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„Antigone“ im Grazer Schauspielhaus: Tragödie zwischen Zeitgeist und Zeitlosigkeit |
Sonntag, 11. Mai 2008 | |
Das vergangene Jahrhundert mit 187 Millionen gewaltsam Getöteten ist
vermutlich Rekordhalter der Menschheitsgeschichte. Die Weltbevölkerung
von 1900 genommen, starb jeder Zehnte eines gewaltsamen Todes, und das
ist noch niedrig geschätzt. Auch das laufende Jahrhundert lässt auf
einen neuen Rekord „hoffen“. Ausreichend Stoff für Tragisches möchte
man meinen. Trotzdem haben Tragödien keine Saison. Zwischen Spaßgesellschaft und Postmoderne, Dekonstruktivismus und ironischer Reflexion ist wenig Platz für dieses Genre. Die dramatische Essenz des Menschlichen findet sich selten im modernen Theater. Allenfalls firmiert die Tragödie als Enklave bürgerlichen Theaters, in der verblassende Erinnerungen an edle Größe usw. noch einmal als Ritual nachgestellt werden. Klassische Tragödieninszenierung. Anna Badora, Leiterin des Grazer Schauspielhauses, hat am 10.4. eine dieser klassischen Tragödieninszenierungen – und nicht die Schlechteste – vorgelegt. Für ihre Version von Sophokles’ „Antigone“ kauert der Chor in einer kreisrunden Grube, aus der stilisierte Leitern – mal Mauer, mal Blutgerüste – hochragen. Das alles ist, inklusive der Lichtdramaturgie und der Kostüme (Uta Meenen), die den Charakter der Protagonisten präzis veräußerlichen, von klassischer, teurer Schlichtheit (Bühne Stefan Brandtmayr). Kreon, Ex-Schwager von Oedipus und neuer Herrscher, spricht ein Bestattungsverbot für Polyneikes, seinen Neffen und Oedipus’ Sohn, der Theben angegriffen hat, aus. Dessen Bruder Eteokles aber, der die Stadt gegen ihn verteidigt hat, soll mit allen Ehren bestattet werden. Antigone, die dem Bestattungsverbot zuwiderhandelt, wird ergriffen und entgegen allen Protesten – von Kreons Sohn, des Sehers Teiresias und des Chors – dem Tod überantwortet. Hinter der Menschlichkeit gegenüber den Toten steht der alte Widerspruch zwischen dem gesetzten Recht (Kreons) und dem der Götter bzw. der Gerechtigkeit. Kreons Hybris, gleichzusetzen mit der Hybris der Politik, führt zum Tod Antigones, seines Sohnes Haymon und Kreons Gemahlin. Globales Dorf. Anna Badora inszeniert diese „Antigone“ mit einem bewundernswerten Gefühl für Rhythmus und ohne jede Länge. Leider kommt sie auch auf die Idee, dass es in „Antigone“ um Demokratie gehen könnte und irgendwie auch um Migration. Die Polis wird zum globalen Dorf. Die Tragödie wird zur politisch korrekten aufwändigen Animation, in der handverlesene Grazer Migranten, von der Stadt Graz selbst eher ausgeblendet, als Chor agieren. Ob die schwere Umdeutung des Chores der Intention der griechischen Tragödie entspricht, ist eine andere Frage. Was Intendantin Badora allerdings aus dem Chor herausholt, wie sie mit dessen Mehrsprachigkeit umgeht (Musik Gerd Bessler), ist sehr gekonnt; nur einmal klingt es ein bisschen nach „Land des Lächelns“. Wenn der Inszenierung auch mit einem Eingehen auf die Nebenrollen mehr geholfen worden wäre als mit diesem demokratischen Engagement. Der Wächter von Thomas Frank soll die Tragödie anscheinend durch eine humoristische, kleine Etüde aufhellen. Aber das erinnert doch sehr an Ernst Prassl, den Grazer Meister herzhaften Humors, von dem sich das Publikum kürzlich verabschieden hatte müssen. Der hochgeschätzte Otto David illustriert als blinder von einem Knäblein geführter Seher Teiresias, wie schwer es ist, gegen Kinder und Tiere anzuspielen. Sophie Hottinger als Ismene, die konfliktscheue, obrigkeitshörige Schwester Antigones, und Dominik Maringer als Kreons Sohn sind exakt besetzt, füllen die Charaktermaske aber diesmal mit wenig Farbe. Der Kreon von Götz Argus – vitaler Glatz- und Sturkopf in Anzug und Mantel – ist da schon überzeugender, aber auch seiner ins Verderben führenden Überheblichkeit fehlen Zwischentöne der allmählichen und fast bis zuletzt verleugneten Einsicht. Allein Carolin Eichhorst bringt eine Spannung zwischen der Hülle und der Rolle zustande, sie spielt den klassisch-sperrigen Text als Einzige nicht nur mehr oder weniger gut, sie hat ihn sich anverwandelt. Gelungener Abend. Ein handwerklich äußerst gelungener Abend also mit dieser „Antigone“ im Grazer Schauspielhaus. Er lässt einen wünschen, dass Anna Badora, die es anscheinend am besten kann, öfter an ihrem Haus inszeniert. Die notwendige Relevanz hat die Tragödie als Genre durch diese Inszenierung allerdings nicht zurückgewonnen. Vielleicht auch, weil sich Tragödien nur mehr als Projekte und nicht als geschlossene Erzählung entwickeln lassen. Und das lässt sich wieder nicht vereinbaren mit dem Effekt bürgerlicher Erhabenheit und edler Größe. Für Qualitätsbewusste; unbedingt ansehen! Noch am 16.5. und am 28.6. Viel zu selten eigentlich. Willi Hengstler
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