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Nichts als die Wahrheit
Archiv - Kolumne
Dienstag, 14. März 2006
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Würde er noch leben, er würde sich vermutlich gar nicht mehr einkriegen. So bleibt einem nur der Griff zu seinen Büchern, um vor Lachen nach Luft schnappend festzustellen, dass diesem Land der Röntgenblick des großen Grantlers fehlt. Kurz: Thomas Bernhard rotiert im Grab. Von Werner Schandor.
Während sich im Februar ganz Österreich dank der Erfolge und Verfolger UNSERER Olympioniken heiß-kalt abwechselnd im Siegestaumel und im Dopingtremor befand, während dazwischen der Fasching von Villach bis Wien quotenträchtig tobte, und sich Bundes- und Vizekanzler, Regierung und Opposition (und das BZÖ in Personalunion von beidem) bemüßigten, möglichst überall vor Ort und Kamera adabei zu sein, hielt hierzulande, wie es sich für eine Kulturstadt gebührt, ein letzter Haufen Verwegener sowie ein paar Politiker der niedrigeren Chargen den schönen Künsten die Treue, um im Literaturhaus dem heimischen Doyen Alfred Kolleritsch zum 75. Geburtstag zu gratulieren. (Den ersten Satz können Sie sich unterstreichen. Er wird vermutlich der längste Satz sein und bleiben, den sie anno 2006 in einem steirischen Medium zu lesen bekommen werden.)

Literaturgranden feiern Geburtstag. Das halbe Literaturlehrbuch, Abteilung zeitgenössische Autoren, hatte sich Mitte Februar im Keller des Grazer Literaturhauses versammelt, um seinem „Fredy" die Aufwartung zu machen: Barbara Frischmuth und Josef Winkler waren da, Gert Jonke und Friederike Mayröcker, Über-Autor Peter Handke und Hoffnungsträgerin Gerhild Steinbuch schwebten durch die Räume, und sogar Willi Hengstler war eigens aus Judendorf-Straßengel angereist, um seinem literarischen Entdecker und Förderer subaltern – und wie immer eine Spur subversiv – seinen untertänigsten Dank auszusprechen.
Fast 20 Autorinnen und Autoren, mehrere Schauspieler und Musiker waren vom Literaturhaus animiert worden, Alfred Kolleritsch, diesem Poetus doctus et laureatus et dies festus ein künstlerisches Sträußchen darzubieten. Die Zeremonie dauerte über drei Stunden. In dieser Zeit wurden die einfachen Festgästinnen und -gäste immer durstiger und hungriger, und das Büffet im Eck des Literaturhausveranstaltungssaales mauserte sich zum Objekt aller Begierden, übertroffen höchstens vom Wunsch nach frischer Luft, die einem im Literaturhaus bei gut besuchten Veranstaltungen – dank ausgeklügelter architektonischer Planung – regelmäßig weg bleibt.

„Nichts ist widerlicher als eine sogenannte Dichterlesung", musste ich an Thomas Bernhard denken, der heuer ebenfalls 75 geworden wäre, der aber vermutlich kaum bei einer Geburtstagslesung angetreten wäre, denn: „[…] mir ist kaum etwas verhaßter, aber alle diese Leute finden nichts dabei, überall ihren Mist vorzulesen", lässt der große Grantler seine Figur Reger in „Alte Meister" über Dichterlesungen sagen. Als ich das Buch Anfang Februar wieder las, lag ich vor Lachen stellenweise auf dem Boden. Dabei ist es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, die bei Bernhard das Nervensystem reizt. Sigrid Löffler dachte eher nicht an Thomas Bernhard, als sie im Literaturhaus in der letzten Reihe saß und mit stoischem Gesicht den Kolleritsch-Gratulanten lauschte. Einen Tag davor war die Herausgeberin der „Literaturen" als „Leserin des Monats" im Literaturhaus aufgetreten, nun wohnte sie, von den anwesenden Autoren unbehelligt, dem nostalgisch gestimmten Literatenauflauf bei. Ich ließ mir die Gelegenheit nicht entgehen, der Herausgeber-Kollegin ein Heft der „schreibkraft" in die Hand zu drücken und sie in ein kurzes Gespräch zu verwickeln. Ob sie das österreichische Feuilleton noch verfolge, fragte ich. „Welches Feuilleton?", wunderte sich Sigrid Löffler, die in ihrem früheren Leben Redakteurin beim „profil" war.

„Welche österreichische Zeitung hat noch ein Feuilleton, das diese Bezeichnung auch verdient?", fragte sie. „Ich habe mir heute zum Beispiel die ‚Kleine Zeitung’ durchgeblättert und fand es furchtbar, was da unter Kultur läuft", so Frau Löffler sinngemäß. „Da können Sie ein ganzes Jahr danach suchen, Sie werden keinen geistvollen Satz in irgendeinem dieser Scheißblätter finden." – Den letzten Satz sprach natürlich nicht Frau Löffler, sondern den sagte Bernhards Kultur- und Geistesmensch Reger in den „Alten Meistern", der sich Mitte der 1980er-Jahre angesichts der österreichischen Medienlandschaft nur mehr mit einem Fäkalausdruck helfen konnte. Seither ist es, wie wir wissen, mit den Medien nur noch schlimmer geworden. Bernhard würde rotieren.

Sphärenmusik in der Leichenhalle. In Ob Thomas Bernhard im Grab seine Ruhe hat?! – Ich fürchte nicht. „In unserer Zeit ist die totale Musik ausgebrochen", räsoniert Reger, „überall zwischen Nordpol und Südpol müssen Sie hören, ob in der Stadt oder auf dem Land, auf dem Meer oder in der Wüste, so Reger", schreibt Bernhard, der im Himmel nun vermutlich von der Sphärenmusik belästigt wird.
Sie kennen sicher diesen mit sanftem Flöten- oder Synthesizergesülze garnierten sphärischen Klangteppich, der überall dort ausgebreitet wird, wo man besonders harmonisch und besonders entspannt gestimmt werden soll, zum Beispiel in Ruheräumen von Saunalandschaften. In der Stadt Fürstenfeld, die sich unlängst den Beinamen „Thermenhauptstadt" verpasst hat, wird diese Art Musik sogar in der städtischen Aufbahrungshalle vor, bei und nach Begräbnissen gespielt. Man starrt auf einen Sarg, und im Hintergrund breitet sich dieses Klanggeschlabber aus, zu dem normalerweise in Bademäntel gehüllte Leute links und rechts von einem wegschnarchen.

Zwei Mal musste ich in den letzten Monaten in der Fürstenfelder Aufbahrungshalle Abschied von lieben Menschen nehmen. Seither kann ich Thermen-Saunen nicht mehr besuchen, ohne dabei an die Toten zu denken. Thomas Bernhard rotiert gewiss im Grab.

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