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Wozzeck gegen Woyzeck
Montag, 7. Juli 2008
Zu Saisonende begeisterte die Grazer Oper mit einer überzeugenden Inszenierung von Alban Bergs Oper „Wozzeck“ nach dem Drama von Georg Büchner. Andere Interpretationen des Stoffes brachte ein Gastspiel des Schauspiels Essen am 14. und 15. Juni.

Aufführung besticht an erster Stelle mit ihrer kraftvollen musikalischen Realisierung durch das Grazer Philharmonische Orchester unter Dirk Kaftan. Die Grazer Philharmoniker bringen das Expressive, gelegentlich Feurige in Bergs Partitur federnd und präparieren die musikalischen Zitate transparent heraus.
Modernität internationalen Niveaus zeigt die Bühne von Johannes Leiacker. Zwei große, in unterschiedlichen Winkeln gegeneinander gesetzte Scheiben, die sich für ein Universum drehen, aus dem Wozzeck heraus zu fallen droht und das selbst zerborsten ist. Auf der Himmelsscheibe leuchten hunderte Glühlampen in unmenschlicher Ordnung, die Weltscheibe „rast“ mit Wozzeck dahin:  idealer Präsentierteller für die atemlose Folge von Büchners ungeordnet hinterlassenen Szenen mit ihren vielfältigen Ansätzen: Kritik an der Herrschaftswissenschaft, Wut über soziale Zustände, Ekel oder Totentanz. In dieser gleichsam animistischen, von Stimmen erfüllten Welt ist Wozzeck der Elendste, aber auch seine von fixen Ideen getriebenen Mitspieler finden  keinen „Sinn“.  Philipp Himmelmanns fabelhafte Inszenierung setzt, bei aller möglichen Aktualität des Büchnerstoffes, mehr auf das Allgemeine, auf die Darstellung der conditio humana. Das eindrucksvolle Ende macht klar, dass auch dem un-ehelichen Kind Maries und ihres Mörders eine Wozzeck-Karriere vorbestimmt ist.
Martin Winkler, der als Wozzeck „wie ein offenes Messer“ durch die Welt läuft, stattet die Titelrolle mit einem glutvollen Bariton und einer virtuosen-physischen Performance aus. Dabei ist ihm die untreue, in leuchtendes Rot gekleidete Marie von Nicola Beller Carbone (bzw. Mardi Byers), gefangen in Glücksverlangen und Schuldgefühl, durchaus ebenbürtig. Paul Lyon meistert die Rolle des Tambourmajor stimmlich hervorragend, bewegt sich schauspielerisch aber eher in Opernposen. Wilfried Zelinka, flankiert von Manuel von Senden als agiler Hauptmann,  sticht robust als Doktor hervor. Das Ensemble bietet eine schöne, geschlossene Leistung.
Georg Büchner hat sein szenisches Fragment, in dem bereits expressionistische Töne anklingen, 1836 geschrieben. Der Wiener Alban Berg komponierte seinen 1925 uraufgeführten  „Wozzeck“  (die Verballhornung von »Woyzeck« ergab sich durch einen Lesefehler) unter andrem im steirischen Trahütten. Unter dem Eindruck aktueller Ereignisse ist man versucht, die Figur des Frauenmörders als österreichisches Genre zu lesen: Auch Moosbrugger, Musils Frauenmörder aus „Der  Mann ohne Eigenschaften“ fallen einem ein, oder Kurt Janisch, der mörderische Gendarm in „Gier“, dem Roman der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Nicht zu reden von Österreichs beliebtesten Frauenmörder Jack Unterweger. Und die Fälle Kampusch und Fritzl können als extreme Gewalt gegen Frauen gelesen werden, als Strategie, um sich der eigenen Identität zu versichern, als ausgelebte Drehbücher des Unterbewussten frei nach Freud und Marx.

Statt der zeitlosen Stilisierung in der Oper wird Büchners Woyzeck vom Schauspiel Essen als Gast im Schauspielhaus Graz von greller Bricolage, von einer beklemmenden Verbindung unterschiedlicher, zufälliger Elemente beherrscht. Regisseur David Bösch dekonstruiert Büchners Fragment zusätzlich, kleidet es dafür aber mit unheimlicher Absurdität aus. Die Bühne besteht aus einer riesigen Platte, in die ein kreisrundes Loch geschnitten ist: Himmel ist nirgendwo. Gespielt und gelebt wird unten im Gully, der Endlagerung für Beschädigte,  Gestörte, für den menschlichen Abfall, vorgeführt wird ein Pandämonium aus Krüppeln, Stadtstreichern, Punks, Schlägern und einem einzigen, bösen Engel für Woyzecks Stimme. Dafür sind viele Dialoge gestrichen und auf Pantomime reduziert worden; es gibt sogar neue Figuren wie den mit einer Lichterkette behangenen Marktschreier, der in diese Elendswelt einführt.
Der Vergleich mit dem Grazer Ensemble lockt natürlich. Auch Essen verfügt, wie demonstriert wird, über intensive, junge Schauspieler. Vor allem der spindeldürre Nicola Mastroberardino ist als Tambourmajor furchteinflößend, obszön, von einer dandyhaften Brutalität, hinter der noch so was wie Sehnsucht nach Bürgerlichkeit steckt. Die Marie von Nadja Robiné kann da noch mithalten, aber der Woyzeck von Sierk Radzei hat es schwer. Wirklich gute Bösewichter sind kaum zu toppen. Die Jungen werden (wie in Graz) von bewährten Kräften – sie spielen nicht ganz so überzeugend den Hauptmann und den Arzt – flankiert. Am klarsten wird die Differenz Graz-Essen an der beinah genialen Musik von Karsten Riedel. Sein Untergrund-Orchester ist zum Fürchten, wenn es ins Publikum starrt, und dann wieder geht, ohne zu spielen. Die Grazer sind an Theatermusik als gekonnte, verbindliche Untermalung gewöhnt. In diesem Woyzeck aus Essen ist sie Verweigerung höhnisches Zitat oder Aggression. Insgesamt ist die Essener Aufführung weniger gefällig, stärker auf Konfrontationskurs, als man es in Graz gewohnt ist. Eine Qualität der Aggression an Stelle reiner Warenqualität. Nach einer intensiven Stunde ist die Aufführung vorüber. Mehr wäre bei so viel starkem Untergangstoback vielleicht auch zu viel gewesen.

Willi Hengstler

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