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Eine Erzählung nach dem Leben.
Samstag, 10. November 2007
Erich Hackl: Als ob ein Engel. Erzählung nach dem Leben. Zürich: Diogenes 2007, 169 Seiten, 18,40 Euro

Erich Hackl ist kein Vielschreiber – und das ist verständlich: Auch für sein neuestes Werk hat er mehrere Jahre recherchiert. In „Als ob ein Engel" zeichnet er das Leben von Gisela Tennenbaum nach, die als Mitglied der linksperonistischen Montoneros im April 1977 in einem Vorort von Mendoza in einen Hinterhalt von Schergen der damaligen argentinischen Militärdiktatur geriet und seitdem verschollen ist. „Gisi", eines der 30.000 „verschwundenen" Opfer des Regimes, hat eine besondere Biografie: Sie ist die zweite Tochter von jüdischen EmigrantInnen aus Wien, Helga und Willi Tenenbaum, die noch als Kinder mit ihren Eltern vor dem Faschismus nach Lateinamerika flüchteten. Beide konnten sich dort unter großen Schwierigkeiten eine Existenz als Ärzte aufbauen, blieben aber dabei ihrer humanistischen, linkssozialistischen Weltanschauung verbunden.

Hackl rekonstruiert Gisis Geschichte anhand der Aussagen ihrer Eltern, ihrer Schwestern, von überlebenden Mitkämpferinnen, von KindheitsfreundInnen. Da treten verschiedene Sichtweisen und Erinnerungen zutage; betroffen macht vor allem die Gespaltenheit ihrer engsten Umgebung zwischen Solidarität und der mehr als begründeten Angst, durch eben diese Solidarität selbst zum Opfer werden zu können: So untergräbt staatlicher Terror die Beziehungen zwischen Menschen und sorgt für die Aufrechterhaltung von Unrechtsherrschaft. Dass die Protagonistin der Erzählung dem Leser in vielem seltsam unfassbar, „unfertig" erscheint, entspricht wohl der Realität einer Zweiundzwanzigjährigen, deren Leben dort gewaltsam beendet wurde, wo es eigentlich erst beginnen hätte sollen – und der Disziplin des Autors, der ganz offensichtlich auf alle Spekulationen verzichtet hat. Hackls Meisterschaft, die er seit „Auroras Anlass" und „Abschied von Sidonie" mit jedem seiner Werke unter Beweis stellt, besteht darin, die Realität auch ohne fiktionale Hinzufügungen so in Literatur zu gießen, dass sie wesentlich tiefer berührt als jeder Tatsachenbericht.

Christian Stenner

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