Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Zeitenwende für die Auto-Industrie
Dienstag, 9. Dezember 2008
Image Keine Branche ist von der Wirtschaftskrise derart stark betroffen wie die Automobilindustrie. Gleichzeitig ist sie – und das mag überraschen – einer der zentralen Mitverursacher der Krise.

41% weniger Absatz für General Motors im vergangenen November, Einbrüche von mehr als 12% bei Opel im gesamten dritten Quartal, Produktionsstopps bei Daewoo. GM, Ford und Chrysler wollen 34 Mrd Dollar vom Staat, um zu überleben. Und in der Steiermark sind 3700 Beschäftigte des steirischen Autoclusters in Kurzarbeit.  Neben den unmittelbaren  Auswirkungen der globalen Finanzmarktkrise, die nicht unbedingt zum Autokauf animieren, führen Branchenkenner vor allem falsche Produktentwicklungen der Konzerne als ausschlaggebenden Grund für das Fiasko ins Treffen. Vor allem aber kämpft die Auto-Industrie seit Jahren mit einer ausgeprägten Überproduktion, ein Problem, das lange vor dem Ausbruch der Finanzkrise aufgetreten ist.

Mit zwei Tonnen in die Krise. Das gängige Erklärungsmodell für den Absatzeinbruch: Die Automobilindustrie hat nicht auf den steigenden Ölpreis reagiert und weiterhin auf tonnenschwere Spritschlucker gesetzt. So sieht es etwa auch der Geschäftsführer des Automobilcluster Styria, Karl Pansy; „Unzureichende Innovationen im Bezug auf die neuen Technologien und alternative Antriebssysteme zur Herstellung von schadstoffärmeren und Treibstoff sparenden Fahrzeugen“ lautet sein Urteilsspruch über die Autobauer. Diese Einschätzung wird vor allem am Beispiel der Entwicklung und Fertigung so genannter SUVs (Sport Utility Vehicles) sichtbar. Die Kombination von komfortablem bis luxuriösem Interieur und geländegängigem Äußeren lag vor allem ab dem Jahr 2000 voll im Trend. Nachdem BMW und Mercedes anfangs ausschließlich Exemplare der Oberklasse entwickelt und gefertigt hatten und sich der erhoffe Absatz eingestellt hatte, versuchten immer mehr Automobilhersteller vom Kuchen des SUV-Absatzes abzubeißen. So baut der südkoreanische Hersteller KIA seit 2002 den Sorento, Nissan seit 2003 den Murano und Peugeot seit 2007 das Modell 4007. Wenngleich der Absatz sämtlicher SUVs durch Kunden aus dem Luxus-Segment abgedeckt werden konnte und die Autokonzerne auf diese Weise für einige Jahre schwarze Zahlen schreiben konnten, so darf diese Tatsache nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass die Entwicklungsarbeit der Autohersteller in diesem Fall keinesfalls innovativ gewesen war: PS-starke, tonnenschwere Straßenkreuzer, die noch dazu von den LenkerInnen in den meisten Fällen entgegen ihrer orthodoxen Bestimmung ausschließlich im Stadtverkehr zum Einsatz kamen, waren in diesem Jahren zwar bei einer gewissen Käuferschicht en vogue, dass sich die Automobilkonzerne auf neue, härtere Zeiten einzustellen hatten, dämmerte zwar sicherlich einigen, umgesetzt wurde allerdings wenig. Ein Insider, der nicht genannt werden will, meint, dass die Amortisation der Entwicklungskosten der SUVs auf 15 Jahre angelegt war – sofern die Verkaufszahlen gestimmt hätten. Offenbar wollen GM, Chrysler und Co sich jetzt die sunken costs direkt bei den SteuerzahlerInnen abholen …

Geschönte Zahlen. Zukunftsträchtige Modelle sehen in Zeiten von Feinstaubrekordbelastung und den daraus resultierenden Umweltzonen, die in Graz laut Bürgermeister Siegfried Nagl im Jahr 2009 eingeführt werden sollen, wohl eher anders aus. In der Magna-Zentrale im niederösterreichischen Oberwaltersdorf möchte man sich nicht vorwerfen lassen, dass man in den letzten Jahren große Autos mit großem Spritverbrauch gefertigt und im Fall des BMW X3 auch konzipiert habe. Immerhin sei man nur ein Zulieferer, wenn auch „ein global tätiger“. Zudem sieht man bei Magna die Krise der Automobilbranche nur „als Folge der globalen Weltwirtschaftskrise“ (Daniel Witzani, Konzern-Sprecher von Magna-International). Im Übrigen arbeite Magna „seit Jahren an Innovationen, die den Herstellern angeboten und von diesen auch übernommen werden“, erklärt Witzani weiter. Siegfried Wolf, österreichischer Co-CEO des kanadischen Autozulieferers Magna International, glaubt allerdings, dass die Autoindustrie im Jahr 2009 bis zu 25 Prozent weniger verkaufen wird und rechnet mit einem Andauern der Flaute bis ins Jahr 2010.
Wie erklärt sich dann der Anstieg der Zulassungszahlen am österreichischen Automarkt? Immerhin wurden zwischen Jänner und Oktober 2008 um 0,6 Prozentpunkte mehr Autos zugelassen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. So rechnet etwa Michael Ebner, Sprecher der BMW-Group Austria, damit, „das Rekordergebnis 2007 auch heuer wieder zu erreichen und eventuell sogar zu übertreffen.“ Aber: Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Zulassungen besteht aus so genannten Kurzzulassungen, etwa für Vorführwagen. Klaus Pansy räumt ein, dass es „in Österreich bis Ende Oktober 2008 zwar noch ein kleines Plus an Zulassungen“ gegeben habe, „diese Zahlen sind mit Hilfe der Kurzzulassungen aber geschönt“.

Spät dran. Dass sich in Zukunft andere, nämlich vor allem kleinere, schadstoffarme und Treibstoff sparende Autos bzw. Hybrid- und Elektrofahrzeuge leichter verkaufen werden, scheint Entwicklern wie Fertigern der Branche klar. „Ich glaube, dass es zu umfassenden Strukturveränderungen in der Automobilbranche kommen wird und die vorhandenen Überkapazitäten abgebaut werden müssen“, sagt Pansy und meint damit wohl ein „Gesundschrumpfen“ des Marktes. Zudem werden „chinesische Autobauer sicher nach Europa drängen“, ist Pansy überzeugt. Seine Gegenstrategie: In Zukunft „wird der Fokus speziell auf die Entwicklung alternativer Antriebssysteme wie Elektromotoren und die Batterieentwicklung gerichtet werden, aber auch vor allem auf die Verbesserung und Optimierung der Verbrennungsmotoren in Bezug auf Schadstoffemission und Treibstoffverbrauch.“ Auch Magna-International – das Kernunternehmen des Auto-Clusters – möchte „insbesondere im Bereich alternativer Antriebe, wie Elektrofahrzeuge, Hybrid-, Erdgas- und Wasserstoffantriebe arbeiten“,  zukünftig verstärkt durch „Leichtbauweise Energie“ einsparen und somit den Spritverbrauch senken.
Die europäischen Hersteller erweisen sich allerdings bisher als wesentlich unflexibler als die japanischen, was neue Technologien betrifft: Elf Jahre nachdem Toyota den Hybridwagen Prius am Markt eingeführt hatte, präsentiert z.B. Mercedes stolz seinen ersten Hybrid.

Die Finanzmarktkrise hat die Krise der Automobilindustrie nur verschärft. Es gibt aber Indizien, die darauf hindeuten, dass der negative Trend nur in zweiter Linie auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Autokonzerne am aktuellen Bedarf  der Konsumenten vorbei produzieren. Die Absatzkrise hat nämlich schon viel früher begonnen: 2003 waren die weltweiten Kapazitäten der PKW-Fertigung unausgelastet, obgleich in den Jahren davor bereits massiv Kapazitäten abgebaut worden waren. So schloss beispielsweise der Weltmarktführer General Motors zwei Jahre davor jedes zweite Werk zeitweilig, so verloren die Hersteller KIA und Daewoo in Folge der Asienkrise an Selbstständigkeit und ferner an Kapazitäten. Und trotz dieser „Bereinigungen“ rund um den Globus verzeichneten die industriellen Kapazitäten im Fahrzeugbau 2003 eine Auslastung von lediglich 70%, betont der deutsche Verkehrsexperte und Ökonom Dr. Winfried Wolf. Dem schier unbegrenzten Gewinnstreben taten diese Tatsachen zumindest kurzfristig aber keinen Abbruch: So hatte BMW noch ein Jahr davor ein neues Werk im auf niedrigerem Lohnniveau befindlichen Leipzig errichtet, wofür die öffentliche Hand gewillt war, tief in die Tasche zu greifen; die Stadt Leipzig und das Land Sachsen versüßten dem bayrischen Konzern sein Investment mit einer beträchtlichen Subvention, BMW musste schlussendlich nur zwei Drittel der rund eine Milliarde Euro teuren Gesamtinvestition selbst tragen. „Über Jahre hinweg gab es in der Automobilbranche Überproduktionen und Überkapazitäten“, bestätigt Pansy.  „Die weltweite Finanzmarktkrise hat die Krise der Automobilindustrie lediglich verschärft, Probleme gab es bereits davor“.

Parallelen zu 1929. Die aktuelle Krise im Automobilsektor erinnert in der Tat frappierend an die Situation zu Beginn der letzten großen Weltwirtschaftskrise. Überall reagieren etwa die Händler mit aggressiven Preisnachlässen auf den Absatzeinbruch. Schon Ende 2002 gab etwa General Motors auf seine Pkw einen durchschnittlichen Preisnachlass von 3900 US-Dollar und die DaimlerChrysler-Tochter Chrysler einen von 2900 US-Dollar, sagt Winfried Wolf.  „Es handelt sich also vielfach um vorgezogene Verkäufe, die den Einbruch zunächst abmildern, aber später nochmals verschärfen können.“ Einen Neuwagen von Opel bekommt man heute in der Steiermark übrigens ohne langes Verhandeln  um bis zu 30% verbilligt.
Ein ähnlicher Vorgang war 1929 zu konstatieren: Damals schrieb der ungarische Ökonom Eugen Varga: „Ein Drittel aller neuen Automobile wurde im Jahr 1929 auf Raten verkauft – ein wichtiger Posten in der Verdeckung des Widerspruchs zwischen Produktions- und Konsumtionskraft.“ Ratenverkäufe und substanzielle Rabatte haben die gleiche Wirkung: Sie verschaffen dem Konsumenten vorübergehend jene Kaufkraft, die ihm abgeht, weil sie in den Taschen der Produzenten verblieben ist. Das ist das ungelüftete Geheimnis hinter der Talfahrt der Automobilwirtschaft – und  auch hinter der gesamten Wirtschaftskrise.

Gregor I. Stuhlpfarrer,
Christian Stenner

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