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Neues aus Marienthal
Montag, 7. Juli 2008
Reinhard Müller: Marienthal. Das Dorf – Die Arbeitslosen – Die Studie. Innsbruck / Wien / Bozen: Studienverlag 2008, 423 Seiten, 39,90 Euro

Wenn es so etwas wie einen Gründungsmythos der kritischen Sozialwissenschaft in Österreich gibt, dann ist er wohl mit der Marienthal-Studie von Paul Lazarsdorf, Marie Jahoda und Hans Zeisel verbunden, jener 1933 veröffentlichten peniblen Untersuchung der Auswirkung von Arbeitslosigkeit auf ein Gemeinwesen und auf die Individuen, die es konstituieren.
Der Grazer Reinhard Müller vom Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich hat nun eine Fülle an wissenswertem Material rund um die Entstehung der Studie zusammengetragen (die übrigens, wie uns ein Blick in den Abschnitt II „Das Projektteam“ lehrt, von einem wesentlich größeren Kollektiv getragen wurde als von den drei eingangs Zitierten – so war es dem Schreiber dieser Zeilen neu, dass die Grazer Professorin für Entwicklungspsychologie Lotte Schenk-Danzinger, bei der er selbst Ende der Siebziger Vorlesungen hörte, einen großen Teil der Feldforschung für die Studie besorgte).
Die Geschichte der Gemeinde Gramatneusiedl, in der Marienthal liegt, wird hier ebenso aufgerollt wie jene der Textilfabrik selbst, deren Schließung und schließlich teilweiser Abbruch den Auslöser für die Untersuchung darstellte, die von niemand Geringerem als Otto Bauer initiiert wurde. Die politischen Verhältnisse und Wahlergebnisse, die Biografien der ForscherInnen, die Bedingungen der Entstehung und die Rezeptionsgeschichte der Studie finden ebenso Beachtung wie die auf den Zweiten Weltkrieg folgende Modernisierung der Gemeinde Gramatneusiedel inklusive der Revitalisierung der Arbeitersiedlung Marienthal. Zu deren Abschluss wurde übrigens 2002 eine Gedenktafel für die im Jahr zuvor verstorbene Marie Jahoda enthüllt, die den letzten Satz der Marienthal-Studie trägt: „Wir haben als Wissenschaftler den Boden Marienthals betreten, wir haben ihn verlassen mit dem einen Wunsch, dass die tragische Chance solchen Experiments bald von unserer Zeit genommen werde.“
cs

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