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Kleist, wohltemperiert
Sonntag, 8. Juni 2008
Der Ritter vom Strahl hat Käthchen nur einmal kurz während eines Geschäftsbesuchs bei ihrem Vater, dem Waffenschmied, gesehen. Aber das genügt schon, damit sich die Jungfer mit ausgezeichnetem Leumund ihm sofort nach und aus dem Fenster wirft, sich dabei die Knochen bricht und, nachdem diese verheilt sind, dem Ritter in bedingungsloser Liebe folgt. Kein Wunder, dass der Vater den vermeintlichen Verführer der Zauberei anklagt.

Die Premiere von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ auf der großen Bühne des Schauspielhauses: Was als eher unzeitgemäße Bildungspflicht droht, entpuppt sich als spannende, kurzweilige Aufführung. Wobei die Qualität dieses „Käthchens“ weniger in einer großen Theatervision als einer sehr gekonnten, geläufigen Realisierung liegt. Dabei fängt es gar nicht so toll an. Auf der schwarzen Bühne rennen Typen mit dunklen Brillen und in langen Mänteln eher planlos umher, ehe sie Friedeborn, den Vater Käthchens, als Kläger und den Ritter vom Strahl als Beklagten zur Befragung auf Stühle zwingen. Auch dass die Streitparteien in Anlehnung an Abu Ghraib schwarze Kapuzen tragen, ist historisch ziemlich daneben.

Bühne als Star. Nach der beeindruckenden Anklage durch Gerhard Balluch (in einer Doppelrolle auch als Kaiser souverän) werden die große Stärke und die kleine Schwäche der Aufführung rasch klar. Star ist zweifellos der kreisende Bühnenquader von Stefan Brandtmayr aus lose herabhängenden Streifen, die durch farbiges Licht wechselnden Stimmungen und mittelalterlichen Szenerien angepasst werden. Regisseur Georg Schmiedleitner wahrt trotz dieser Abstrahierung den Märchencharakter des Stückes, indem er Zitate aus dem Puppenspiel – brennendes Miniaturschloss oder große Pappmachéköpfe – in den realistischen Ablauf einfügt.
Dafür scheint Dominik Warta, dieser elegante, liebenswürdige Darsteller bürgerlicher Rollen, in Kleists Mischung aus Ritter-Pistole und Liebestrauma vielleicht nicht ganz so ideal besetzt. Er macht nichts falsch, aber eine gewisse Kultiviertheit ist dem großartigen Schauspieler auch als Ritter, Graf vom Strahl, nicht auszutreiben. Und wo Andrea Wenzls umjubelte „Alice“ nach Carrolls Buch nur aus Fragen besteht, existiert ihr Käthchen dagegen aus selbstgewisser Unbedingtheit. Die Welt bzw. die Theaterbesucher durch diese ekstatische Gewissheit im Alleingang in Frage zu stellen ist auch für sie schwierig. Ihr Käthchen kann an ihrem wohltemperierten Gegenspieler bei aller rauen Intensität und geradezu brutalen Liebesgewissheit nicht den Blitzstrahl entzünden, um Sitte und feudale Ständeordnung – die Tochter eines Waffenschmiedes als Kind des Kaisers! – aufzusprengen. So ist Kleists Drama der Extreme, seine psychoanalytische Pulp Fiction aus dem Mittelalter, zu einem überzeugenden Erfolg der mittleren Tonlage, im Bösen wie im Heiteren, geworden. Ritter bewegen sich in ihren Rüstungen gleich komischen Krebsen. Wobei die Herren in Stahl – Daniel Doujenis, Claudius Körber und Markus Schneider – im Sattel und zu ebener Erde ihre Sache insgesamt vorzüglich machen. Ganz zu schweigen von Franz Josef Strohmeier als durch und durch sympathischem Knecht des Ritters und Verbündetem Käthchens. Jaschka Lämmerts böse Kunigunde von Thurneck stellt einen Seitenhieb auf modernen Schönheitskult dar; auch Julian Greis in einer Damenrolle als ihre Kammerzofe Rosalie bringt beiläufig eine geschickte Modernisierung ein. Das alles geht auf und zu Herzen, wobei nur die glatte, effektvolle Musik von Claus Friedrich zuweilen schwer illustrativ klingt.

Für alle, die gutes Theater, Klassiker oder nicht, schätzen. Noch am 6., 11. und am 12. Juni.
Willi Henstler

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