Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Kleine Quellen des Glücks – Andrea Stift
Dienstag, 8. April 2008
Korso - LiteraturBox. Ab März 2008 veröffentlicht KORSO in jeder Ausgabe einen umfangreicheren literarischen Beitrag

Dein Manuskript ist ja nicht gerade eine Quelle des Glücks, schreibt Rainer, und postwendend fallen mir dreizehn Dinge des alltäglichen Lebens ein, die als kleine Quellen des Glücks ung’schauter durchgehen können, und zwar dreizehn ohne Sex.

Ich frage mich immer, wieso Lektoren, Kinder und Tanten, die nicht meine leiblichen sind, so wundervolle Formulierungen aus dem Ärmel schütteln können, dass mir sofort ganze Geschichten oder gar Romane einfallen. Das sollte doch eigentlich mein Job sein. Aber mir bleibt nur die Restlverwertung, und damit stapfe ich genau in das Klischee, das uns Schriftstellern die Literaturkritik schon seit Jahrzehnten- ja Jahrhunderten vorwirft: Plagiat. Früher hat man dazu Abschauen gesagt. Den linken Ellbogen schützend vor oder über das Blatt gelegt, damit der nasebohrende Nachbar, der mich in der Pause noch getreten und mir Hagebutten in den Pullover gestopft hat, gefälligst nicht abschauen kann, ich bin ja nicht blöd! – auf der anderen Seite hingegen der bleichgesichtige rothaarige Junge, der eigentlich in mich verliebt war und dieser Liebe nicht anders Ausdruck zu geben wusste als durch Hagebutten, und sie mir in den Pullover zu stecken war schon das höchste Grad an Intimität. Bettnässer, weil seine Eltern grad in Scheidung, ach wenn ich das gewusst hätte, hätt’ ich ganz sicher nicht zur Frau Lerarin, der Beeernd schaut imma aaaaab! – gesagt! Heute noch tut’s mir leid und ich entschuldige mich bei allen vernachlässigten und ungeliebten bleichgesichtigen Volksschülern.

Ich habe jetzt ein Jahr lang die so genannte Tageszeitung Österreich gelesen. Selbstverständlich aus Recherchegründen. Oder weil sie grad am Klo rumlag. Die näheren Umstände und wieso ich diese sog. Tageszeitung in meiner Wohnung aufbewahrt hatte bedürfen zwar einer Erläuterung, tun hier aber nichts zur Sache und seien Ihnen deswegen vorenthalten. Ich geniere mich auch so genug. In dieser sog. Tageszeitung jedenfalls gibt es ganz spezielle Frauenhitlisten, in ganz speziellem Ton gehalten: herrlich die pflaumenblauen High-Heels, noch herrlicher sie am Abend ausziehen zu dürfen, ein Kakaotschi vom mäßig behaarten Liebsten in die Badewanne serviert zu bekommen und hernach einen untadeligen Beischlaf. In so ’nem Stil. In diesem Stile könnt ich nun natürlich meine höchstpersönliche Hitliste der mindestens dreizehn kleinen Quellen des Glücks aufzählen, aber das tu ich nicht. Das wäre zu einfach. Wo man sie hingegen finden kann? In Ljubljana zum Beispiel. Wenn Sie dort sind, im Frühjahr oder im Sommer, und nichts sprudeln hören: selbst schuld. Links oder rechts der Ljubljanica entlang streifen, des Abends, wenn die dezent umwerfende Beleuchtung der Burg sich darin widerspiegelt und die Trauerweiden nur so vor sich hintrauern. In Ljubljana lese ich ein Buch über den Karst, den ich mir nicht vorstellen kann. Ich kann mir auch die Soča nicht vorstellen, und als ich sie dann sehe, fallen mir fast die fürs Sehen zuständigen kortikalen Areale aus dem Hirn. Gott sei dank muss ich mich nicht konzentrieren. Ich fahre nicht Auto, ich werde gefahren. Ich habe zwar vor zwei Wochen erst den Führerschein gemacht, doch seit ich weiß, was ein Auto alles zu leisten imstande ist und dass Auto fahren überhaupt nicht so einfach ist, wie man glaubt, wenn man sein Lebtag als Beifahrer verbracht hat, habe ich höllischen Respekt vor Vorrangstraßen und Gegenverkehr. Man könnte auch sagen, ich fürchte mich. Die praktische Prüfung habe ich unter traumatische Erfahrung abgelegt. Das ist eine recht kurze Liste, viel mehr als die Geburt meiner Kinder und die mündliche Matura in Mathematik enthielt sie bislang nicht. Doch meinem Stolz kann das nichts anhaben. Es gibt eine Menge Schriftsteller, die nicht Auto fahren können oder wollen. Geschwindigkeit und brutale Hackordnung vertragen sich nicht mit unserem sensiblen beschaulichen Gemüt. Eine weitere Quelle des Glücks also: Die Soča anschauen. Im Anschauen der Soča versinken. Zum gleichen Behufe hingegen definitiv nicht empfehlen kann ich das Museum in Kobarid, das von der Front des Ersten Weltkrieges berichtet. Nicht nur, aber hauptsächlich. Die Soča, oder auch: der Isonzo, spielte da eine ziemlich große Rolle. Was hingegen wiederum gut zu wissen ist, dass Kobarid auf Deutsch Karfreit heißt, und, optional, die Autorin dieser Zeilen ausgerechnet am Karfreitag dort war. Zuvor allerdings besuchte sie in Begleitung (des Chauffeurs) ein Lokal, das wunderbar gelegen war. Etwas abseits, und wir hatten Hunger. Ein kleiner See neben dem Parkplatz, rundherum ergrünende Bäume, und wir hatten Hunger. Eine Holzhütte, eine einfache gostilnica, einladend, sicher gibt es hier bodenständige slowenische Spezialitäten und wir haben höllischen Hunger. Der Empfang ist ein ausgesuchter. Der Kellner ein schweigsamer. Vielleicht ist er auch noch nicht ausgeschlafen, denn der Betrieb scheint eben erst loszugehen. Alles ist gut, der Tisch etwas splendid gedeckt für unseren Geschmack, ich trage Pulli und Turnschuhe, meine Begleitung ein Holzhackerhemd. Doch erst als der Apfelsaft in der mundgeblasenen Edelflasche kredenzt wird und der Koch mit dem Notizblock unsere Wünsche entgegennehmen will, statt uns eine Speisekarte zu bringen, schwant uns Böses. Gott sei dank spricht Holzhackerhemd fließend Slowenisch. Dann verschwindet er am Klo, um nach einem Fluchtweg zu suchen. Es gibt dort kein Fenster. Mein Hinweis, dass wir vielleicht behaupten könnten, uns verfahren zu haben, tut er mit dem Hinweis ab, dass weit und breit keine Menschenseele sei und wir wahrscheinlich erschossen, verhackt und verbraten würden, bevor wir recht wüssten. Das Fleischstück, das ich unter den Champignons begraben finde, schmeckt verdächtig süß. Angeheitert vom biodynamischen und sowas von naturtrüben Apfelsaft war es uns danach allerdings auch schon wurscht, wir hatten Zuversicht gefasst und wagten sogar, eine Crème Brûlée zu bestellen. Die Rechnung machte letztendlich so viel wie ein Lesungshonorar der Autorin aus. Was nicht wenig ist. Wir jedoch waren froh, zu leben. Zweihundert Meter weiter auf der Landstraße fanden wir dann das Hinweisschild zu dem Lokal, das mein Begleiter eigentlich angestrebt hatte: O.K. Corrall. Wo es noch schnelle Schnitzel gibt.

Ach, hätte ich nur das Sorbet mit Tabak gekostet. Ich habe mich leider nicht an diese Geschmackskombination gewagt. Außerdem rauche ich im Moment wieder einmal nicht mehr. Ich rauche eigentlich generell überhaupt immer nicht mehr. Würde mein Erstgeborener wissen, dass ich manchmal, kaum ist er aus der Tür Richtung Schulbildung entschwunden, auf den Balkon springe, um dort gewissenlos eine Zigarette aus der Gauloises-Packung zu fummeln, er würde sich vermutlich unter Flüchen von mir lossagen. In Österreich darf man wenigstens noch am Balkon rauchen. Das sei nicht überall so, klärt mich mein karierter Begleiter auf, in welchem US-Bundesstaat das Rauchen am Balkon bereits verboten ist, hat er jedoch vergessen. Rauchverbote scheinen ja europaweit ein heikles Thema zu sein. In Slowenien leben allerdings durchschlagskräftigere Politiker oder minder aufbegehrfreudige Gastwirte als hierzulande, hat man es doch zuwege gebracht, dass seit 1. Jänner, Glockenschlag, jegliches gaststättenspezifisches Indoorrauchen untersagt ist. Seitdem tummeln sich die Rauchenden in dicke Pelzmäntel oder Wolldecken gehüllt unter Infrarotlampen in schleunigst bereitgestellten Gastgärten. Das funktioniert also klaglos. Was hingegen nicht funktioniert, sind Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen, Küstenstraßen oder anderen asphaltierten Strecken. Slowenische Autofahrer scheinen entfernte Verwandtschaft mit den sogenannten gesengten Säuen aufzuweisen, und wo bitte steckt da jetzt eine Quelle des Glücks? Eine Quelle des Glücks ist es, durch den aufgelassenen Grenzposten Spielfeld einfach so durchzufahren, ohne zu bremsen. Ohne Pässe in der Hand, ohne demütiges Aufschauen zu präpotent unwilligen Grenzsoldaten. Das ist nun wirklich nett und der Grenzposten selber war ja nun wirklich hässlich. Als er neu erbaut worden war, ist er gleich wieder abgebrannt, es war, als hätte irgendein Obergott einen Blitz gen Erde geschleudert, erzürnt von der Hässlichkeit menschlich errichteter Grenzstationen. Zeus höchstpersönlich, der Blitze aus seinem Hintern schlenzt.

Was auch sehr schön gewesen wäre, hätte uns das Wetter nicht ein bisschen sehr die Bora um die Ohren pfeifen lassen (an dieser Stelle entbrannte zwischen Beifahrerin und Chauffeur ein heftiger Streit darüber, welcher der Oberen nun eigentlich fürs Wetter zuständig sei. Ich behaupte immer noch, es ist Petrus), ist die kleine Stadt Stanjel, die mir schon deswegen in Erinnerung bleiben wird, weil sie so einen liebreizenden Namen hat. Damit assoziiert man nur schöne Dinge. Leckerlis, die in Stanniol-Papier gewickelt sind, oder mit Schlag gefüllte Stanitzel. Stanjel ist eines der ältesten Städtchen Sloweniens, wehrhaft auf einer Erhebung errichtet, in den Stein gebaut, aus dem auf manchen Häusern sogar die Dachrinnen gehauen wurden. Kleine Fenster, kleine Räume, windabweisend. Künstler und Geldgeber revitalisieren das alte Gemäuer und die Aussicht ist herrlich. Dort hätt’ ich gern ein Stipendium, zwei, drei Monate Aufenthalt, dann kann man gefahrlos anhand der Einsamkeit durchdrehen, denn rundherum finden sich nur Füchse und Bären, aus denen sich wiederum tierunfreundlicher Pršut herstellen lässt, aber das will jetzt wirklich keiner wissen.

Hier eine ganz alte Quelle des Glücks: In der Sackstraße, gegenüber vom Palais Attems, gibt’s ein Brunnengeschäft und im Winter friert der Repräsentierbrunnen vor dem Geschäft ein. Der schaut dann aus wie ein Igel, irgendwie eingefroren in motion, und beides wirkt trotzdem lebendig, nicht tot: der Igel wie der Brunnen. Ist doch schön, oder? Damit man mir nicht vorwerfen kann, ich schriebe immer nur über Slowenien und wo man dort sein Glück suchen kann. Ich finde halt Slowenien ein gar wunderhübsches kleines Land, das alles hat, was Österreich nicht hat: Karst, Meer und schiefe Häuser. Schiefe Häuser stehen meines Erachtens für eine besondere Art der Gelassenheit gegenüber dem Leben und seinen Unabänderlichkeiten. Originalzitat Reiseteilnehmer im Bus nach Poreč anno 2006: Na, bei uns ist es aber vü sauberer, da kennen die Hiesigen sich noch ziemlich vü obschauen. Ja, ich weiß, dass Poreč nicht mehr in Slowenien liegt, aber ich war ja auch noch nicht am Ende meiner Geschichte. Eigentlich und zielbetont waren der Mann mit dem Auto und ich einige Tage in Opatija. Wie in Reichenau an der Rax hängen auch in Opatija, welches früher Abbazia gerufen wurde und auf Deutsch eigentlich St. Jakobi hieße, an sehr vielen Stellen Illustrationen der k.u.k-Zeit rum. Die Strandpromenade wurde nach Kaiser Franz Josef benannt und windet sich 12 Kilometer den Strand entlang. Man möchte seinen Reifrock auspacken. Und die kleinen Eidechslein! Vor lauter kitschig wird einem ganz beschaulich. Um dem entgegenzuwirken kann man versuchen, bei einer der vielen Abzweigungen Richtung Straße hin abzuzweigen, das sind nur ein paar schiefe Stiegen Richtung aufwärts. Schlagartig ist die Luft schlechter und der Verkehr wüster. Dafür gibt es dort einen riesigen Billa, der sogar auf der Ortskarte verzeichnet ist und, der Anzahl der Besucher zu jeder Tageszeit nach zu schließen, eine immense Quelle des Glücks für Ansässige und Durchreisende darstellt. In Opatija kann man also besinnlich spazieren gehen, sehr guten Kaffee trinken und den ganzen Tag lang essen. Wenn man sich die Schuhe auszieht und barfuß auf den Klippen rumturnt, kommt man sich nicht ganz so spießig vor. Wenn man, so wie wir, im März diesen oder einen anderen Flecken bereist, an dem das Meer meert, kann man anhand des unberührten Untenrums die Chaostheorie erläutern. Weil der Sand ja monatelang ergeben und ungerührt vom Wasser in eine wunderbar unregelmäßig-gleichförmige Position gestreichelt wurde. Sobald dann die ersten Wahnsinnigen Anfang April wieder ins Wasser hüpfen, ist mit Chaos wieder Essig. Nach vier Tagen Essen, Trinken und Pensionist Spielen erbarmte sich mein Kompagnon meiner und wir fuhren wieder ein wenig in die Welt hinaus. (Selbstverständlich haben wir auch andere Dinge gemacht, aber, siehe oben, ich wollte doch Sex einmal aussparen. Außerdem fällt der meiner bescheidenen Meinung im Idealfall nicht mehr unter kleine Quelle des Glücks.)

Wenn die kleinen Entenbabys übers Wasser flauscheln, ist das ja ganz wunderbar, in diesem Jahr aber noch nicht der Fall. Was ich nicht wusste, dass man nicht nur von vorne, nein auch von hinten den Burggarten besteigen kann in Graz. Vielleicht kann man das schon seit längerem. Das ist sehr nett, aber glücklich macht mich das nicht. Was hingegen dazu ausreicht, ist, den Burggarten von hinten zu bezwingen, nachdem man gerade nette Post bekommen hat. Postschauen, also den Briefkasten zu öffnen und das darin hoffentlich Enthaltene zu sichten und vielleicht noch etwas wirklich Schönes, an einen selber Adressiertes zu finden, das hat mich schon als Kind to-tal in Hochstimmung versetzt. Heutzutage beschränkt sich der Reiz des Briefkastenöffnens ja nicht mehr nur auf das unabänderliche eine Mal, meistens vormittags, nein, hinzukommt noch ein zweites Medium. Wir sprechen vom Posteingang. So sehr ich jetzt noch großgoschert die Blackberries verurteile und nicht einsehe, wie man immer und überall seine Mails lesen wollen kann: das tue ich bloß, weil ich noch keinen habe. Und weil ich genau der Typ dazu bin. Es könnte ja sein, dass vor zwei Minuten, in einer halben Stunde oder gerade jetzt ein wichtiges E-Mail kommt: eine Subventionszusage, ein Literaturpreis, eine Erbschaft. Und dann will ich gefälligst auf der Stelle glücklich sein. In diesem Sinne, und damit Sie, geschätzter Leser nicht glauben, das geht hier jetzt ewig und drei Tage so verworren weiter, weil es waren ja noch lange nicht dreizehn, hab’ ich noch einen klitzekleinen Tipp: Was schön ist und andere oft ganz klein glücklich macht: Wenn sie was Handgeschriebenes im Postkasten finden. Womit ich jetzt keine Das Wetter ist blau, das Hotel unter Sau-Ansichtskarte meine. Sondern so ein richtiges Briefchen, handschriftenweise Gedanken auf Büttenpapier. Probieren Sie’s aus. Wenn dann zurückkommt: Dein Brief ist ja nicht gerade eine Quelle des Glücks, haben Sie entweder etwas falsch gemacht oder sind an einen wunderbar formulierungsfreudigen Menschen geraten. Alles andere wird schon. Sonne!



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