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Der Retzhof im 21. Jahrhundert: Grenzüberschreitend, barrierefrei, jugendfreundlich
Dienstag, 11. März 2008
Das Bildungshaus des Landes Steiermark, Schloss Retzhof, feiert heuer sein 60-jähriges Bestehen. KORSO beschäftigt sich in einer zweiteiligen Serie mit der Geschichte und Gegenwart dieser für die steirische Bildungs-Identität herausragenden Institution. Nach einem Streifzug durch das erste halbe Jahrhundert Retzhof-Historie in der KORSO-Februarausgabe geht es nun um die Herausforderungen, die das neue Millenium auch in der Erwachsenenbildung mit sich bringt – und darum, wie sich eine traditionsreiche Einrichtung den aktuellen Entwicklungen stellt.

1999, an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend, legte das Land Steiermark die Leitung des Traditionshauses in die Hände des Bildungswissenschafters und Erwachsenenbildners Dr. Joachim Gruber. Unter der neuen Führung entwickelte der Retzhof zeitgemäße Schwerpunkte.
Kreativität – gesellschaftspolitische Bildung – Professionalisierung in der Weiterbildung. Die traditionsreiche Kunst-Kultur-Kreativitäts-Schiene wurde weiter ausgebaut und in einigen Punkten neu definiert: Von Schreibwerkstätten über Mal- und Bildhauerei-Ateliers mit steirischen KünstlerInnen über Theaterworkshops mit namhaften RegisseurIn-
nen und SchauspielerInnen bis hin zur Stiftung des Retzhofer Literaturpreises in Zusammenarbeit mit dem Uni-Kulturverein uniT reicht die Palette der Aktivitäten. Letzterer ist übrigens bereits viermal vergeben worden – an die DramatikerInnen Gerhild Steinbuch, Johannes Schrettle, Ewald Palmetshofer und Christian Winkler. „Es zeugt von der Kompetenz der Jury, dass alle PreisträgerInnen nach wie vor als professionelle und international aktive AutorInnen tätig sind“, freut sich Gruber.
Als zweiter inhaltlicher Schwerpunkt gewann die gesellschaftspolitische Bildung im Sinne einer Emanzipation des Individuums starken Stellenwert – neben zahlreichen kleineren Veranstaltungen ist ein jährliches Symposium zu einem einschlägigen Thema fester Bestandteil des Programms. So fand 2006 ein gut besuchtes Symposium zum Thema „Gesellschaftliche Kompetenz – Qualifikation für die Zukunft!“ statt, bei dem u.a. der bekannte deutsche Philosoph und Soziologe Oskar Negt referierte, 2007 stand das Thema „Grundeinkommen für alle ?!“ am Programm. Sehr erfolgreich sind auch Veranstaltungen, die unter dem Titel „Spurwechsel“ Frauen in der Lebensmitte das persönliche Rüstzeug zu einem Neuanfang vermitteln.
Als dritten inhaltlichen Schwerpunkt etablierte der Retzhof unter Joachim Gruber eine Weiterbildungsschiene für PädagogInnen aller Fachrichtungen und Ausbildungsstufen und mit unterschiedlichsten praxisorientierten Inhalten – vom Seminar über Gruppenleitung und die Steuerung von Gruppenprozessen über Bildungsberatung und Bildungsinformation bis hin zu Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung in der Weiterbildung. Ebenso werden Kurse über Controlling und Marketing im Rahmen einer Bildungsorganisation angeboten. Gruber: „Dieser Schwerpunkt gewinnt immer mehr an Bedeutung, weil ja PädagogInnen aller Richtungen immer öfter in die Lage kommen, in ihren Institutionen auch vielfältige Management-Aufgaben übernehmen zu müssen.“ Die Kurse sind bei der Österreichischen Weiterbildungsakademie akkreditiert, die TeilnehmerInnen erwerben Punkte im Rahmen des  European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS), welches die internationale Anrechenbarkeit von Studien im Rahmen des Bologna-Prozesses erleichtern soll.

Grenzüberschreitend barrierefrei – Tore auf für die Jugend. Neben diesen drei inhaltlichen Schwerpunkten positioniert sich der Retzhof aber auch mit drei  Querschnittsgrundsätzen: Zum einen wird – auch aufgrund der geo-grafischen Lage – großer Wert auf die Kooperation über die Grenzen hinweg gelegt. Der Retzhof kooperiert mit zwei Partner-Bildungshäusern im benachbarten Slowenien (Dom Duhovnosti in Prekmurje und Rakičan bei Murska Sobota) und der Volkshochschule in Ptuj. Eine slowenische Praktikantin betreut derzeit drei einschlägige EU-Projekte, unter anderem den grenzüberschreitenden Austausch gemischter österreichisch/slowenischer/kroatisch/ungarischer SchülerInnengruppen, die jeweils einige Tage am Retzhof und einige Tage in der Nachbarrepublik verbringen.
Damit ist auch eine weitere Neu-Orientierung des Traditionshauses genannt: Es gibt zunehmend jugendspezifische Angebote, „die traditionelle Erwachsenenbildung richtet sich ja meist an Menschen, die sich der Lebensmitte nähern“, sagt Gruber. So ist es ab heuer möglich, Komplett-Packages für Schullandwochen und ähnliche Schulaktivitäten am Retzhof zu buchen, wobei zwischen den Schwerpunkten „Persönlichkeitsbildung“, „Kunst & Kultur“ und „Fit und vital“ gewählt werden kann. Spiel, Sport und Spaß ist immer dabei: Eine Kletterwand, ein Gratis-Fahrrad-Verleih und weitere Outdoor-Angebote – der Schlosspark steht für fast alle Ballsportarten zur Verfügung – versprechen einen abwechslungsreichen Aufenthalt.
Dabei kann das Haus auf einen besonderen Trumpf setzen: Die Barriere-
freiheit, die mit der Renovierung 2004 im Schlossgebäude nahezu vollständig erreicht wurde, erlaubt die uneingeschränkte Nutzung des Hauses durch Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Das Gleiche gilt auch für das Gästehaus, das heuer neu errichtet wird. Damit sind auch integrativ geführte Klassen hier bestens aufgehoben. Und auch DiabetikerInnen und Menschen, die unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten leiden, müssen hier keine Einschränkungen auf sich nehmen: Der Küchenchef des Hauses hat auch eine Ausbildung als Diätkoch absolviert, spezifisch abgestimmtes Essen wird angeboten.
Zeitgemäße Standards und ein neues Gästehaus. Neben der inhaltlichen Arbeit, die das Profil des Hauses schärft, sei der Schwerpunkt der letzten Jahre vor allem auf der Verbesserung der Infrastruktur gelegen, erzählt Gruber: „Die letzten Adaptierungsarbeiten vor Beginn meiner Amtszeit sind ja 1976 getätigt worden, da gab es gewaltigen Handlungsbedarf.“ Die 2004 anlässlich der Landesausstellung „Die Römer“ abgeschlossene Renovierung des Schlosses selbst hat neben der ästhetisch ansprechenden Wiederherstellung des ursprünglichen Bauzustandes auch die Möglichkeit geboten, die Seminarräume mit zeitgemäßer Infrastruktur von der Beleuchtungs- bis zur Tontechnik zu versehen. „Abgeschlossen wird die Erneuerungsphase nun mit dem Neubau des Gästehauses, der durch die tatkräftige Unterstützung von Landesrätin Bettina Vollath heuer im April in Angriff genommen werden kann“, freut sich Gruber. „So können wir den Standard halten und die Relation zwischen dem Platzangebot im Haus und der Bettenanzahl stimmt wieder; ab Juni 2009 werden wir wieder 80 Personen beherbergen und bis zu fünf Seminargruppen parallel führen können.“

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