Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Theater-Herbst-Mischung
Samstag, 10. November 2007
Einmal beinahe geniales, dann junges und zuletzt knallhartes Theater: Beinahe genial – vor allem wegen des Textes – war die Uraufführung von Günter Eichbergers „Ferienmörder" im Theater im Keller am 23.10. In „Verschwinden oder Die Nacht wird abgeschafft" verbindet die Theaterhoffnung Gerhild Steinbuch in kühnem Bogen Antigone-Mythos, Probleme einer überalterten Gesellschaft und Vorbildlernen am körperbesessenen Machovater. Tadellos inszeniert und gespielt, wenn auch etwas atemlos mit diesem ständigen Druck, der schließlich zu leichten Kopfschmerzen führt, war die Inszenierung von Horvaths „Zur schönen Aussicht" im Grazer Schauspielhaus.

„Der Ferienmörder" im Theater im Keller – tauschen Sie einfach einen Mitlaut aus, liebe Leser! An einem trivialen Sujet – zwei Urlaubspaare am Sandstrand mit einem Chor anonymer Touristen im Hintergrund – demonstriert, beschwört, instrumentalisiert Eichberger die Sprache selbst, den alten Dämon, als unsichtbaren aber hörbar wichtigsten Helden seines Stückes. Eichbergers Protagonisten (inklusive Chor) betreiben eine saloppe „Sprachkritik", indem sie nicht nur sich selbst spielen, sondern zusätzlich so spielen, dass alles auch anders sein könnte. Vorgeführt wird nicht nur ihre Wirklichkeit im Liegestuhl am Strand, sondern zusätzlich ihre Wirklichkeit als sprachliches Konstrukt. Eichberger gewinnt diesem ständigen anarchischen Wechsel der semantischen Ebenen neben der Situationskomik auch enormen Sprachwitz ab. Ohne jeden Anflug von Kabarett parodiert und reflektiert er seine beim Wort genommenen Standardtypen: liebestolle Blondine, dominanter Ehemann, schlawinernder Kellner. Der Balanceakt zwischen theoretischer Versuchsanordnung und robustem Theater ergibt in der gradlinigen Regie von Alfred Haidacher einen gleichzeitig anspruchsvollen und unterhaltsamen Abend. Bernd Sracnik, als „Mann" noch am ehesten Stimme des Autors, verzichtet nobel darauf, ein bestens disponiertes Ensemble zu dominieren. Eva Weutz als „Frau" und vor allem Ulli Emmer als „Fräulein" füllen ihre Rollen geradezu nahtlos aus. Neben dem gefassten „Männlein" von Alfred Haidacher himself erntete noch Alexander Kropsch als Alltagsclown in vielen Verkleidungen Heiterkeitserfolge. Publikumsliebling – und das ist doch ein beinahe literatur-demokratisches Kunststück – war aber zweifellos der Chor. Mit dem „Ferienmörder" demonstriert Günter Eichberger, wie gut die Grazer Literatur einmal war, und gesellt sich zu Erneuerern des Sprechtheaters à la Jandl. Dessen „steirischer herbst"-Triumph „Aus der Fremde" (1979) würde heute vermutlich ebenfalls im Theater im Keller uraufgeführt werden.

Großartiger Text, feine Aufführung, unbedingt ansehen! Noch am 10., 14., 15., 16., 17., 21., 22., 23. und 24. November.

 

 

Hochbegabtes junges Theater. Junges Theater präsentierte das Grazer Schauspielhaus Graz in einer Koproduktion mit dem „steirischen herbst" auf der Studiobühne der Grazer Oper. Die Schauspieler spielten engagiert in einem Stück über Jugendwahn und Altersdemenz, dessen Inszenierung stilbewusst einen Bogen von Christoph Marthalers Singeinlagen bis zum Videoverismus eines Frank Castorf spannte. Anrührend jedenfalls der „Chor" aus „geriatrischen Laien", denen am Ende als Lösung des Altenproblems der Reihe nach buchstäblich der Hals umgedreht wird …

Junges Theater präsentierte das Grazer Schauspielhaus Graz in einer Koproduktion mit dem „steirischen herbst" auf der Studiobühne der Grazer Oper. Die Schauspieler spielten engagiert in einem Stück über Jugendwahn und Altersdemenz, dessen Inszenierung stilbewusst einen Bogen von Christoph Marthalers Singeinlagen bis zum Videoverismus eines Frank Castorf spannte. Anrührend jedenfalls der „Chor" aus „geriatrischen Laien", denen am Ende als Lösung des Altenproblems der Reihe nach buchstäblich der Hals umgedreht wird …
Autorin Gerhild Steinbuch war Mitglied der Jugendliteraturwerkstatt Graz, hat szenisches Schreiben in Graz studiert, den Retzhofer Literaturpreis und den Stückewettbewerb der Schaubühne Berlin gewonnen, dazu Workshops und Stipendien am Burgtheater, an der Summer School des Royal Court Theatre und an der Akademie Schloss Solitude. Regisseur Roger Vontobel, ebenfalls jung und hoch dekoriert, gewann 2006 den Eysoldt-Preis und wurde vom Branchenorgan „Theater heute" zum Nachwuchsregisseur gewählt, außerdem kann er auf Inszenierungen an den ersten Häusern von Hamburg über München bis Salzburg verweisen. Die beiden Hochbegabungen werden den Theaterbetrieb vermutlich die nächsten 30 Jahre prägen. Wie weit sie auf ihrem Weg bisher gekommen sind, lässt sich noch am 11. und 12. November sehen. Für alle, die weder Tod noch Alter fürchten.

 

 

„Zur schönen Aussicht". Soweit der Rezensent – gut abgeschirmt vom Bühnengeschehen durch eine kannelierte, elfenbeinweiße Säule im ersten Rang – ausmachen konnte, bot Claudia Bauers Horvath-Inszenierung gutes, dichtes, beinahe zu dichtes Theater. Die bittere Komödie versammelt im heruntergekommenen Hotel „Zur schönen Aussicht" eine Handvoll Verlierer: den Hotelier bzw. Pleitier Strasser (Sebastian Reiß), seinen Kellner (Markus Schneider), Karl (Gerhard Liebmann), den Chauffeur der leicht nymphomanen Baronin Ada (Steffi Krautz). Die Baronin lässt als einziger zahlender Gast alle anderen nach ihrer Lust und Pfeife tanzen. Später tauchen noch der Vertreter Müller (Daniel Doujenis) und der haltlose Bruder Adas, Emanuel Freiherr von Stetten (Ernst Prassel), auf. Irgendein Krieg hat alle mit Rohheit erfüllt und bis auf Schuhsohlenhöhe erniedrigt. Baron Emanuel muss sogar seine Pisse trinken, damit die Schwester seine Spielschulden begleicht. Nur ein ausgestopfter Bär ist ein aufrechter Ruhepol im Wirbel gegenseitiger Demütigungen, die diese schäbige Halle durchfegen. In dieses Untergangshotel kommt Christine (Jaschka Lämmert) mit ihrem Kind, das ihr der Hotelier Strasser letzte Saison gemacht hat.

Soweit der Rezensent – gut abgeschirmt vom Bühnengeschehen durch eine kannelierte, elfenbeinweiße Säule im ersten Rang – ausmachen konnte, bot Horvath-Inszenierung gutes, dichtes, beinahe zu dichtes Theater. Die bittere Komödie versammelt im heruntergekommenen Hotel „Zur schönen Aussicht" eine Handvoll Verlierer: den Hotelier bzw. Pleitier Strasser (), seinen Kellner (), Karl (), den Chauffeur der leicht nymphomanen Baronin Ada (). Die Baronin lässt als einziger zahlender Gast alle anderen nach ihrer Lust und Pfeife tanzen. Später tauchen noch der Vertreter Müller () und der haltlose Bruder Adas, Emanuel Freiherr von Stetten (), auf. Irgendein Krieg hat alle mit Rohheit erfüllt und bis auf Schuhsohlenhöhe erniedrigt. Baron Emanuel muss sogar seine Pisse trinken, damit die Schwester seine Spielschulden begleicht. Nur ein ausgestopfter Bär ist ein aufrechter Ruhepol im Wirbel gegenseitiger Demütigungen, die diese schäbige Halle durchfegen. In dieses Untergangshotel kommt Christine () mit ihrem Kind, das ihr der Hotelier Strasser letzte Saison gemacht hat.
In einer womöglich noch menschenverachtenderen zweiten Runde tun sich alle Männer gegen Christine zusammen. Sie soll als Hure aller und damit alle Männer als mögliche Väter denunziert werden, um Strasser zu entlasten. Und als Unterhaltungsprogramm werden in dieser prätelevisionären Welt Christinas Liebesbriefe an Strasser verlesen. Man weiß nicht, ist Christines Liebe größer oder der kleinbürgerliche Kitsch, mit dem sie diese Liebe ausdrückt. Aber dann soll Christine auf einmal Geld geerbt haben, viel Geld, und alle reißen sich plötzlich um die Vaterschaft. Die ernüchterte Christine geht allerdings allein fort, und die zwischenzeitig abgehalfterte Baronin nimmt die Fäden wieder in die Hand …

„Zur schönen Aussicht" endet fatalerweise niemals. Claudia Bauer inszeniert die düstere Komödie als bodenlos grimmiges Märchen dicht und unter starker Einbeziehung der funktionellen und atmosphärischen Bühne (Bühne und Kostüme Hendrik Scheel): Falltüren, urplötzlich einbrechendes Parkett, ein niederkrachender Turm aus Stühlen, Vorhangbahnen, die zu Boden gerissen werden, Blitz und Donner, die das Haus umtosen, ohne dass es jemals heller würde.

Die Schauspieler bespielen diese Bühne mit geradezu artistischer Körperlichkeit, keiner schont sich, alle, alle sind wirklich gut. Aber der stille Bär stiehlt ihnen im Getümmel allmählich die Show. Daran ändert nicht einmal die intensive Jaschka Lämmert etwas, wenn sie am Ende als Märchenfee – klar, sie hat den Zaster – im riesigen, sternenübersäten Himmel schwebt. Einmal geben Sebastian Reiß und Daniel Doujenis einen absichtslosen Stepptanz – mehr solche „Leerstellen", mehr Distanz zum eigenen Theater-Furor, und „Zur schönen Aussicht" hätte den Blick auf eine große Aufführung geboten. So war es nur die bisher beste dieser Saison und man freut sich auf die nächste Arbeit von Claudia Bauer.

Starker Tobak, ziemlich empfehlenswert. Noch am 14. November und am 1. und 28. Dezember.

 

W.H.

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