„Menschen gegen ihren Willen zu therapieren führt nicht zum Erfolg“ |
Dienstag, 9. Dezember 2008 | |
Nach der Debatte zwischen Vizebürgermeisterin Lisa Rücker, Stadträtin Elke Edlinger und der Expertin für Frauenfragen Drin Ingrid Franthal über das Sozial- und Frauenbudget der Stadt Graz erhielt KORSO eine Menge positiver Rückmeldungen. So haben wir beschlossen, dieses neue Diskussionsformat weiterzuführen.
Anlässlich der scharfen Reaktionen von BZÖ-Gemeinderat Gerald Grosz auf den Landtagsbeschluss über die Installierung eines Drogenkonsumraumes und seiner Forderungen nach Zwangstherapie für Suchtkranke und Einstellung der Substitutionsprogramme baten wir ihn, Gesundheitsstadtrat Dr. Wolfgang Riedler und DSA Gabriela Hütter von der Steirischen Gesellschaft für Suchtfragen zu einer Diskussion. Moderiert hat KORSO-Herausgeber Christian Stenner. GG: Die Eskalation ist eindeutig, da brauche ich keine Statistik. Erstens sind Drogenkonsumenten sichtbarer als je zuvor, weil der Drogenkonsum offensichtlich pardoniert wird. Zweitens wird medial dauernd von Rekorden bei den Drogentoten berichtet, der ORF ist hier ein Paradebeispiel. Das ist fürchterlich, weil ich glaube, dass jeder Drogenerkrankte ein Opfer ist und zwar ein Opfer, das nicht mehr Herr seiner eigenen Sinne ist und nicht mehr Herr zu erfassen, welche Tragödie sich um ihn herum abspielt. GH: Wir nehmen wahr, dass es heute viel mehr Menschen als früher gibt, die polytoxikoman, also Mischkonsumenten, sind; dabei spielen illegale Drogen, Medikamente, aber auch Alkohol eine Rolle. Alle Drogentoten dieses Jahres waren meinen Informationen zufolge polytoxikoman und keiner war offiziell im Substitutionsprogramm. Bei den Cannabis-Konsumenten ist die Situation schwierig zu beurteilen, weil wir nicht wissen wie viele Menschen tatsächlich Cannabis konsumieren. WR: Ganz bestimmt haben wir Suchtkranke aus allen Gesellschaftsschichten, durchaus auch aus konservativen Familienhäusern und in letzter Zeit auch verstärkt aus Familienhäusern mit Migrationshintergrund. Im Endeffekt geht es um drei Punkte: Erstens: Wie vermeidet man, dass Menschen in die Suchkrankheit hinein rutschen? Zweitens: Wie kann man Menschen helfen aus ihrer Sucht herauszukommen? Drittens: Wie kann man Kriminalität, die rund um Sucht passiert, wirksam bekämpfen?
WR: Die Eigenmotivation spielt bei der Behandlung von Sucherkrankungen eine große Rolle. Gegen den Willen von Menschen zu behandeln, führt zwar zu einem großen Aufwand, aber zu keinem großen Erfolg. Im Übrigen ist es bereits heute möglich – wenn Gefahr für Leib und Leben besteht – gegen den Willen des Menschen und ohne Sachwalterschaft eine Behandlung durchzuführen. In einer Anstalt untergebracht werden darf allerdings nur jemand, der unter einen psychischen Krankheit leidet. GG: Ich möchte den derzeitigen Zustand jedenfalls nicht prolongieren. Man muss einfach alles versuchen, eine Zwangstherapie wäre zumindest eine Möglichkeit, die Erfolge bringt. GH: In Europa gibt es derzeit keine aussagekräftigen Zahlen zum Erfolg von Zwangstherapien. GG: Laut Suchtkoordinator Ulf Zeder gibt es eine Erfolgsquote von drei Prozent, internationale Studien sprechen von drei bis zehn Prozent. Ich sage: Jeder Einzelne, der vor dem Tod gerettet werden kann, ist es wert, es zu machen. WR: Wenn Suchtkranke gezwungen würden zu entziehen, würden sie zwar körperlich entzogen werden, psychisch aber nicht, da ihnen dazu ja die bewusste Entscheidung fehlt. Deshalb halte ich den Ansatz, den man in Österreich verfolgt, für sinnvoll, nämlich nichts gegen den Willen des Suchtpatienten zu unternehmen. GH: Was den angeblichen Erfolg von Zwangstherapien betrifft, bitte ich zu bedenken, dass sogar Menschen, die von Drogen wegkommen wollen und sich freiwillig auf Entzug begeben, es in vielen Fällen nicht schaffen. GH: Drogenkonsumräume sind ein Teil der Gesundheitsprävention und leisten Schadensminimierung. Es handelt sich dabei nicht, wie manche glauben machen möchten, um irgendwelche wohnzimmerähnlichen Räume, wo sich Abhängige gemütlich treffen können, um ihrer Sucht zu frönen, sondern um hygienische, medizinische Lokalitäten, zu denen weder Minderjährige noch Erstversucher Zutritt haben und wo Süchtige unter ärztlicher Aufsicht ihre Droge konsumieren dürfen. GG: Ich kenne den Beschluss der steirischen Landesregierung zu dieser Thematik und habe gute Lust, die beteiligten Abgeordneten wegen Vorbereitung einer strafbaren Handlung anzuzeigen, weil hier ein Organ etwas einfordert, was eklatant gegen unsere Gesetze verstößt. Ich bin gegen den Drogenkonsumraum, weil es für mich das falsche Signal und der falsche Ansatz ist. Ich kann auch nicht den Banküberfall legalisieren, weil ich nicht mehr Herr über die Banküberfälle werde. Für mich ist der Drogenkonsumraum die Aufgabe der Politik vor diesem Problem. Wie gesagt, ich bin dagegen, wäre aber dafür, dass das Geld, das dafür verbraucht worden wäre, dem Gesundheitsstadtrat zur Verfügung zustellen, um andere Maßnahmen zu setzen. WR: Ich vertrete eine andere Ansicht. Ich glaube prinzipiell, dass eine drogentherapeutische Anlaufstelle nur auf dem Fundament eines breiten politischen Konsenses umgesetzt werden sollte. Ich bin schon allein deshalb der Meinung, dass dieses Modell sinnvoll ist, weil gesellschaftlich anerkannt werden muss, dass es dieses Problem gibt – es nutzt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Der Drogenkonsumraum hilft, Menschen aus entwürdigenden Bedingungen – wie etwa Drogenkonsum in öffentlichen Toiletten herauszuholen, und, hier nehme ich Sie beim Wort, Herr Grosz: Jede/-er Einzelne, der oder die überlebt, ist einer oder eine, für den oder die sich dieses Modell ausgezahlt hat. Die Beispiele zeigen, dass diese Anlaufstellen helfen, Drogentote zu verhindern. Rechtliche Korrekturen werden aber notwendig sein, um eine Umsetzung zu realisieren. Es geht hier nicht darum, etwas zu legalisieren, was verboten ist, sondern Leben zu retten. Hier müssen wir pragmatisch und nicht ideologisch denken.
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