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Die „Eisenerz-Protokolle“ im Grazer Schauspielhaus
Archiv - Rezensionen
Dienstag, 14. März 2006
ImageAm 1. April 1946 begann in Graz vor einem britischen Militärgericht der so genannte „Erste Eisenerz-Prozess". 60 Jahren danach zeichnet das Regie-Duo Deborah Epstein und Marcus Mislin diesen Prozess an Hand der Prozess-Berichte und Protokolle im Redoutensaal des Grazer Schauspielhauses nach.

Hintergrund dieses ersten großen Nachkriegs-Prozesses war das Massaker am Präbichl in der Endphase der NS-Herrschaft. Am 7. April 1945 hatten Angehörige des Eisenerzer Volkssturms rund 4000 ungarische Juden am Präbichl in Empfang genommen, um sie bis zur oberösterreichischen Grenze zu eskortieren. Viele von ihnen kamen nie so weit: Im Herbst 1945 wurde beim Leopoldsteiner See nahe Eisenerz ein Massengrab gefunden, wo rund 200 Leichen ermordeter Juden verscharrt worden waren.
In dem im April 1946 geführten Ersten Eisenerz-Prozess mussten sich 18 Personen wegen dieses Massakers verantworten. Zehn von ihnen wurden nach einem Monat Verhandlung zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Bald nach diesem Urteilsspruch und einigen Nachfolgeprozessen begann die Verdrängung dieses dunklen Kapitels steirischer Geschichte. Die Gründe dafür waren sowohl lokal-, innen- sowie außenpolitisch motiviert. Zum einen waren die Täter in Eisenerz nicht die „Deutschen", sondern die Nachbarn und Verwandten. Zum anderen wurden mit der Politik der Aussöhnung – der Integration der ehemaligen Nationalsozialisten – ab spätestens 1949 die Opfer vergessen. Zudem versuchte Österreich erfolgreich seinen Staatsvertrag zu bekommen. Der politische Hintergrund, die Moskauer Deklaration mit dem Passus, dass Österreich das erste Opfer Hitlerdeutschlands war, wurde dahingehend ausgelegt, „dass wir nur Opfer waren". Der Täteranteil – hier etwa die Judenmörder – wurde ausgeblendet. Erst in den letzten Jahren hat eine Sensibilisierung stattgefunden und eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels begonnen; am Präbichl wurde 2004 ein Denkmal errichtet, das von Christian Ehetreiber und dem Verfasser dieses Beitrags 2005 herausgegebene Buch „Todesmarsch Eisenstraße 1945" hat verschiedene Aspekte des Terrors, der Erinnerung und der Handlungsspielräume zur Verhinderung ähnlicher Ereignisse ausgeleuchtet.
Mit dem Stück „Eisenerz-Protokolle" hat das Regie-Duo gemeinsam mit sechs jungen SchauspielerInnen, die abwechselnd Ankläger, Zeugen und Täter sind, ein weiteres Mosaiksteinchen zur Aufarbeitung dieser verdrängten Geschichte beigetragen. In dem Stück, das weitgehend auf Bühnenbild und Kostüme verzichtet, steht die Frage im Mittelpunkt, wie Menschen zu Massenmördern werden können.
Heimo Halbrainer

 

Termine im März:
20. und 28.3.2006, 20.00 Uhr, Redoutensaal des Schauspielhauses Graz
20. und 28.3.2006, 20.00 Uhr, Redoutensaal des Schauspielhauses Graz

Literatur zum Thema:
Heimo Halbrainer/Christian Ehetreiber (Hrsg.): Todesmarsch Eisenstraße 1945. Terror, Handlungsspielräume, Erinnerung: Menschliches Handeln unter Zwangsbedingungen. ISBN 3-9500971-9-8. Graz: Clio 2005.
248 S. Euro 22,00

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