Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Heiß umstritten: Neue Mur-Kraftwerke
Montag, 7. April 2008
Aulandschaft vor und nach Kraftwerksbau Die massiven Teuerungen bei den Energiepreisen und die CO2-Problematik rund ums Klima haben die Gretchen-Frage nach den sinnvollsten Quellen für die Stromgewinnung nach einigen vergleichsweise ruhigen Jahren erneut aufflammen lassen. Die Unterscheidung zwischen „Gut" und „Böse" scheint nur auf den ersten Blick einfach zu sein, denn die Geister scheiden sich an den komplexen Auswirkungen jedweder Art von Kraftwerksprojekten auf die Umwelt. Ein vergleichsweise gutes Image hat die heimische Wasserkraft, die traditionell den Löwenanteil zur österreichischen Energieversorgung beiträgt und als sehr saubere Energieform gilt. Doch die verbleibenden Potenziale für deren Ausbau sind nicht unbegrenzt vorhanden und außerdem geraten zunehmend landschaftlich sensible Gebiete ins Visier der Planer.

Naturschutzorganisationen warnen in diesem Zusammenhang vor der unumkehrbaren Zerstörung von Naturjuwelen, und selbst Energieexperten sehen im massiven Ausbau von Flusskraftwerken keine nachhaltige Lösung für den zunehmenden Energieverbrauch in Österreich. Konkreter Anlass für ihren Protest ist die kürzlich erfolgte behördliche Genehmigung für den Bau von zwei Laufkraftwerken durch die Energie Steiermark an der Mur unterhalb von Graz, deren Kozept als schwerer ökologischer Eingriff in eine wertvolle Auwaldlandschaft gegeißelt wird.

Der Stromverbrauch boomt ungehemmt. Die oft beschworene „Entkoppelung“ des Stromkonsums vom Wirtschaftswachstum ist nicht eingetreten, lediglich der Strukturwandel seit den achtziger Jahren hat für eine zeitweise Abflachung der Anstiegsraten gesorgt. Seit den frühen siebziger Jahren hat sich der Stromverbrauch in Österreich dennoch vervierfacht und in weiteren 25 Jahren (bis 2033) sollte er sich bei gleich bleibenden Bedingungen nach Schätzungen der Elektrizitätsindustrie noch einmal verdoppeln. Das würde bedeuten, dass dann nur mehr knapp ein Drittel des Strombedarfs aus heimischer Wasserkraft bestritten werden könnte, während, so der steirische Energieexperte Dr. Thomas Seiler, der „heutige Stand der Wasserkraft den Gesamtkonsum von 1985 abdecken würde“.
Dabei war Österreich bis 2001 Stromnettoexporteur, mittlerweile werden 2.800 Gigawattstunden Strom importiert – das entspricht der Jahresleistung von zwei Donaukraftwerken von der Größe von Wien-Freudenau. Selbst bei einem großflächigen Ausbau könne die Wasserkraft den ständig steigenden Strombedarf in Österreich nicht abdecken, das räumte 2006 sogar der größte Wasserkraftwerksbetreiber im Lande, die Austrian Hydro Power, ein.

Einsparungen sind unumgänglich. Ein Ende des Stromhungers scheint nicht in Sicht: Entgegen den durch die Europäische Union vorgegebenen Einsparungszielen sind beim Stromverbrauch konstante jährliche Zuwachsraten zu verzeichnen, die zwischen 2,5 und 3 Prozent liegen. Als Haupttreiber dieser Entwicklung sind – nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Zersiedelung – die privaten Haushalte anzusehen, kritisiert Seiler: „Dabei liegen wir ohnehin schon ungünstig, denn bei uns verbraucht ein Haushalt durchschnittlich mehr als 4.700 KWh pro Jahr, während er in Deutschland bei 3.550 KWh bzw. im EU25-Schnitt bei 4.040 KWh liegt.“ Dass sich unsere Gesellschaft damit in die falsche Richtung bewegt, moniert auch der Landesenergiebeauftragte DI Wolfgang Jilek: „Ohne den ernsthaften Willen zu massiven Einsparungen sind die Vorgaben nicht zu erreichen, hier ist auf jeden Fall der Mut der Politik gefragt, echte Maßnahmen zu setzen. Es gibt Vorbilder: In der Schweiz sind Projekte wie die 2000-Watt-Gesellschaft (d.h. pro Person soll eine Leistung von 2000 Watt ausreichen) gestartet. Es scheint, dass dieses Problem in Österreich noch immer nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit gesehen wird.“ Ähnlich argumentiert Gerhard Ulz vom steirischen Landesenergieverein, der fordert, dass Verwaltung und öffentliche Gebäudeverwaltungen endlich mit gutem Beispiel vorangehen sollten.

Renaissance der Wasserkraft? Die oben skizzierte Entwicklung hat im ganzen Land für eine regelrechte Goldgräberstimmung für den Ausbau der Wasserkraft gesorgt: Projekte, die mangels Rentabilität in den Schubladen verschwunden waren, werden aufgrund der Ökostromgesetzgebung wieder hervorgeholt, da sie sich nun als lukrativ erweisen, zumal für Kleinwasserkraftwerke noch keine UVP-Prüfung erforderlich ist. Die Reaktionen auf diese Entwicklung sind gespalten: Viele Energiefachleute und Klimaschützer vertreten die Position, dass nur die Nutzung aller vorhandenen Formen von erneuerbaren Energiequellen einen Weg aus der Energiekrise weist. Von Umweltschutzorganisationen kommt der Einwand, dass der Zerstörung von Lebensräumen oft nur ein sehr zweifelhafter Nutzen gegenübersteht. Das trifft insbesondere auf Kleinwasserkraftwerke zu, die eine Leistung von weniger als 10 MW erbringen und die insgesamt nur etwa 7% zur österreichweiten Stromerzeugung beitragen.
„Selbst eine technisch theoretisch mögliche Verdoppelung der Erzeugung bis hin zum Totalausbau würde gerade den Verbrauchszuwachs von nicht ganz drei Jahren abdecken“, gibt DI Arno Mohl vom WWF zu bedenken. Seine Auflistung zeigt rund 40 aktuelle Projekte in der Ober- und Weststeiermark auf, die der Umsetzung harren. Als Alternative dazu wäre zunächst eine Revitalisierung hunderter bestehender Kleinanlagen, die zu 50% über vierzig Jahre alt sind, sinnvoll.
Die steirische Umweltanwältin MMag.a Ute Pöllinger sieht die große Zahl an Kraftwerksplänen ebenfalls skeptisch: „Wasserkraft verursacht zwar keine Emissionen, aber die Kraftwerke beeinflussen den Lebensraum für Fische und Pflanzen sowie das Landschaftsbild.“ Ins selbe Horn stößt Mag.a Cornelia Maier vom Umweltdachverband, die einen Masterplan auf Bundesebene fordert, der „klare Grenzen für den weiteren Ausbau der Wasserkraft absteckt“. Ebenso traten die Grünen mit Kritik an einer einseitigen Ausrichtung der Energiepolitik auf den Plan, wie zuletzt die steirische Klubobfrau Ingrid Lechner-Sonnek: „Es ist keine Lösung, die Flüsse bis zur letzten Kilowattstunde auszuquetschen, ebenso wenig wie im ganzen Land Windkraftwerke aufzustellen.“

Umstrittene Murkraftwerke. Im Fall von mittelgroßen Anlagen, wie bei den beiden Murkraftwerken mit zusammen 37 MW, ist der Input ins österreichische Energiesystem ebenfalls nicht berauschend, gibt DI Markus Ehrenpaar vom Naturschutzbund zu bedenken: „Die beiden Anlagen würden zusammen nur 0,26 % des Inlandsverbrauchs abdecken, was durch Einsparungen und Effizienzsteigerungen leicht wettzumachen wäre.“ Die geplanten Eingriffe in die Aulandschaft südlich von Graz, die ein Landschaftsschutzgebiet und ein biogenetisches Reservat für bedrohte Arten umfasst, würden schwerwiegende ökologische Folgen nach sich ziehen, betont Ehrenpaar: „Durch die mangelnde Fließgeschwindigkeit im etwa 16 km langen Staubereich und die Abschottung zum Grundwasser der Auwälder kommt es zu massiven Störungen des ökologischen Systems. Dadurch sind der Huchen und weitere Tierarten in ihrer Existenz bedroht.“ Zusätzlich widerspricht der Ausbau der Wasserkraft in diesem sensiblen Teilabschnitt der Mur eindeutig der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die eine Verschlechterung von Fließgewässern untersagt, ergänzt Mohl.

Ökologische Ausgleichmaßnahmen.
Diese Vorwürfe will DI Heinz Jauk, der für das Projekt zuständige Planungsleiter der Energie Steiermark, nicht auf sich sitzen lassen: „Es gibt einen umfangreichen Katalog von weit über 100 Ausgleichsmaßnahmen, die eventuelle Folgen des Eingriffs längerfristig kompensieren sollen. Mehr als 30 Mio Euro, rund ein Viertel der Gesamtinvestitionssumme, wird allein in diesem Bereich aufgewendet.“
Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert habe es durch eine brutale Begradigung des Flusslaufes einen massiven Eingriff in den Flusslauf gegeben, daher würden die Kraftwerksanlagen sogar eine Verbesserung der Flusslandschaft gewährleisten, betont Jauk: „Wir wollen absolute Vorzeigeprojekte schaffen. Wie bei neuen Kraftwerksbauten üblich, wird der Grundwasserspiegel nicht verändert und dadurch das ökologische Gleichgewicht des Auwaldes garantiert. Für den Huchen werden Fischleitern nach dem neuesten Stand der Technik errichtet, die gewährleisten, dass die Fische die Mur in beide Richtungen durchwandern können.“
Die Anlage von Altarmen, wie dem ehemaligen Ochsengrießbach, soll helfen, den ursprünglichen Charakter des Flusses wiederherzustellen, betont Jauk, nur in einem kleinen Teilabschnitt sei die Ablöse am Widerstand der Grundbesitzer, die Waldflächen weiter nutzen wollen, gescheitert. Von der ökonomischen Sinnhaftigkeit ist man bei der Energie Steiermark ohnehin überzeugt, denn die Versorgungssicherheit stehe an oberster Stelle, mit den Kraftwerken könnten rund 45.000 Haushalte versorgt werden. Schleißlich trage man dazu bei, die EU-Forderung nach erneuerbarer Energie zu erfüllen und CO2-Emissionen in Höhe von 60.000 Tonnen jährlich zu vermeiden.

Zum Wohle der Allgemeinheit? Der altruistische Ansatz des mehrheitlich in öffentlicher Hand befindlichen Energieversorgers wird vom Grünen Peter Hagenauer angezweifelt, obwohl er den Bau von Wasserkraftwerken grundsätzlich für sinnvoll hält, zumal auch „im Falle der Murauen durch vernünftige Planung ein stadtnahes Erholungsgebiet“ geschaffen werden könnte: „Vor wenigen Jahren war die Erzeugung von Strom aus Wasserkraft wenig profitabel, weshalb man sich in der Steiermark von ihr getrennt hat. Heute ist es wieder ein lukratives Geschäft, den sauberen Strom Gewinn bringend zu exportieren und gleichzeitig günstigen Atom- und Kohlestrom zu importieren. Davon legen die vollen Kassen des Konzerns beredtes Zeugnis ab.“ Diese unerwünschten Effekte, kritisiert Hagenauer, seien nicht zuletzt durch die Liberalisierung des Strommarktes begünstigt worden, die Großabnehmern in Industrie und Gewerbe billige Massentarife beschert habe, was wiederum den Anreiz zu einer stärkeren Steigerung der effizienten Nutzung fühlbar eingebremst habe: „An einer Reduktion des Verbrauchs mit allen Mitteln und in allen Bereichen wird uns aber in Zukunft kein Weg mehr vorbeiführen.“

Josef Schiffer

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