at, die Onlineausgabe der Tageszeitung gleichen Namens, eine Serie, die in diesen Tagen ausläuft: „Die Welt in 20 Jahren. Wie wird die Technologie die Welt in 20 Jahren verändert haben?“ – Ein paar Beiträge der Geistesgrößen dieses Landes habe ich überflogen – Wer es nicht gelesen hat, hat nicht viel versäumt. Der Herr Wissenschaftsminister zum Beispiel träumt von mehr Erfindungen wie jenem „intelligenten Fenster“, das sich selbst reinigt (und das – österreichisch – „einen weltweiten Erfolg gelandet hat“). Herr Josef Zotter (Schokolade) hofft, dass wir „mit mehr Ökologie und Nachhaltigkeit in 20 Jahren eine bessere Welt hätten“. Und der Bundeskanzler besänftigt oder droht, dass sich nichts ändern wird: „Das Bedürfnis der Menschen nach Glück, Geborgenheit und beruflicher Erfüllung wird sich nicht ändern.“ Tief schürfend ebenso die „EU-Gitti“ (Bussi für Mock) und seit damals Siemens-Österreich-Chefin Brigitte Ederer. Wie für all jene, die in erster Linie auf der Suche nach dem Maximalprofit sind, kommt’s auch für sie nur darauf an, „die Chancen zu nutzen“. O-Ton: „Die Wahrheit aber ist: die Chancen, die Technologie und entsprechende Innovationen eröffnen, müssen von den Menschen auch genutzt werden.“ – Ach, unsere weitsichtigen Wirtschafts- und Staatslenker! Samt den paar Lenkerinnen.

Vor vier Jahren bereits hat sich die Grazer Kulturzeitschrift „Sterz“ ebenfalls auf das Gebiet der Zukunft begeben. „Voraussagen/Prognosen“ lautete das Thema der Nummer 99 dieser Zeitschrift. Soweit ich den Heftinhalt in Erinnerung habe, gab’s in der Sterzzukunft des Jahres 2005 alles, nur keine Wirtschafts- oder Finanzkrise. Das war vielleicht zu profan. Da seien die Sphären der Sterzkunst vor. Und das wäre mir vermutlich auch nicht aufgefallen, wenn ich nicht einen kleinen Beitrag zum Heftthema verfasst hätte, der damals keine Aufnahme fand. Wahrscheinlich deshalb, weil es ihm an literarischer Qualität mangelte. Es stimmt, ich war nicht sonderlich einfallsreich. Als zweite von elf Prophezeihungen für das Jahr 2025 nannte ich beispielsweise den fünfzehnten Todestag von Keith Richards von den Rolling Stones im Jahre 2010. (Halt’ durch Keith! – War er damals nicht gerade von seiner Bibliotheksleiter gestürzt? Oder war’s die Palme? Und muss ich inzwischen nicht einbekennen, seine Zähigkeit unterschätzt zu haben?)  Ich bilde mir darüber hinaus auch nichts ein darauf, als erste Prognose angeführt zu haben: „Wir haben eine Weltwirtschaftskrise hinter uns. Aber nicht so irgendeinen Konjunktureinbruch, sondern ein e von der Sorte 1929. Längst sind in ganz Europa Banken und Versicherungen zusammengekracht. Viele Menschen haben viel verloren.“ – Um so etwas vorauszusagen, musste man kein Prophet sein. Jeder, der irgendwann einmal ein bisserl Marx durchgeblättert hat, könnte ähnliches angeführt haben. Aber warum hat niemand – im „Sterz“? Haben Sterzkunst und Sterzkultur so wenig mit der ökonomischen Basis dieser Gesellschaft zu tun, dass seine Gestalter es für unter ihrer Würde erachten, sich in solch banale Niederungen zu begeben. Oder was ist das für eine Kunst und Kultur, die glaubt, frei und unabhängig von den materiellen Grundlagen ihres Geistes ins Blaue hineinfabulieren zu können? – Ich bitte um Entschuldigung für dieses Abschweifen in völlig antiquierte Denkmuster. Noch dazu, wo ich als meine Prophezeihung Nummer sechs für das Jahr 2025 lapidar anführte: „Wer war Wolfgang Schüssel?“ Und in Nummer zehn: „Eben hat sich in Graz ein Komitee zur Vorbereitung des hundertsten Todestages von Ottokar Kernstock gebildet. Patronanz: Stocker Verlag. Motto: Der missbrauchte Dichter.“

Lassen wir 2005. Derzeit sind Aufschwungsprophezeihungen in. Die von denselben Publikationsorganen verbreitet werden, die sich über die ahnungslosen Aufschwungspropheten der Jahre nach 1929 lustig machen (z. B. „Der Spiegel“). Warum auch nicht? Schrieb nicht Douglas Adams, der Autor von „Per Anhalter durch die Galaxis“, kurz vor seinem Tod: „Die Zukunft vorherzusagen ist ein Idiotenspiel“? –
Bevor er einige krasse Fehlprognosen der letzten Jahrzehnte zitierte. Zugleich allerdings schlug er seinen Lesern vor, ihre eigenen Prognosen darüber abzugeben, was in den nächsten Jahren passieren wird und wann. „Die Zukunft vorherzusagen ist ein Idiotenspiel, aber jedes Spiel wird besser, wenn man die Treffer notiert.“ – Dafür bin ich auch. Also schreibe ich hier auf – auf die Gefahr hin, dass ich glänzend widerlegt werde: Die Weltwirtschaftskrise bleibt. Die sogenannte Finanzkrise ist nur ein Element davon. Die Überproduktionskrise wäre schon viel früher gekommen, hätte es vor zwanzig Jahren nicht eine plötzliche Markterweiterung durch den Zusammenbruch des Ostblocks gegeben. Ein neuer zusammenbrechender „Ostblock“ ist heute nicht in Sicht. Daher wird die Konfrontation der verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Blöcke zunehmen (ohne sie gleichzusetzen, aber um die wichtigsten zu nennen: Nordamerikanisches Reich, Europäisches Reich, Russisches Reich, Chinesisches Reich, Japanisches Reich). Und die Widersprüche innerhalb derselben werden größer werden statt kleiner. Und ohne mich auf das langweilige Spiel „EU pro oder contra“ einzulassen – in Europa ist beispielsweise bereits an der Sprache ist erkennbar: Was zählt, ist die EU (bestenfalls noch die jeweiligen nationalen Interessen). Das Schicksal der restlichen Welt scheint demgegenüber vernachlässigbar (außer im Hinblick auf „unsere“ Interessen). OK, einverstanden – Hollywood und Obama sind schon auch wichtig. Aber etwas wie die UNO jedenfalls ist offenbar etwas völlig Abwegiges, Antiquiertes, etwas, das man nicht einmal in Fragen von Krieg und Frieden wirklich ernst nimmt. Neuerdings auch nicht mehr in Sachen Menschenrechte. Da soll man sich von den Reden Obamas ebenso wenig täuschen lassen wie von denen anderer „Blockführer“.

Angesichts der drohenden Verwerfungen und Katastrophen also halte ich für bedenkenswert, was der deutsche Journalist, Schriftsteller und Soziologe Siegfried Krakauer im Jahre 1930 in einem Brief an seinen Freund und Kollegen Theodor W. Adorno prophetisch bekannte. Und ich erkläre mit ihm im Juni 2009: „Beinahe wäre mir am liebsten, es könnte noch so fortgewurstelt werden.“ – Ja, beinahe. Auch mir.

Karl Wimmler ist Historiker und Kolumnist des KORSO.
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