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Events im Schauspielhaus |
Sonntag, 10. Februar 2008 | |
„Alice“, „Sound of Seiersberg“, „Der Zerrissene“ und zuletzt „Pyrenäen“
– die Inszenierungen auf der großen Bühne des Grazer Schauspielhauses
bieten mit ihrem fabelhaften Bühnen- und Lichtaufwand, mit Livebands
und filmfesten Schauspielern wahres Überwältigungstheater. Die Frage
ist nur, ob diese Qualitäten noch jene naive Kernkompetenz einlösen,
wie sie Goethes Theaterdirektor im Vorspiel des „Faust“ fordert: „Drum
schonet mir an diesem Tag / Prospekte nicht und nicht Maschinen …“ –
Oder mehr auf die industrialisierten Unterhaltungsformen wie Show,
Event, Film und Fernsehen schielen. Der Zerrissene Gäbe es ein „Replay“ im Theater, möchte man die ersten Minuten, in denen Max Mayer am 7.12.07 als „Der Zerrissene“ sich, das Publikum, die ganze Welt mit anarchischer Gleichgültigkeit verhöhnt, immer aufs Neue wiederholen. Nestroy unterwirft die menschlichen Verhältnisse – auch das menschlichste Verhältnis, nämlich jenes zu sich selbst – dem Lackmustest übergroßen Reichtums. Und wie Max Mayer den Beginn dieser verzweifelt realistischen Komödie mit der Verachtung eines durch seinen Reichtum sich selbst und der Welt zutiefst Entfremdeten spielt, ist genial frech und traurig genial. Aber leider werden Max Mayer und Nestroys Klassiker im Grazer Schauspielhaus allzu bald von der Regie Christine Eders einem grob auf Zeitgeist reduzierten bzw. modernisierten Volksstück geopfert. Eine gähnend große Disco und unterkühlte Technoästhetik für eine vergnügungssüchtige Klassengesellschaft – meinetwegen. Aber der ungehobelte Steinzeitrock hat mit der intendierten Bussibussi-Gesellschaft schon gar nichts gemein. Deix droht schon im Programmheft, und die auf Abendlänge gestreckte Karikatur einer Fernseh-Volkskultur ergibt bloß eine denunziatorische Verwechslung von Biedermeierposse mit Geschmacklosigkeit. Nicht einmal die Seitenblicke-Gesellschaft zieht sich auch nur annähernd so blödsinnig an, wie es Regie oder Kostüm (Monika Rovan) von ihren Schauspielern forderten; der wackeren Sophie Hottinger gebührt Respekt dafür, wie sie sich trotz ihres unsäglichen Minirocks der Rolle als Kathi annimmt. Der Rest des Ensembles kämpft sich wacker durch den Fetzenball. Dabei ist dieser Nestroy mit dem Schlosser Gluthammer als chancenlose Ein-Mann-AG, der Unvermeidlichkeit gehobener Schmarotzer, der ungebrochenen, aber realitätsfremden Ehrlichkeit kleiner Leute leider ziemlich aktuell. Ein Plus dieses „Zerrissenen“ ist aber doch ein wirklich gutes Timing, das den Abend, gestützt auf Nestroys Theaterpranke, vielleicht ärgerlich, aber nie langweilig werden lässt. Und, wie eingangs gesagt, ein einsamer Höhepunkt ist Max Mayer während der ersten zehn Minuten. Noch am 12.2. und am 13., 15., und 27.3. Pyrenäen „Pyrenäen“, eine deutschsprachige Erstaufführung des schottischen Großdramatikers David Greig, ist „filmisch“ die bisher überzeugendste Premiere dieser Saison. Regisseurin Cornelia Crombholz hat diesmal ihr Faible für ein Theater, in dem die Schauspieler rennen, springen, stürzen oder hetzen, gleich auf die Bühne selbst ausgedehnt. Eine halbkreisförmige, hohe Schale verschließt den Blick wie ein zweiter Vorhang, beginnt sich aber gleich im Kreis zu drehen und den Blick auf ein Fotopanorama des den Titel spendenden Gebirges freizugeben. An dessen Fuß liegt, mitten auf dem Pilgerpfad nach Compostella, ein Mann reglos neben einem qualmenden Feuer im Schnee. Doch diese Wand (Bühne: Natascha von Steiger) dreht sich unablässig weiter, löscht dieses Bild und gibt es wieder frei, während stumme Mönche, Inquisitionsgestalten zweifellos, diese leere Projektionsfläche entlanglaufen oder im Hintergrund Module eines Berghotels vor einer hispanischen Kapelle durcheinander wirbeln. Dazu orgelt pompös Musik von Sigur Ros. Der Zuseher könnte sich noch lange von diesen bewegten Bildern fesseln lassen, deren Botschaft vor allem in der Überwältigung liegt. Doch schließlich erscheint Anna von der britischen Botschaft in Marseille und nimmt Sprechproben von dem Gedächtnislosen zwecks Identifizierung auf: kleiner Abstecher in die Feinheiten britischer Idiome. Warum muss aber die ansonsten großartige Martina Stilp diese Botschaftsangehörige, die doch in größtmöglicher Entfernung von jedem Prekariat angesiedelt ist, derart schusselig spielen, dass sie jeden Augenblick aus dem Bild zu stürzen droht? Natürlich bahnt sich bald etwas an zwischen den Rauchern, der hektischen Anna und dem von August Schmölzer mit geerdeter Professionalität gespielten Verlorenen bzw. Gefundenen. Aber dann kommt leider Vivienne (ähnlich robust Josefin Platt) dazwischen; die legitime Ehefrau hat schon längst im Berghotel Stellung bezogen, um auf ein Wiedererkennen durch ihren Mann zu warten. Ergänzt wird diese Identitätsdreifaltigkeit des Verlustes, des Neuerfindens und des Beharrens durch einen Hotelier, der anscheinend über beliebig viele Identitäten verfügt: Jan Thürmer im Sekundentakt als Spanier, Italiener, Deutscher, Engländer ist von geradezu gespenstischer Virtuosität. Wodurch wird Identität konstituiert? Liegt im Verlust des Gedächtnisses die Chance, ein neues Leben zu beginnen, oder wird man stets vom alten eingeholt? Greigs Text jongliert geschickt und klug mit den unterschiedlichsten Bedeutungsebenen. Nur wird leider immer unklarer, was für eine Art Stück da zu sehen ist: Böse Boulevardkomödie? Absurdes Theater? Das Leben als Pilgerfahrt? Mysterienspiel? Oder gar das Leben als Traum? Im letzten Bild wird klar: Der Fremde erfriert den ganzen Abend lang im Schnee und wir, die Zuseher, sind Zeugen seines Todestraumes geworden, in dem praktischerweise das ganze Leben des Helden Revue passieren darf … Auch so ein Filmtrick, den man eher der Theaterregie als dem Autor zutraut. Dann kommt die leere (Lein-) Wand, jetzt, da der Film vorüber ist, wieder zum Vorschein, unsere Tabula Rasa ist bereit für neue Einschreibungen. Allen zu empfehlen, die Bühne, Regie und Schauspieler in Topform schätzen. Noch am 15., 28.2. und am 5., 19. und 20.3. Starker Schoko Wenn man ihm gut gesinnt ist, nennt man ihn „Schoko“, aber daraus wird schnell „Neger“, „Affe“ oder Schlimmeres. Ist es nicht so, dass (weiße) Zuseher stets ein leicht herablassendes Mitleid für Othello, den arglosen, eifersüchtigen Mohr von Venedig erfüllt? In ihrer Inszenierung der Othello-Fassung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel auf der Probebühne treibt Christina Rast ihren Zusehern die klammheimliche Herablassung gründlich aus. Anfangs steht der Hass auf den Fremden, den anderen, den Schwarzen sehr im Vordergrund; später werden dann noch stärkere, feministische Töne hinzukommen. Von den sechs nebeneinander auf Hockern aufgereihten Spielern sind alle außer Othello weiß geschminkt. Das turnt einen ebenso wenig an wie die Reihe nackter Spinde hinter ihnen oder der V-Effekt, Akte und Regieangaben vortragen zu lassen. Es macht wenig Sinn, einzelne Leistungen des von Christina Rast zusammengeschweißten Ensembles herauszuheben. Dominik Maringers Jago emanzipiert sich immer überzeugender aus dieser Gleichförmigkeit. Der Othello von Daniel Doujenis ragt ungeschminkt und glänzend wie noch aus einer historisch-klassischen Inszenierung heraus. Die anderen befreien sich im Verlauf des Abends immer mehr von ihrem Panzer aus weißer Schminke. Den rattenhaften Ton dieser conditio humaine hat wohl Jaschka Lämmert als Emilia am ungeschminktesten getroffen, und Thomas Frank als dicker Rodrigo vermittelt zugleich Abscheu und Rührung. Aber ganz gleich, ob man die krude Sprache, all das „Ficken“ und „Lecken“ mag oder ob man die gestischen Codes und Imponierhaltungen einer eher kriminellen Unterschicht passend für Venedigs Führungsschicht hält: Christina Rast hat den Zuseher bald am Schlafittchen und dreht die Schraube immer mehr an. Schon 2005 bei ihrer außerordentlichen Inszenierung von Stasiuks „Ostmark“ gelang ihr das Kunststück, unterschiedlichste Spielformen und Theatermotive zu einem selten kraftvollen Abend zu amalgamieren. Diesmal lässt sie aus banaler Wegwerfästhetik, Kostümfetzen, schlampig aufgetragener Schminke schneller, als es das Auge wahrnimmt, eine Brutalität herausschießen, die die minutenlangen Ballerorgien müder Blockbuster um Lichtjahre in den Schatten stellt. Auch bei Shakespeare geht es mörderisch zu, der Unterschied besteht darin, dass bei dem elisabethanischen Dramatiker die großen Worte jedenfalls als Denk-Dekor, als Metapher immerhin noch im Hintergrund leuchten. Auf der Probebühne herrscht dagegen eine pragmatische, sich selbst als finsteres Material empfindende Sieger- und Verlierer-, Sauf- und Fickhaltung: Null Fallhöhe zur banalen, sinnlosen Kreatürlichkeit. Jago (Dominik Maringer) massakriert Cassio mit einer Brille, dem dumpfen Rodrigo steckt er Gift ins Maul und kommentiert diese Vorgänge mit einem ungerührten, narzisstischen Zynismus. Nachdem er sein Räderwerk aus Verrat abschnurren hat lassen, sitzt Jago leer und schlaff da, bis ihm seine Frau Emilia mit einem durchdringenden Knacks den Hals umdreht. Dieses gleichsam biologische Ticken der Gewalt erinnert ebenso wie der Gebrauch eines speziellen Idioms an Stanley Kubricks Film „Clockwork Orange“ mit seinen russischen Lehnwörtern. Indem Christina Rast sich auf ihr extremes Theater besinnt und auf jedes Spekulieren mit filmischen Effekten verzichtet, lässt sie den Film selbst als Leitkultur alt aussehen. Ihr „Othello“ ist das derzeit Radikalste und Beste auf den Grazer Bühnen; man wünscht ihm viel Publikum. Noch am 14. und 24.2. und am 2., 8. und 30.3. W.H.
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