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Stephan Schulmeister zur Finanzkrise: „Das Ende der Sackgasse ist erreicht“
Dienstag, 11. November 2008
Bei der von KORSO, der Grünen Akademie und dem Institut für Volkswirtschaftslehre der Uni Graz am 15. Oktober organisierten Veranstaltung „Cash, Crash, Crisis“ referierte der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister über die Abkehr vom keynesianisch inspirierten Realkapitalismus und die Hinwendung zum marktliberalen Finanzkapitalismus als Grund für die aktuelle Krise; der Grazer Volkswirt Christian Lager nannte Möglichkeiten wirtschaftspolitischen Gegensteuerns und der grüne Abgeordnete und Ökonom Werner Kogler skizzierte die Vorgänge rund um die Erarbeitung des österreichischen Banken-Rettungspaketes. Dass Geld arbeitet, ist eine Illusion. Für Stephan Schulmeister ist klar: Die Liberalisierung der Finanzmärkte und der dadurch mögliche Anstieg der Spekulation tragen Schuld an den Krisenerscheinungen, mit denen wir nun zu kämpfen haben. Während der Finanzsektor in der realkapitalistischen Phase der 50er und 60er Jahre den Unternehmen untergeordnet war und der Bereitstellung von Investitionskapital für letztere gedient habe – dabei lagen die Zinssätze immer unter dem Wirtschaftswachstum und die Quelle der Profite war die reale Investition – sei seit den 70er Jahren mit dem Aufstieg des Neoliberalismus und der Ideologie der freien Märkte die Illusion verbreitet worden, „dass Geld arbeite“. In Wirklichkeit handele es sich bei den spekulativen Vorgängen an den Börsen aber entweder um Nullsummenspiele – meist mit einem zusätzlichen Umverteilungseffekt: professionelle Akteure werden reicher, Amateure verlieren – oder um Bewertungsgewinne bei Aktien, wobei es zu einer zunehmenden Diskrepanz zwischen dem Börsenwert und dem realen Wert komme, dem von Schulmeister so genannten „KNK-Effekt“ (nach dem Andersen-Märchen „Des Kaisers neue Kleider“).

Rational für das Einzelunternehmen, schlecht für das Gesamtsystem.
Die Orientierung auf den Finanzkapitalismus habe Auswirkungen auf das Verhalten der realwirtschaftlich tätigen Unternehmen, die statt in Maschinen in Finanzanlagen investieren, weil diese eine höhere Rendite versprechen. „Manche behaupten zum Beispiel, dass Siemens früher ein Industriekonzern gewesen sei und heute eher ein Finanzagglomerat mit angehängten Industriebeteiligungen ist.“ Das sei für den betroffenen Konzern durchaus rational, nicht aber für das Gesamtsystem: „Wenn man nur dadurch Profit machen kann, dass man real investiert, dann wächst der Kuchen, dann gibt es mehr zu verteilen, während die Aktivitäten am Finanzmarkt ein Nullsummenspiel darstellen.“ So ist, beweist Schulmeister mit ausführlichem Datenmaterial, das Realvermögen in der realkapitalistischen Phase zwischen 1960 und 1980 in Deutschland um das Siebenfache angewachsen, die Aktienkurse nur um das Zweifache. Danach (bis 2007) hat sich das Verhältnis umgekehrt: Das Realvermögen wuchs zwischen 1982 und 2007 nur etwas mehr um etwas mehr als das Doppelte,die Aktienkurse stiegen um das Siebenfache.
Damit einher ging ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, „weil ein moderner produktiver Arbeitsmarkt eine entsprechende Kapitalausstattung benötigt. Steigende Arbeitslosigkeit hängt direkt mit dem Credo zusammen, das Geld arbeiten könne.“ Sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Zinsen hätten dann zudem zum Anstieg der Staatsverschuldung beigetragen.

Reis als „Asset“. Das Grunddogma der (klassischen) ökonomischen Theorie, wonach durch die ,unsichtbare Hand‘ der Marktkräfte das ,allgemeine Beste‘ erzielt würde, wenn jeder Akteur seinen Eigennutz verfolge, stimme „exakt nicht“, sagt Schulmeister.
Die Spekulationsaktivitäten destabilisieren die Preise – etwa für Rohstoffe –, durch die Destabilisierung steigen wiederum die Spekulationschancen. Das hat Auswirkungen auf die Realwirtschaft und ganz direkt auf die Lebenschancen von Menschen: „Der Rohstoffpreisboom der letzten drei Jahre – unter anderem bei Reis, Mais und Weizen – ging einher mit einer enormen Zunahme der ,trading volumes‘, also der Wettaktivitäten auf den entsprechenden Märkten.“
In dem Maße, indem die Spekulation die Rohstoffe erfasst habe, habe sich auch die von Adam Smith postulierte Grundlogik in der Ökonomie geändert: Im Gegensatz zum Bäcker, der mehr Brot bäckt, wenn der Brotpreis steigt, um höhere Gewinne zu lukrieren (worauf in der Folge der Brotpreis wieder fällt und das gesteigerte Brot-Bedürfnis der KonsumentInnen aufs Beste befriedigt wird) bringt ein Reishändler, der Reis nicht als Verbrauchsgut, sondern als Asset betrachtet, den Reis dann nicht auf den Markt, wenn er eine weitere Steigerung des Reispreises erwartet.

Die Tiefe der Krise und die ,kognitiven Dissonanzen‘ der Ökonomen. Was die gegenwärtige Krise extrem gravierend mache, sei das Zusammenfallen von drei Entwertungsvorgängen gleichzeitig, ein Faktum, das seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre nicht mehr aufgetreten sei: „Es fallen sowohl die Aktienpreise als auch die Immobilien- und die Rohstoffpreise. Die jetzige Finanzschmelze läutert das Ende einer Illusion ein: Geld arbeitet eben nicht.“
Damit sei das Ende einer Sackgasse erreicht, „in die man 30 Jahre lang hineingegangen ist.“ Es sei aber nicht zu erwarten, dass die Akteure ihr Fehlverhalten rasch einsähen: „Zwischen der mühsamen Erkenntnis, dass ein altes System nicht mehr funktioniert und der Schaffung eines neuen liegen noch mühsamere Anpassungsprozesse. Das letzte Mal dauerte es die ganze Zeitspanne zwischen 1930/31 und 1948/50 – und dazwischen haben sich einige Dinge abgespielt, die wir uns nicht wünschen und von denen ich auch nicht glaube, dass sie kommen werden.“
Der Übergang sei unter anderem deswegen sehr schwierig, weil die Mehrheit der Wirtschaftswissenschafter unter ,kognitiven Dissonanzen‘ leide: Wer 30 Jahre lang nach dem neoliberalen Dogma publiziert habe, könne schwer hinsehen, wenn sich herausstelle, das Märkte nicht funktionierten. Es interessiere zum Beispiel keinen deutschen Mainstream-Ökonomen, dass in keinem Land der Welt die Umsätze an den Derivatenbörsen so stark gestiegen seien wie in Deutschland. Die Tatsache, dass an der Frankfurter Derivatenbörse Eurex das deutsche BIP mittlerweile 70mal umgesetzt werde, komme in keinem einzigen Sachverständigen-Gutachten vor.

„Der Maastricht-Stabilitätspakt muss aufgegeben werden.“
Dr. Christian Lager, ao. Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Graz, verlangte eine expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, um die Kreditvergabe wieder in Schwung zu bringen, sowie eine (inzwischen zumindest teilweise umgesetzte) Senkung der Leitzinsen um 2%. Was das Banken-Rettungspaket betrifft, hätte die Republik nun „die einmalige Chance, die Banken wieder zu verstaatlichen“ – dies sei die einzige Möglichkeit, ihre Geschäfte wirklich zu kontrollieren. Ebenso nötig sei eine expansive und zwischen den EU-Staaten akkordierte Fiskalpolitik: „Ich hoffe, dass sich in der EU die Einsicht durchsetzen wird, dass der Stabilitätspakt von Maastricht aufgegeben werden muss.“ Auf der Ausgabenseite sollten zur Konjunkturankurbelung Energiespar-, Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen forciert werden, auf der Einnahmenseite sollte die Steuerreform rasch vorgezogen werden und folgende Punkte enthalten: Eine Entlastung des Faktors Arbeit durch Anpassung der Progressionsstufen bei gleichzeitiger Gegenfinanzierung durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und der Erbschafts- und Schenkungssteuer bzw. der Einführung einer Vermögenszuwachssteuer. Wichtig sei auch eine gleichmäßige und faire Besteuerung der Einkommen: „Derzeit zahlt ein Unternehmer, der investiert, produziert und Arbeitnehmer beschäftigt, in der höchsten Steuerstufe 50% Einkommenssteuer. Wenn er sein Geld aufs Sparbuch legt statt zu investieren, zahlt er 25% KESt auf sein Zinseinkommen. Wenn er spekuliert, zahlt er auf seine Aktiengewinne nichts. Das sind falsche Signale.“
Der grüne Nationalratsabgeordnete Mag. Werner Kogler schließlich konstatierte als zentrales Problem, dass die Finanzinstitutionen der Politik ihre Vorstellungen diktierten statt dass die Politik die Finanzinstitutionen kontrolliere; das sei auch bei den zum Zeitpunkt der Veranstaltung gerade laufenden Verhandlungen zum Bankenrettungspaket so. Das Primat des Finanzkapitals zeige sich unter anderem auch bei der steuerlichen Begünstigung der privaten Altersvorsorge, die zu 40% in Aktien angelegt werden müsse und für mehrere hundert Millionen Euro Steuerentgang verantwortlich sei, während jede Bezuschussung der öffentlichen Pensionsvorsorge sofort auf extremen Widerstand stoße.

Christian Stenner
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