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manuskripte 179
Dienstag, 8. April 2008
Manuskripte179/2008.166 Seiten, 10,- Euro

Breit gespannt ist der Bogen der Beiträge der aktuellen Ausgabe der „manuskripte“; so beschränkt sich der Rezensent im Folgenden auf eine kleine Auswahl nach persönlichem Geschmack.
Die in Deutschland lebende Exilrussin Olga Martynova reflektiert in kleinen, ihrer Erfahrungswelt entnommenen Episoden die subjektiven Veränderungen der Realität, denen das Subjekt – zumal: das dissidente – vor dem Hintergrund wechselnder gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse im Russland / der Sowjetunion des 20. Jahrhunderts ausgesetzt ist und dokumentiert so die sozialen Paradigmenwechsel: So galt es in den revolutionären 20er Jahren als reaktionär, zum Weihnachtsfest Tannenbäume zu schmücken – und das nicht nur aufgrund atheistischer Propaganda; dahinter stand „der Elan des neuen Menschen“, berichtet die Großmutter einer Bekannten der Autorin; im Stalinismus der 30er Jahre, der versuchte, sich eine patriotische Basis zu schaffen, war der traditionelle Festtagsbrauch hingegen wieder erwünscht. Selbst- und Fremdbilder werden heilsam dekonstruiert und relativiert: Der Vater der Schriftstellerin schrieb aus dem von der Roten Armee besetzten Ostpreußen: „Die Deutschen haben keine Kultur; in keinem Haus sah ich je ein Buch, nur Alben mit Hitlerzeichnungen.“
Petra Coronatos über weite Strecken an Carl Amery („Der Untergang der Stadt Passau“) und dessen Vorbild Walter M. Miller („A canticle for Leibowitz“) erinnernde Science-Fiction-Story „Nulltransport. Auf den Spuren der Domini Canes im Ausseer Land“ nutzt die Landschaft des Salzkammerguts und das Ambiente eines Rosenberger-Restaurant als Aufmarschfeld von aus dem All herniedergestiegenen und zu Hunden umoperierten Dominikaner-Zöglingen und eines Untoten-Heeres aus der Kapuzinergruft.
Berührend der Auszug aus einer Erzählung der in Wien lebenden Südkoreanerin Sohn Young, der die Trennung von der Mutter thematisiert und glaubwürdig die Todesfantasien der kindlichen Protagonistin schildert. Almut Tina Schmidts „In Wirklichkeit“ demaskiert auf bisweilen recht amüsante Weise Kommunikationsstrategien, die dem Gegenüber alles Mögliche über die eigene Person vorspiegeln sollen – bloß nicht die Wahrheit.
Der Grazer Philosoph Peter Strasser thematisiert in „Ungesunde Gedanken“ gleichnishaft die Ich-Problematik; von einem einleitenden Paradoxon führt der Text in eine solipsistische Fantasie: „Ich hatte den Weg nach draußen beschritten, und als ich mich aus mir selbst so weit herausgedreht hatte, dass ich mich selber sehen konnte, da sah ich zugleich, dass es nichts weiter gab …“
Robert Menasse liefert mit „Das Ende des Hungerwinters“ eine erschütternd symbolhaft überhöhte Geschichte jüdischen Überlebens im Nationalsozialismus.
Erfrischendes Highlight im Lyrikteil: Der Mini-Zyklus „Die klassische Kalaschnikow“ Hans Thills, jedes der darin versammelten experimentellen Gedichte ist einem anderen Avantgarde-Lyriker gewidmet.
Im Essay-Teil finden sich u.a. eine ausführliche Rezension von Andrea Winklers „Hanna und ich“ (Hedwig Wingler) und ein Plädoyer Felix Philipp Ingolds für die Anwendung des „Hatto“-Verfahrens bei der Anfertigung von Übersetzungen – aus den Übertragungen mehrerer guter Übersetzer sollte eine optimale Lösung kompiliert werden.
cs

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