Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Die steirischen Partisanen und ein unbekannter Schriftsteller
Montag, 8. September 2008
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde

Vom Rötzgraben bei Trofaiach führt der Weg auf den Thalerkogel. Ein Gipfel am Rande des Hochschwabs, den ich lange Zeit ignorierte. Und der mich weniger reizen würde, wäre er nicht von besonderer historischer Bedeutung. Obwohl mir die Gegend nicht unbekannt ist und ich auch früher nicht völlig ahnungslos in Dingen der so genannten Zeitgeschichte zu sein glaubte. Die komischerweise einen Zeitraum umfasst, der lange vor meiner Zeit beginnt.

Am 22. Juni 1944 kam es am Thalerkogel zu einem Feuergefecht zwischen Mitgliedern der Österreichischen Freiheitsfront und nationalsozialistischen Verfolgern, bei denen zwei Mitglieder der Partisanen ums Leben kamen. Heute scheint nicht nur dieses Ereignis zu den noch immer ziemlich gut gehüteten Geheimnissen der steirischen und österreichischen Vergangenheit zu gehören, sondern auch das gesamte Wirken dieser obersteirischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Obwohl sich so manche unbedankte Einzelkämpfer und Gruppen wie der Geschichtsverein CLIO seit Jahren abmühen, das zu ändern. Das ist die wenig beachtete Kehrseite jenes Zeitgeists, der die Österreicher seit einiger Zeit in NS-Dingen allesamt als Täter zu beschreiben sucht. Nachdem der zuvor vorherrschende jahrzehntelang nirgendwo Täter zu sehen vermeinte.

Exotenwissen. Dass es aktiven, sogar bewaffneten Widerstand gegen das NS-Regime mitten in der Steiermark gegeben hatte, konnte man seit Mitte der 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts außer von immer weniger alten Parteigängern vor allem der Kommunistischen Partei nur von einer Stelle erfahren: Dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes in Wien. Aber das war Exotenwissen. Mit wenig Geld in knappen Broschüren zusammengefasst und in geringer Auflage verbreitet. Ab Mitte der siebziger Jahre umfangreicher und fundierter in einer Reihe über Widerstand und Verfolgung in den einzelnen österreichischen Bundesländern, was immerhin einen Zeitraum bis Ende der achtziger Jahre in Anspruch nahm. Und in der die Steiermark bis heute nicht vertreten ist. (Letzteres wäre, wenn schon keinen Roman, so doch eine umfangreiche Erzählung wert). Aber historisches Wissen ist das eine, das Aneignen durch die Gesellschaft, das Sich-zu-Eigen-Machen etwas anderes. Und ohne Literatur und Kunst geht da gar nichts. Was mich betrifft, so hat sich mir – bezogen auf die obersteirischen Partisanen – schon vor Jahrzehnten ein Name eingegraben, der heute noch weitaus vergessener und exotischer erscheint, als er es damals war, als ich zum ersten Mal von ihm hörte: Franz Carl Weiskopf.

Die Anekdote vom Schmiedehammer. Bei irgendeinem Bücherabverkauf – wahrscheinlich in der seinerzeitigen KP-eigenen „Volksbuchhandlung“ in der Grazer Radetzkystraße – hatte ich ein kleines Büchlein entdeckt. „Das Anekdotenbuch“, mit einem Vorspruch von Voltaire: „Wer das Verbrechen pardoniert, wird des Verbrechens Komplize.“ Von seinem Autor, der dort als F. C. Weiskopf  firmiert, wurde ich auf den Zusammenhang der Weltgeschichte mit der eigenen Umgebung gestoßen, als mich seine Anekdote vom Schmiedehammer packte. Von jenem obersteirischen „Grobschmied Xaver N. aus B.“, der um 1939 seine Werkstatt hatte schließen müssen, um „als Arbeiter in einen Linzer Rüstungsbetrieb“ geschickt zu werden. Und der bei seinem ersten Urlaub feststellen musste, dass „die Alteisensammler der NSDAP“ seine ganze Werkstatt ausgeräumt und nur den Schmiedehammer zurückgelassen hatten, mit dem der Schmied daraufhin das Schild mit dem Hakenkreuz an der Tür des Gemeindeamtes zerdrosch. „Habt ihr schon das andere gestohlen, so nehmt auch noch den Hammer hier!“ Am Ende der Anekdote heißt es bei Weiskopf (obwohl bald nach der Verhaftung des Rebellen sein Tod bestätigt worden sei): „Und Jahre später, als die ersten Partisanentrupps auftauchten, tuschelte man sich an den Dorfbrunnen und in den Spinnstuben zu, Xaver N., der Rächer mit dem Schmiedehammer, sei einer von den Führern der Freiheitskämpfer.“

Ein „Schlüsselwerk zum Verständnis österreichischer Kultur und Geschichte“.
Dass ein vor 53 Jahren, am 14. September 1955 in Berlin (Ost) im Alter von 55 Jahren gestorbener Schriftsteller vom antinazistischen Widerstand in der Obersteiermark berichtete, schien mir dann doch genauerer Nachforschung wert. Und ich erfuhr nicht nur, dass die erwähnte Geschichte, nicht die einzige mit Österreich-Bezug, erstmals bereits im Jahr 1945 in New York unter dem Titel „Die Unbesiegbaren. Berichte, Anekdoten, Legenden 1933-1945“ erschienen war. Sondern ich entdeckte mit Weiskopf auch einen Schriftsteller, dessen Werk auch als österreichisches von Bedeutung wäre. Ja, wäre. Wenn es nicht aufgrund der Herkunft und des Lebensweges des Autors durch jeden nur denkbaren Rost der diversen Literaturgeschichten gefallen wäre. Ein deutscher Prager, der deutsch schrieb und nach dem Krieg nicht mehr wirklich in die von Deutschsprachigen gesäuberte Tschechoslowakei passte – obwohl er ihr einige Jahre als Diplomat diente. Wer in Tschechien kennt ihn heute? Ein geborener k&k-Österreicher, aber Sohn eines Juden und Kommunist – zuviel auf einmal. Einer, der zwei Jahre vor seinem Tod von Prag in die DDR übersiedelte, wo seine Werke nach dem Krieg (wieder) gedruckt wurden. Und der daher in Westdeutschland ein rotes Tuch war. Und es im wiedervereinigten Deutschland bis heute ebenso blieb wie in Österreich. Und der sich als Sohn einer tschechischen Mutter auch darum bemühte, den deutsch Lesenden Leben, Poesie und Lieder der slawischen Völker nahe zu bringen. Jude, Kommunist und DDR-Bürger wären für die die österreichische Literatur jahrzehntelang schon ausreichende Ausschließungsgründe gewesen. Slawenfreundlich zu sein war bis zu den Jugoslawienkriegen der neunziger Jahre aber das Letzte, was hierzulande geschätzt wurde. Im Gegenteil. Alles Slawische, das mussten nicht erst die Nazis mit ihrem „Untermenschen“-Geschrei auf die Spitze treiben, war in den deutschsprachigen Teilen des Habsburgerreiches seit eh und je ein Synonym für das Minderwertige. Dabei findet man bei Weiskopf, dessen Frau Grete, eine geborene Salzburgerin. Und unter dem Namen Alex Wedding eine der beliebtesten Kinderbuchautorinnen der jungen DDR war, nicht  nur Nachdichtungen aus so gut wie allen slawischen Sprachen der österreichisch-ungarischen Monarchie – wie beispielsweise ein Klagelied „nach dem Slowenischen“ mit dem Titel: „Auf dem Platz zu Graz“. Sondern auch eine Romantrilogie, die den Untergang des Habsburgerreiches zu beschreiben und zu fassen versucht. Und die es lohnenswert erscheinen ließe, sie etwa an die Seite von Musils „Mann ohne Eigenschaften“ zu stellen. Nein, nicht an die Stelle, nur an die Seite von Musils Hauptwerk. Nicht nur wegen des fast identischen historischen Beginns beider Werke, dem Jahr 1913. Weiskopfs erster Teil mit dem Titel Abschied vom Frieden endet nach knapp 700 Seiten am 28. Juni 1914 (dem Tag der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgerehepaares in Sarajewo). Und vielleicht nicht zufällig blieb Weiskopfs dritter Teil des Werks ebenso unvollendet wie Musils „Mann“.

Zu alledem kommt, dass Weiskopfs Sprache insbesondere in seinen Werken mit Österreich-Bezug eine durch und durch österreichische ist. Und zwar derart charakteristisch, dass beispielsweise die russische Germanistin Galina M. Fadeeva vor einigen Jahren gerade Abschied vom Frieden als „Schlüsselwerk“ zum Verständnis österreichischer Kultur und Geschichte bezeichnete und beschrieb. Und: Der Roman „vermittelt eine umfassende Vorstellung von Österreich in den letzten Jahren der Donaumonarchie…Die Ursachen und die Auswirkungen des Zerfalls der österreichisch-ungarischen Monarchie sind im Roman meisterhaft dargestellt.“ Undsoweiter.
Aber was hilft’s, wenn das in einem Moskauer Germanistenjahrbuch (des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes) steht. Und hierzulande kennt man nicht einmal den Namen des Autors. Von den Namen der obersteirischen Partisanen ganz zu schweigen.


Souvenir – eine Anekdote von F. C. Weiskopf

Der Maler Picasso wurde nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris zu seiner eigenen und zur Überraschung seiner Freunde von den Eroberern völlig unbehelligt gelassen, wohl weil das Reichspropagandaministerium aus dieser Tatsache im Ausland Kapital zu schlagen hoffte. Offiziere und Soldaten der Wehrmacht waren in der Folgezeit häufige Besucher von Picassos Atelier. Ein jeder dieser ungebetenen Gäste wurde stumm empfangen, stumm herumgeführt und erhielt beim Abschied eine Reproduktion des berühmten Gemäldes, das die Zerstörung der baskischen Stadt Guernica durch Naziflieger darstellt. Erst dann sprach Picasso ein Wort und immer nur das eine: „Souvenir!“

Eines Tages stellte sich bei ihm ein Beamter der Geheimen Staatspolizei ein, wies eine solche Reproduktion vor und fragte: „Haben Sie das gemacht?“ – „Nein“, entgegnete, indem er den Kopf schüttelte, der Meister, „das haben Sie gemacht.“ Ob der Agent diese Antwort nicht oder nur allzu gut verstand, ob er von ihrer Kühnheit überwältigt wurde oder sie als Äußerung eines Wahnsinnigen auffasste, bleibe dahingestellt; er ging, und Picasso hörte nie wieder von ihm. Dies hat sich im Jahre 1944 zugetragen, und so etwas ist, wie es in Johann Peter Hebels „Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes“ heißt, des Lesens zweimal wert.

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Aubau Verlagsgruppe)
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
 
< zurück   weiter >