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Schwarz-Grün: Die neue Politik fährt Rad und Bim
Dienstag, 11. März 2008
Image Mit einer 26-Seiten-Vereinbarung, weiteren unzähligen Seiten an Konkretisierungen, die noch folgen sollen und einer geheimen Sideletter haben sich die Stadt-ÖVP unter Bürgermeister Siegfried Nagl und die Grünen unter Lisa Rücker auf eine schwarz-grüne Koalition geeinigt, die ab 13. März die Geschicke der steirischen Landeshauptstadt lenken wird. KORSO durchleuchtet in dieser Ausgabe in einem Gespräch mit der designierten grünen Vizebürgermeisterin einige Eckpunkte des schwarz-grünen Programms – und hat auch SP-Chef Wolfgang Riedler gebeten, die Vereinbarung zu kommentieren.

In der April-Ausgabe setzen wir die zweiteilige Serie mit Einschätzungen von ÖVP- und KPÖ-Seite fort.

Die ÖVP hat ihre Abneigung gegenüber (imaginierten) Haschtrafiken und der Homo-Ehe überwunden, die Grünen haben den Schleier des Vergessens über den Bollwerk-gegen-die-Türken-Sager Nagls gebreitet: Mit so viel Verve ist selten eine Regierungszusammenarbeit zwischen zwei politischen Gruppierungen angegangen worden wie zwischen der Öko-Partei und der nach Eigendefinition christlich-sozialen Wirtschaftspartei; dass sich die Opposition anschnallen wird müssen, scheint jetzt schon klar zu sein.

Stadtwerke: Keine Verkäufe. So wird etwa der Aufsichtsrat der Grazer Stadtwerke von Seiten der Stadt nur mehr mit Vertretern von ÖVP und Grünen besetzt werden; die beiden anderen Stadtsenatsfraktionen SP und KP werden ihre Aufsichtsräte verlieren. Einziger Trost zumindest für die Sozialdemokratie: Über die Belegschaftsvertretung behält sie im Aufsichtsrat den Fuß in der Tür.
Bei den Vorständen soll es aber „kein Köpferollen“ geben, sagt Rücker. Und: „Die von den Stadtwerken im Auftrag der Stadt betriebene Daseinsvorsorge darf  nicht angetastet werden.“ In der Koalitionsvereinbarung wird dazu festgehalten: „Ein Verkauf von Teilbereichen des Unternehmens Grazer Stadtwerke AG ist auch im Zuge einer Neustrukturierung nicht vorgesehen.“ Die Wirtschaftsbetriebe der Stadt Graz, deren Verkauf an die Stadtwerke schon seit langem im Raum steht – ein Schritt, dem die scheidende Ressortchefin Wilfriede Monogioudis scharfen Widerstand entgegen setzte – sollen erst dann an die Stadtwerke gehen, „wenn dort Transparenz hergestellt ist, und auch dann nur, wenn damit Synergien hergestellt werden“, versucht Rücker gemeinwirtschaftlich orien­tierte Grün-WählerInnen zu beruhigen. Die Herauslösung der Wirtschaftsbetriebe aus der Stadt war allerdings auch eine Forderung des ehemaligen grünen Klub­obmanns Markus Scheucher, der damals innerhalb seiner Partei in der Minderheit geblieben war, in der neuen Konstellation damit aber punkten könnte; es wird angenommen, dass er wie schon einmal als Vertreter der Grünen in den Aufsichtsrat der Stadtwerke einziehen wird.

Schrumpf-Agenden für die Opposition. Zweites Beispiel für den unbändigen Gestaltungswillen der neuen Koalition: Die Ressorts, die den anderen Fraktionen überlassen wurden, sind deutlich abgespeckt – dem designierten Kulturstadtrat Riedler wird die Beschäftigung mit Stadtmuseum, Bibliotheken und Forschung erspart bleiben, die Bühnen, deren Eingliederung aus den Agenden des Bürgermeisters ins Kulturressort schon lange ventiliert wurde, werden nun weiter in der ursprünglichen Ressortzuständigkeit verbleiben. Dafür bekommt Riedler – Ironie der Geschichte – die Zuständigkeit für das Gesundheitsamt, dessen Budget auch durch die während seiner eigenen Ägyde als Finanzreferent umgesetzten Sparmaßnahmen so gut wie keinen politischen Spielraum lässt. Die Ressorts Soziales und Jugend, die ursprünglich bei einer Referentin, Tatjana Kaltenbeck, angesiedelt waren, sind jetzt zwischen SP-Stadträtin Elke Edlinger und VP-Stadtrat Detlev Eisel-Eiselsberg aufgeteilt. Riedler: „Damit ist auch die Umsetzung des nach internationalen Vorbildern entwickelten Sozialraumkonzeptes gefährdet, weil dafür ja die Synergien zwischen Sozial- und Jugendarbeit gebraucht werden.“
KP-Stadträtin Elke Kahr verliert zwar nichts, kann aber alle Hoffnungen auf eine Abrundung ihrer Kompetenzen in Richtung Grundstücksvorsorge für den sozialen Wohnbau begraben.
Dass FP-Frontfrau Susanne Winter aus Sicherheitsgründen nur solche Agenden (Geriatrie und Straßenamt) überlassen wurden, die ihr möglichst wenig Auftritte in der Öffentlichkeit ermöglichen, dürfte allerdings auf Zustimmung aller Fraktionen stoßen, die sich im Wahlkampf an das Fairnessabkommen gehalten haben.

Die neue Politik fährt Rad und Bim. Eine neue Verkehrspolitik mit Schwerpunkt auf umweltfreundliche Mobilität steht im Zentrum der schwarz-grünen Vereinbarungen; die Zuständigkeit dafür wird bei Rücker selbst liegen. Dazu sind in der Vereinbarung auch die detailliertesten Maßnahmen zu finden – von der Ausweitung des Straßenbahnnetzes über zusätzliche Buslinien bis hin zu Maßnahmen zur Anhebung der Fahrradfreundlichkeit.

Projekte wie die Errichtung der Straßenbahnlinien „Nordwest“ und „Südwest“, die Einrichtung von Schnellbahnlinien und die Attraktivierung des Radverkehrs waren allerdings schon einige Zeit vor der Grazer Wahl von den Ressortzuständigen in Stadt und Land – Stadtrat Gerhard Rüsch und Landesrätin Kristina Edlinger-Ploder – präsentiert und auf Schiene gebracht worden, gibt auch Rücker zu. „Der Zeitpunkt ist aber günstig, und wir können hier noch einmal anschieben.“ In jedem Fall können sich die Grünen auf ihre Fahnen heften, dass sie durch langjährige Beharrlichkeit ein Umdenken der ÖVP in Verkehrsfragen herbeiführen konnten, dessen Früchte sie nun mit genießen können.
Das grüne Projekt Citymaut wird allerdings in der kommenden Legislaturperiode nicht verwirklicht, die ursprünglich geforderten Fahrverbote bei Feinstaubalarm wird es aufgrund der derzeitigen Rechtslage auch nicht geben und die Vizebürgermeisterin wird gemäß Koalitionspapier auch den Bau des von  den Grünen ursprünglich abgelehnten Südgürtels vorantreiben und die Trassenführung für den Ostgürtel prüfen müssen.

„Kein neoliberaler Kurs“. Wie sollen die ambitionierten Projekte im Bereich des öffentlichen Verkehrs bezahlt werden? Der scheidende Finanzreferent Wolfgang Riedler merkt dazu ironisch an, dass es kein Problem sei, sich – wie es in der Koalitionsvereinbarung über weite Strecken der Fall sei – zu ohnehin bereits bestehenden Planungen zu bekennen; zu klären sei, wie deren Umsetzung finanziert werden könne.
Rücker war diesbezüglich gemeinsam mit den ÖVP-Verhandlern bei Finanzlandesrat Buchmann und Landesrätin Edlinger-Ploder vorstellig; die Einführung einer Mobilitätsabgabe wurde zumindest in Aussicht gestellt. Rücker setzt aber auch auf Mittel aus dem Klima-Fonds, auf Querfinanzierungen der GVB innerhalb der Stadtwerke, auf die Auflage von Stadt-Anleihen („Da ist jetzt auch die ÖVP dafür“), auf zusätzliche Einnahmen aus der Grundsteuer und aus der Ökologisierung von Gebühren. Außerdem soll die GBG Grundstücke entlang der neuen Straßenbahntrassen aufkaufen und die erschlossenen Parzellen mit Gewinn wieder verkaufen. Klar ist jedenfalls: „Ein Nulldefizit wird sich nicht wie ursprünglich geplant mit 2010 ausgehen.“ Und: „Das ist kein neoliberaler Kurs, wie die SPÖ jetzt sicher behaupten wird.“ Dafür sprächen auch die Anstrengungen im Bereich der Integration mit der Wiedereinführung der Schulsozialarbeit (Ex-Stadtrat Werner Miedl hatte ja statt dessen Feng Shui zur Herstellung eines gedeihlichen Schulklimas präferiert) oder das Leitprojekt Siedlungsbetreuung, das soziale Spannungen vor Ort entschärfen soll.

Leerstellen: Arbeitsmarktpolitik, Armutsbekämpfung und kommunaler Wohnbau.
Die Kritik Riedlers am Inhalt des Arbeitseinkommens selbst bleibt eher verhalten: „Die Vereinbarung zwischen ÖVP und SPÖ für die letzte Gemeinderatsperiode war zwar eine Spur konkreter, aber es liegt in der Natur solcher Dokumente, dass sie Interpretationsspielräume lassen. Das Papier entspricht im Wesentlichen der aktuellen Beschlusslage der Stadt.“ Er hätte selbst kein Problem darin gesehen, ein identisches Abkommen im Rahmen einer Drei-Parteien-Vereinbarung zu unterschreiben, aber: „Man wollte uns ja gar nicht dabei haben.“ „Allerdings hätte ich auf der Aufnahme einiger zusätzlicher Arbeitsschwerpunkte beharrt: Arbeitsmarktpolitik, Armutsbekämpfung und das Bekenntnis zum kommunalen Wohnbau fehlen leider in der vorliegenden Vereinbarung ebenso wie klarere Vorstellungen zur Finanzierung der Vorhaben.“
Riedlers Hauptkritik zielt allerdings auf die Vorgangsweise der ÖVP: „Das ist das erste Mal, dass die zweitstärkste Partei Verhandlungen angeboten hat und man ihr von Vorneherein signalisiert hat, dass man sie nicht dabeihaben will. Hauptziel war, die SPÖ möglichst aus der Regierung auszuschließen – das bedeutet, dass wir uns jetzt auf mehrere Jahre konservativer Politik mit grünen Einsprengseln gefasst machen müssen.“
Rücker sieht die neuen Verhältnisse naturgemäß anders: „Wir werden jetzt zeigen, dass in Graz eine andere Politik möglich ist als jene, die die ÖVP gemeinsam mit der strukturkonservativen Sozialdemokratie zu verantworten hatte.“

cs
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