Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Erst die Idee, dann das entsprechende Werkzeug – Steffi Hilgarth
Dienstag, 11. März 2008
Jetzt könnte man salopp einleiten mit: Kunst hilft im Alltag! – Und ist auch schon passiert. Im nicht allzu winterlichen Winter des Jahres 2006 konnten sich Passanten auf ihrem Winterspaziergang an der Informationsvitrine am Eingang des Forum Stadtpark an einem Kunstwerk erwärmen. Unter dem feinen, sprachspielerischen Titel Handschwärmer war der Innenraum des Glaskastens verkabelt und an den Scheiben waren handtellergroße Heizpads angebracht, auf die man von außen seine kalten Hände auflegen konnte.
Andererseits kann Kunst auf den ersten Blick auch so gar nicht hilfreich sein, wenn sie der Verunsicherung mehr oder weniger bewährter Handlungsweisen dient, Konventionen durch Gegendiskurse stört oder, wie Adorno es nannte, zum „Sand im Getriebe“ wird – was aber im besten Fall wiederum zu einer Getrieberevision führen sollte: Eine Raum- und Videoinstallation in der Wiener Akademie der Bildenden Künste war als Wahlzentrale ausgewiesen. Anlässlich der Nationalratswahlen 2006 wurde ein vollständig in Weiß gehaltener Raum zwar mit allen Attributen wahlkämpfender Parteikomitees ausgestattet, allerdings zeigten auch die laufenden Monitore nur Weiß. Ob die Installation ein Vorschlag für eine Wahlzentrale der zunehmenden Zahl von Nicht- oder Weißwählern sein könnte, bleibt der individuellen Interpretation überlassen.

Mensch im Raum. Nicht die Technik verschiedener Medien in den Arbeiten der 1982 in Graz geborenen Steffi Hilgarth steht im Vordergrund, vielmehr sind es gesellschaftliche Themen, die letztlich die Befindlichkeit des Individuums maßgeblich beeinflussen. So steht der Mensch als Benutzer von Räumen und Objekten im Zentrum der Betrachtung und künstlerischen Untersuchung. Das praktikabelste und aussagekräftigste Medium wird gewählt und so wird etwa eine Performance im öffentlichen Raum für das Constance Howard Resource and Research Centre in Textiles, London als Videodokumentation festgehalten. In der Pink Suite-Performance war Hilgarth in mehreren Stadtteilen Londons und Hamburgs unterwegs, eingehüllt in einen Ganzkörperanzug, der auch die Sicht auf ihre Umgebung massiv einschränkte. Für die Zeit der Performance wurde sie so zum sich aussetzenden und beobachteten Objekt, während sie selbst die auf sie gerichteten Blicke nicht erwidern konnte. Der Anzug allerdings wurde – und man erinnere sich an Oswald Wieners bio-adapter – zu einer Art Membran zwischen Trägerin und Öffentlichkeit, die gleichermaßen Aufmerksamkeit provoziert, wie sie vor Blicken schützt.

Zeichnung und Illustration. Im Jahr 2000 begann Steffi Hilgarth mit einem Architekturstudium an der TU Graz, wobei sie bald, über Kurse für künstlerische Gestaltung bei Jörg Schlick und Hans Kuppelwieser, ihr Interesse auf die bildende Kunst konzentrierte. Sie war beteiligt an der Gründung des Kollektivs wir, das Veranstaltungen im Kunst- und Kulturbetrieb organisierte. Zwei Jahre später wechselte sie an die FH-Joanneum und schloss 2006 ihr Studium für Industriedesign mit ab. In ihrer Diplomarbeit (eine Zusammenarbeit mit Benedikt Kirsch) trägt den Titel Wohnzeug und richtet sich mit der Option an zeitgenössische Nomaden, mittels 3D-Plotter die Architektur ihres Hauses, ausgehend von einer Kernzelle (Küche, Bad, WC) selbst zu konzipieren.
Während Arbeitsaufenthalten in Mailand und Hamburg entwickelt Hilgarth ihre zeichnerischen Qualitäten und infolge einer ersten Ausstellung in einem Grazer Kaffeehaus nimmt sie Aufträge für Illustrationen in Printmagazinen an – bob magazine, biorama, Wienerin, Palmers und andere mehr.
Seit 2006 studiert Steffi Hilgarth in Wien an der Akademie der Bildenden Künste bei Dorit Margreiter, deren Lehrinhalte auf die Schwerpunkte Architektur, Stadtentwicklung und –Theorie ausgerichtet sind.

Wie innen, so außen. In Zusammenarbeit mit Julia Grandegger realisierte Hilgarth im Vorjahr eine Installation während eines Workshops in Halle-Neustadt. In der vormals sozialistischen Planstadt der DDR werden inzwischen sukzessive Plattenbauten der Großsiedlungen aus den 60er Jahren abgetragen und es entstehen weiträumige Grünflächen. Im Zuge ihrer Recherche stellten Grandegger und Hilgarth fest, dass in Halle-Neustadt gegenwärtig eine der größten Vogelartenvielfalt Deutschlands existiert. Im Konzept Vogelhaus der Neustadt kombinierten die Künstlerinnen nun das ornithologische Kuriosum mit einem bestehenden Phänomen sozialer Stadtarchitektur. Jeder der noch vorhandenen Plattenbauten weist die gleichen Wohnungsgrundrisse und standardisierte Raumgrößen auf. Auf den sozialistisch ökonomischen Versuch einer Vereinheitlichung von Wohnverhältnissen reagierten die Bewohner erwartungsgemäß mit Individualisierung der Details. Am auffälligsten, beschreibt Hilgarth die besuchten Wohnungen, waren verschieden gemusterte Tapeten, die nicht nur an die Wände, sondern auch auf Türen und Mobiliar geklebt waren. Dem Prinzip der Standardisierung folgend, brachten die beiden Künstlerinnen nun seriell gefertigte Vogelhäuschen, in vertikaler Linie an der Fassade eines Plattenbaues an. Die Vogelhäuschen unterschieden sich voneinander nur durch ihre Tapezierung im Inneren – sichtbar an der Einflugsöffnung – die wiederum jener der zugeordneten Wohnung entsprach.

Armut war gestern. In einem Animationsvideo konterkariert Steffi Hilgarth den moralisierenden Plot von Märchen. Ihr Sterntaler (1,37 min. 2007) nimmt zwar zunächst die Fabel des gleichnamigen Märchens auf, anstatt aber für seine Redlichkeit und Selbstlosigkeit reich belohnt zu werden, stirbt das Mädchen am Ende, nämlich an Selbstaufgabe infolge der Selbstlosigkeit. Sterntaler ist als Stop-Motion-Animation ausgeführt und wurde von Steffi Hilgarth als Beitrag für das Festival Gold – Armut war gestern im Forum Stadtpark produziert.

Aber das ist nicht alles – und hier steht kein Schluss …
Wenzel Mraček

KURZBIOGRAFIE

Steffi Hilgarth, geb. am 03.03.1982 in Graz , lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin und Illustratorin in Wien

2008 Gründung von azifazi.net / Kollektiv für Gestaltung
2006 Studium an der Akademie der Bildenden Künste Wien,
Prof.in Dorit Margreiter
2006 Diplom für Industrie Design an der FH-Joanneum, Graz
2005 Arbeitsaufenthalt im Büro für Gestaltungsfragen, Hamburg
2004 Auslandsstudium am Politecnico di Milano, Mailand
2000 - 2002 Architekturstudium an der TU Graz, Jörg Schlick, Hans Kuppelwieser
2000 Matura, Graz

Seit 2006 Mitglied bei Design Austria und Forum Stadtpark, Graz.

Ausstellungen/Festivals (eine Auswahl)
2008 „Script“, Screening im Rahmen von „In der Kubatur des Kabinets “ Fluc , Wien
2008 „ein päckchen für Kirgistan “, Nationales Museum für Bildende Kunst – Bischek, Kirgistan
2007 Akademie workshop , Halle Neustadt
2007 Gold, die Armut war gestern. Forum Stadtpark Festival, Graz
2006 Handschwärmer, Vitrinenkasten , Forum Stadtpark, Graz
2006 Illustreet in Rahmen von Spleen, Internationales Theaterfestival für Kinder und Jugendliche, Graz
2005 living in a material world – Constance Howard Institute, London
2005 durch.sichtungen, Tribeka, Graz
2004 Raus aus der Wohnung. Rein in die Fabrik - Aktion und Rauminstallation, im Rahmen des steirischen Herbst
2004 Suit., Performance, Hamburg
2003 Bewegung im Ruhezustand Openair und Autokino
2002 D-Generation – Openair-Autokino, Work in Progress und Musik, in Kooperation mit dem Medienturm, Graz
2002 The magic hour, Lichtinstallation, Kristallwerk Graz, 2002
2002 Gründungsmitglied der Gruppe WIR.

Preise/Auszeichnungen
2007 Romulus – Candea - Preis , Kinderbuchjury & Austellung
2007 Adolf Loos Staatspreis für Design, Nominierung in Kooperation mit hilgarthdesign
2005 International Transportation Award, Segment 2020, 1.Preis
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