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Revolution und Juckreiz
Montag, 12. Januar 2009
Torsten Schulz: Revolution und Filzläuse. Erzählungen. Berlin: Ullstein 2008, 16,00 Euro Das letzte Mal prominent in der deutschen Literatur aufgetreten sind Filzläuse in Wilhelm Genazinos Abschaffel (1977), zur jener Zeit, als fast jeder sie bekam, der sich angeregt in der neuen Liebeslandschaft umtat. Und nun also in der Titelgeschichte von Torsten Schulz Erzählband Revolution und Filzläuse.
Thomas liebt Nicole, diese aber liebt den alternden 68er und Che-Verschnitt Sam, dessen Liebesverhalten immer noch an den Kinderkrankheiten der sexuellen Revolution laboriert, folglich in starkem Maß unzuverlässig ist. Deshalb kommt auch Thomas, der sich bei einer Prostituierten Filzläuse geholt hat, zu seiner Chance. Mit überraschenden Ausblicken, von denen hier nur soviel verraten sei: Revolutionsgewinnerin ist allemal die Filzlaus. Aber nur selten kommt es in den 12 (Kurz)Geschichten dieses Autors, der auch Regisseur ist (Von einer, die auszog...) und Professor an der Potsdamer Filmhochschule, zu einem so humorigen Ende, wie man es schon von seinem Roman Boxhagener Platz (2004) her kennt. Erzählt wird unter anderem von Vätern, die von ihrer Familie fortziehen, „in eine andere Stadt, zu einer anderen Frau“ und sich nicht von ihrem Sohn verabschieden, der sich hierauf auf eine schwierige, beklemmend geschilderte Vatersuche macht (Feuermelder). Oder von einer Frau, die den in den Westen abgehauenen Mann nach der Wende besucht, bloß um mit Genugtuung zu sehen, wie schlecht es gesundheitlich um jene Frau bestellt ist, um deretwegen er sie verlassen hat (Rollschuhlaufen). Es sind kleinere und größere, meist höchst bewegende Schicksale rund um Verlust, Tod und die Nachwirkungen der Vergangenheit sowie um (Liebes)Verrat, die Torsten Schulz hier mit sorgfältiger erzählerischer Ökonomie, mitunter novellenartig und pointensicher entwickelt. Der gediegene Handlungsaufbau und die präzisen Personencharakterisierungen sowie die frappanten Wendungen machen die besondere Eindringlichkeit dieser Erzählungen aus, die vorwiegend von schief gelaufenem Leben und von der Vergeblichkeit, ein bisschen Glück zu finden, handeln. Den gemeinsamen Nenner dieser Geschichten formuliert treffend der Psychiater in Ein gutes Tandem: „Männer und Frauen, ein ewiges, immer wieder höchst seltsames Thema. Was hat sich die Natur nur dabei gedacht?“

Günther A. Höfler
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