Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Energiewende – der Wandel muss warten
Montag, 10. November 2008

titelbild Im Oktober hat in der Steiermark die Ankündigung der mehrheitlich im öffentlichen Besitz befindlichen Energieversorgungsunternehmen, ihre Preise für Gas und Fernwärme um zweistellige Prozentsätze kräftig zu erhöhen, für verständliche Aufregung in der Öffentlichkeit gesorgt. In einem ohnehin schon durch die aktuellen Teuerungswellen aufgeheizten Umfeld wurde die weitere Diskussion um die geplanten Preiserhöhungen zu allem Überfluss von einem Disput zwischen den steirischen Parteien begleitet.

Die Abfederung der durch immer höhere Energiepreise dramatisch gestiegenen Lebenshaltungskosten für die BezieherInnen kleinerer Einkommen – etwa mittels Zuschüssen und Strompreisbonus aus dem Landesbudget – gehört fraglos zu den vorrangigen Anliegen einer ausgewogenen Sozialpolitik. Mittelfristig muss es aber um mehr gehen: Die Politik muss angesichts der knapper werdender Ressourcen und der Klimaproblematik einer täglich aufs Neue beschworenen „Energiewende“ nicht nur durch Lippenbekenntnisse gerecht werden, sondern durch konkrete Taten. Doch der „Energiehunger“ ist scheinbar stärker als die Vernunft: Vor dem Hintergrund von neuen Gaskraftwerksprojekten und der frisch entflammten Diskussion um die Renaissance der Atomkraft in Europa scheint ein tiefgreifender Umdenkprozess auch hierzulande wieder einmal auf die lange Bank geschoben zu werden.

Kritik an massiven Teuerungen. Doch zurück zum Auslöser der Debatte: Die Steirische Gas Wärme wie auch die Energie Graz haben Anfang Oktober „aufgrund der gestiegenen Weltmarktpreise für Erdgas“ beschlossen, ihre Gastarife mit Mitte November um 26,3% bzw. 17,3% zu erhöhen. „Bezogen auf den reinen Energiekostenanteil der Rechnung sind dies allerdings 47,6% bzw. 29,5%, weil ja die Grund- und Zählergebühren im Wesentlichen unverändert bleiben“, wie der Gaspreisexperte Mag. Michael Schmölzer von der E-Control vorrechnet, was pro durchschnittlichem Haushalt Mehrkosten von rund 250 Euro im Jahr bedeutet. Eine gleichzeitig geplante Erhöhung der Fernwärmetarife durch die Energie Graz wurde auf Grundlage eines bestehenden Preisregelungsgesetzes durch den zuständigen Landesrat Ing. Manfred Wegscheider zurückgewiesen. Heftige Kritik gegen die Teuerung hagelte es im steirischen Landtag von Seiten der ÖVP ebenso wie der KPÖ. VP-Klubobmann Mag. Christopher Drexler warf Landeshauptmann Mag. Franz Voves vor, sein Versprechen bezüglich stabiler Energiepreise wiederholt gebrochen zu haben. Ernest Kaltenegger, Klubobmann der KPÖ, konstatierte in diesem Zusammenhang „ein endgültiges Versagen der liberalisierten Märkte, die den Energiekonzernen auf Kosten der sozial schwachen Familien fette Gewinne bescheren.“

Keine Mitsprache bei Preisgestaltung. Als Rechtfertigung für die Anhebung der Tarife führt Energie Steiermark Geschäftsführer
Dr. Franz Kailbauer an, dass diese seit einer 7%-Senkung Mitte 2007 unverändert geblieben seien, während in diesem Zeitraum der Bezugspreis für Erdgas auf dem russischen Markt um 50 Prozent gestiegen ist. Als Kompensation bietet die Energie Steiermark Familien-, Sozial- bzw. Ökobonus-Modelle oder auch eine Fixpreisgarantie auf zwei Jahre an, die bei sinkenden Preisen für die Konsumenten allerdings kontraproduktiv wäre. Als Eigentümervertreter sieht sich LH Mag. Franz Voves mit einem eingeschränkten Handlungsspielraum konfrontiert: Da das Land durch den vor zehn Jahren erfolgten Verkauf von 25% seiner Anteile an den strategischen Partner Électricité de France (EdF) „kaum noch Einfluss auf die Preisgestaltung mehr hat“, bleibe als einzige Möglichkeit, die Energiekunden über die an das Land Steiermark fließenden Dividenden der Gesellschaft zu entlasten, „sodass wir durchschnittlichen Gas-VerbraucherInnen die Teuerung refundieren können“, betont Voves.
Kritisch mahnt ÖVP-Landesgeschäftsführer Mag. Bernhard Rinner ein, dass mit dem bevorstehenden Wechsel der ESTAG-Vorstände der richtige Zeitpunkt gekommen sei, „endlich klare Vorgaben an das Management zu machen“. Kaltenegger bekräftigt dagegen, dass die EdF ihre Vorstellungen aufgrund intransparenter Syndikatsverträge leicht durchsetzen kann, nicht zuletzt „weil einer AG keine Weisungen durch den Eigentümer erteilt werden können“. Er fordert daher die (Wieder-)Einführung einer amtlichen Preisregelung für das Grundbedürfnis der Energieversorgung, die „nicht den Interessen einer reinen Profitmaximierung überlassen“ werden dürfe. Über den Rückkauf der in französischer Hand befindlichen ESTAG-Anteile wurde von Seiten des Landes bereits im vergangenen Jahr ohne konkrete Ergebnisse verhandelt; ein großes Hindernis für das fehlende Mitspracherecht des Haupteigentümers Land bei der Gas- und Strompreisgestaltung würde damit jedenfalls wegfallen.

Sozialer Balsam ohne Verpflichtung. Auf einem von der VP initiierten Sonderlandtag wurde als soziale Maßnahme schließlich beschlossen, dass jene KundenInnen, die weniger als 20.000 kWh an Wärmeleistung verbrauchen, ihre Mehrkosten rückerstattet erhalten sollen. Diese soll, so wird versichert, unbürokratisch und ohne „Bittstellerrituale“ direkt über die EVUs ausbezahlt werden. Weniger erfreut werden jene Haushalte mit Öl- oder Flüssiggasheizungen sein, die markante Preissteigerungen in vollem Umfang selbst tragen müssen, denn nur für soziale Härtefälle gibt es in diesen Fällen einen Heizkostenzuschuss. Dem Modell von undifferenzierten Bonuszahlungen stehen ExpertInnen wie der steirische Landesenergiebeauftragte DI Wolfgang Jilek ohnehin kritisch gegenüber, da sie kein Bewusstsein für den sparsameren Umgang mit Energie erzeugen: „Die Zuschüsse des Landes sollten an eine verpflichtende Beratung zur Verbesserung der Energieeffizienz gebunden werden, da nur dadurch langfristig reale Einsparungen erzielt werden können.“
Die Förderung von CO2-neutralen Heizstoffen und die thermische Sanierung stehen bei den Grünen ganz oben auf der Agenda, wie Mag.a
Andrea Pavlovec-Meixner, die für ihre Fraktion im Grazer Gemeinderat für die Bereiche Energie und Klimaschutz zuständig ist, betont: „Die jährliche Sanierungsrate von unter 1% des Althausbestandes ist vernichtend niedrig. Anstelle des Ausbaus der Straßennetze bräuchten wir dringend ein Konjunkturpaket für thermische Sanierung, das nicht nur tausende Arbeitsplätze schaffen, sondern auch Millionenausgaben für CO2-Zerifikate ersparen würde.“

Rückkehr zur heilen Preis-Welt?
Während in der Steiermark wenigstens eine Disskussion über die Notwendigkeit einer Rückvergütung der hohen Strompreise an die KonsumentInnen geführt und eine solche letztendlich auch umgesetzt wurde, war man in anderen Bundesländern wesentlich weniger generös. Der niederösterreichische LH Erwin Pröll forderte zwar von der ebenfalls mehrheitlich in Landeseigentum stehenden EVN lautstark eine sofortige Gaspreissenkung, aber selbstverständlich unter Wahrung „kaufmännischer Sorgfalt“. Dem Ansinnen hielt EVN-Chef Burkhard Hofer postwendend entgegen, dass „die EVN wegen der hohen Gas-Einstandspreise derzeit rund 350.000 Euro Verlust am Tag macht“. Dass der seit Monaten anhaltende rapide Verfall des Ölpreises – anders als bei Treibstoffen – sich in den Bezugspreisen für Gas bei der Bewegung nach unten nicht rascher auswirkt, liegt, so Mag. Michael Mock, Geschäftsführer des Fachverbands Gas Wärme (FGW) ganz einfach daran, „dass sich die internationalen Gaspreise am sechsmonatigen Durchschnitt der Erdölpreise orientieren. Die Spitzenpreise des Sommers werden sich in den Importgaspreisen zumindest noch bis Jahresende niederschlagen.“
Einige deutsche Energieversorger haben immerhin erste Preissenkungen angekündigt und auch die E-Control fordert für die heimischen VerbraucherInnen möglichst bald Gaspreisreduktionen im Ausmaß von 20% des Energieanteils der Rechnung noch während der Heizperiode ab Jänner 2009, denn der Regulator rechnet ab November mit einer etwa 17%-igen Senkung der Einstandskosten. Unter diesem Aspekt wären natürlich die steirischen EVUs ebenfalls angehalten, den Großteil ihrer Erhöhungen bald wieder zurückzunehmen.

Power-Business as usual.
Der nicht zuletzt durch die Finanzkrise bedingte Rückgang der Preise für fossile Energieträger wird von VerbraucherInnen wie PolitkerInnen mit Wohlgefallen registriert, andererseits sinkt dadurch der Druck zur dringend erforderlichen raschen Umsetzung alternativer Energiekonzepte. Nach wie vor setzt man auch in der Stromerzeugung auffallend gerne auf fossile Energieträger: Ein anschauliches Beispiel ist der jüngst mit Pomp erfolgte Spatenstich zum Gaskombikraftwerk Mellach, das bis 2011 fertig gestellt werden und danach mit einer Leistung von rund 850 MW ans Netz gehen soll. Vom Projektbetreiber Austria Thermal Power (ATP), an der auch die ESTAG beteiligt ist, wird die Anlage als modernste, sauberste Technologie gepriesen, die veraltete und stillgelegte Kohlekraftwerke ablösen wird. Dass dadurch nur die aus der Abschaltung „alter Stinker“ entstandene „Energielücke“ in der Industrieregion Graz beseitigt werden soll, bezweifelt der Landesenergiebeauftragte Jilek: „Rund die Hälfte der Kapazität von Mellach wird nach unseren Schätzungen dem Export bzw. Stromhandel dienen.“ Dass der Haupteigner von ATP, die Verbundgesellschaft, im selben Zug die von Kritikern als „Stromautobahn“ bezeichnete 380-kV-Leitung quer durch die Oststeiermark errichtet, stützt diese Auffassung zusätzlich. Zudem wirbt der Verbund – mit dem Argument, dass man Strom noch billiger als die ESTAG mitsamt Landesbonus liefern könne – derzeit in der Steiermark aggressiv um neue Endkunden, was im Gegensatz zum seinerzeit beschworenen „partnerschaftlichen Prinzip für die Konsolidierung der Energiezukunft“ zu Disharmonien zwischen den beiden Gesellschaften beitragen dürfte.

Von Dinosauriern und klimapolitischem Wahnsinn. Abgesehen von diesen pikanten Details einer Liberalisierung, die bei den herrschenden Strukturen von Quasi-Monopolen nur wenigen nützt, entzündet sich die Kritik an diesem Projekt vor allem an der Betonierung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, wie etwa vom Erdgas, das zu rund 90% aus Russland importiert werden muss. Trotz seiner besseren Effizienz als Kohlekraftwerke „wird Mellach jährlich 1,8 Millionen Tonnen CO2 in die Luft blasen und die Klimabilanz der Steiermark massiv verschlechtern. Bei dem derzeit prognostizierten Preis von 25 bis 30 Euro pro Tonne CO2 würden so Kosten in Millionenhöhe entstehen“, kritisiert die steirische Grünen-Chefin Ingrid Lechner-Sonnek. Sie fordert eine nachträgliche Klimaverträglichkeitsprüfung, um die Auswirkungen des Gaskraftwerks auf klimarelevante Ziele und mögliche Alternativen zu überprüfen. Außerdem steht die Nutzung der Fernwärmeanbindung an Graz noch in den Sternen, denn „laut UVP-Bescheid ist es den Betreibern gestattet, die überschüssige Abwärme zur Kühlung in die Mur zu leiten, was den realen Wirkungsgrad von Mellach auf magere 59% absenken würde“, empört sich Pavlovec-Meixner, zumal ein kleineres, im Grazer Stadtgebiet von der ESTAG in der Puchstraße geplantes Kraftwerk wesentlich günstigere Voraussetzungen für Fernwärmeanschlüsse mitbringen würde.

Umstieg auf erneuerbare Energien erneut vertagt.
In krassem Widerspruch steht die nur vordergründig billige Stromproduktion aus Erdgas zu den ambitionierten Zielen des Landesenergieplanes von 2005, in dem eine „möglichst energieautonome Steiermark“ als Vision festgehalten ist. Dr. Heinz Kopetz, der Vorsitzende des österreichischen Biomasseverbandes, konstatiert im Kontrast zu den dort formulierten Absichtserklärungen derzeit einen Ausbaustopp für die meisten Formen der erneuerbaren Stromerzeugung und an deren Stelle die Planung weiterer fossiler Großkraftwerke. Als eine dramatische Folge sieht er voraus, dass „die Gaskraftwerke in Zukunft die neuen Strompreistreiber sein und teureren Strom als Windanlagen erzeugen werden“. Die einzig sinnvolle Alternative zur fossilen Abhängigkeit besteht, so Kopetz, in der Nutzung der Ausbaupotenziale für Wind, Biogas, feste Biomasse, Wasserkraft, Photovoltaik und Solarkraft, die allein in der Steiermark ca. drei Milliarden Kilowattstunden betragen. Dazu bedürfte es freilich regulativer Vorgaben von Seiten einer Politik, die es mit der Umstellung auf erneuerbare Energieträger und der Verpflichtung zum sparsameren Umgang mit Energie ernst meint und ihre Prioritäten nicht einem fiktiven „Freien Markt“ oder den Interessen der Öl- und Gaslobby unterordnet.


Josef Schiffer
 

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