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„Toleranz pflegen, den Widerspruch nicht abtöten“ |
Montag, 12. Januar 2009 | |
Mit Kulturstadtrat Dr. Wolfgang Riedler sprach KORSO-Herausgeber Christian Stenner über die Grazer kulturpolitischen Perspektiven für 2009.
Wenn alle wie gebannt auf die wirtschaftlichen Entwicklungen blicken, Arbeitsmarkt- und BIP-Statistiken das öffentliche Interesse monopolisieren – ist es da nicht eine undankbare Aufgabe, Kulturpolitiker zu sein? Ich glaube, das Interesse an Kultur wird zunehmen und nicht schwinden. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher wie ökonomischer Krisen suchen Menschen nach Erklärungen, Antworten und Hoffnungen. Künstler und Künstlerinnen zählen zu jenen, die in dieser Situation zumeist als erste auf Veränderungen und Missstände reagieren. Es ist ja kein Zufall, dass Krisenzeiten in der Vergangenheit sehr oft besonders produktive Phasen in der Kulturgeschichte waren. Es wird jedenfalls für eine wachsende Anzahl an Menschen schwieriger werden, sich den Kulturgenuss zu leisten. Auf Landesebene gibt es Programme wie „Hunger auf Kunst und Kultur“, die genau dies ermöglichen sollen. Ich halte „Hunger auf Kunst und Kultur“ für eine hervorragende Initiative; aber aufgrund der Tatsache, dass mir im Gegensatz zum Land ein wesentlich knapperes Budget zur Verfügung steht, geht mein Ansatz in die Richtung, Kunst- und Kulturschaffende direkt zu fördern anstatt indirekt über Eintritte. Es wird aber Ausnahmen in jenen Bereichen geben, wo Menschen schon bisher ihr Menschenrecht auf Kulturgenuss nicht wahrnehmen konnten. Sie haben neue Schwerpunkte auf Schiene gebracht, z.B. im Bereich des modernen Tanzes. Werden diese heuer fortgeführt? Ich möchte den im letzten Jahr begonnen Kurs weiterführen. Ich habe 2008 die Budgetmittel für modern dance verdoppelt; das hat ausgereicht, um der Grazer Tanzszene ein Signal zu geben. Wir werden 2009 die choreographic-plattform in Graz zu Gast haben – das ist eine Leistungsschau der gesamten österreichischen Tanzszene. Davon verspreche ich mir wichtige Anregungen für die Grazer Szene. Ich möchte noch einmal betonen, dass dieses Ereignis durch zusätzliche Mittel ermöglicht wird und diese nicht etwa den Grazer Initiativen entzogen werden. Die finanziellen Mittel werden außerdem zum überwiegenden Teil von Bund und Land aufgebracht, Graz zahlt 30.000 Euro dazu. Neuerungen wird es auch im Bereich der Theaterholding geben: Die Spielstätten GmbH wurde als eigenes Standbein institutionalisiert und hat einen eigenen Intendanten bekommen, der auch eigene Akzente setzen will … Ich war schon während der letzten Gemeinderatsperiode der Meinung, dass die Spielstätten, also das Orpheum, der Dom im Berg und die Schloßbergbühne-Kasematten Funktionen ausüben, die weit über die Grenzen der Stadt Graz in die Bezirke hinausreichen. Daher habe ich es auch für denkmöglich gehalten, dass das Land Steiermark die Spielstätten in den Theatervertrag aufnimmt und auf diese Weise 55% der Kosten des Spielbetriebs übernimmt. Genau das geschieht jetzt; zuvor wurden ja 100% von Graz getragen. Wir konnten damit also eine Kulturbudget-Entlastung erreichen und gleichzeitig neue Akzente setzen. Der neue Intendant der Spielstätten, der Vorarlberger Christoph Thoma, sieht seine Schwerpunkte im Bereich einer sehr jugendorientierten Kultur und einer Akzentuierung auf Weltkultur. Er wird nicht Vorhandenes konkurrenzieren, sondern ein zusätzliches, attraktives Angebot suchen und ein eigenes Profil entwickeln. Im Bereich der Literatur scheint sich von sich aus etwas zu tun, da entsteht zum ersten Mal seit Jahren eine lebendigere, widerständigere Literaturszene. Wird diese genug gefördert, ist das Haus der Literatur – quasi die Branchenplattform in Graz – dieser jungen Szene gegenüber offen genug? Meiner Einschätzung nach gibt es in Graz genügend Bereitschaft, jungen Literaten und Literatinnen eine Chance zu geben. Da gibt es viele Institutionen, die hier einen Beitrag leisten; allen voran natürlich Verlage wie Droschl und Leykam, weiters die Literaturzeitschriften, die „manuskripte“, die „Lichtungen“ und der „Sterz“, die von der Stadt Graz gefördert werden, darüber hinaus Veranstaltungsorte wie die Minoriten oder das Forum Stadtpark und Uni-T. Insgesamt gesehen haben wir in Graz also eine gute Mischung aus Unterstützung, Präsentationsplattformen und Lesebühnen gefunden. Daher ist es wohl auch kein Zufall, dass sich die Szene erneuert hat und sich erfrischend entwickelt. Dazu kommen noch die Theater, die auch jungen BühnenautorInnen gegenüber offen sind, und zudem der bestdotierte Nachwuchsdrehbuchwettbewerb, nämlich der Carl-Mayer-Drehbuchpreis im Rahmen der Diagonale. Ich glaube, wir müssen uns im Bereich der deutschsprachigen Literaturszene vor keiner anderen Stadt verstecken. Sie sagten einleitend, Wirtschaftskrisen könnten auch Anlass sein für Neuentwicklungen in der Kunst, für verstärkte Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Realitäten. Werden Sie solche Schwerpunktsetzungen verstärkt fördern? Die öffentliche Förderung von systemkritischer Kunst läuft zumeist Gefahr, dass die öffentliche Hand auf diesem Weg versucht, kritische Initiativen an die Leine zu nehmen. Als politische Programmatik im Kulturbereich hielte ich eine solche Ausrichtung daher für besonders verdächtig. Dass man trotzdem Freiräume und Spielräume schafft, hat meiner Meinung nach sehr viel mit dem Denken und nicht in erster Linie mit Geld zu tun: Die Toleranz zu pflegen und den Widerspruch zu ermöglichen und nicht gleich abzutöten, ist meines Erachtens eine wichtige Aufgabe der Politik insgesamt und der Kulturpolitik im Besonderen. Wenn wir dies als Teil eines kulturpolitischen Leitbildes für 2009 verstehen dürfen, was sind ihre weiteren Ziele für das kommende Jahr? Ich werde mich auch im neuen Jahr dafür einsetzen, dass künstlerisches Schaffen als Lebensanspruch für alle Menschen, die in Graz leben, verstanden wird. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt von Urbanität sprechen kann. Was das Kulturleben im weiteren Sinn betrifft, so müssen wir ein stärkeres Augenmerk auf gesellschaftliche Entwicklungen legen. Wir sollten als Stadt – um nur zwei Beispiele zu nennen – verstärkt darum kämpfen, dass die Universität von Bundesseite mehr Geld erhält und im Integrationsbereich alle Chancen genutzt werden, damit eine positive und den menschlichen Bedürfnissen gerecht werdende Entwicklung eingeleitet werden kann. Dabei spielt die Kulturpolitik eine gewichtige Rolle.
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