„New Professionals“: Vernetzung hilft gegen die Marktmacht der Auftraggeber |
Mittwoch, 10. Oktober 2007 |
Im Rahmen der Science Talks der Neuen Galerie sprach der italienische postoperaistische Soziologe Sergio Bologna über die neuen Formen selbstständiger Arbeit - und die Versuche, den davon Betroffenen eine gewerkschaftliche Stimme zu verleihen.
Vorweg: Bologna weiß nicht nur aus theoretischen Zusammenhängen, wovon er spricht. Seine Universitätskarriere hat er nämlich schon vor Jahrzehnten beenden müssen, als die Mitglieder der „Autonomia Operaia“ wegen angeblicher Nähe zu den Brigate Rosse verhaftet wurden; Bologna hatte Glück, er ging nur seines Uni-Jobs verlustig. Er machte aus der Not eine Tugend, wurde selbstständig und ist inzwischen gefragter Berater und Konsulent im Logistik- und Transportbereich. Und kommentiert diesen „Karriereknick“ ironisch: „Als Selbstständiger bin ich viel erfolgreicher als ich als Unidozent war – damals habe ich ja hauptsächlich Agitation betrieben, heute verdiene ich gutes Geld mit meiner Arbeit.“ Und wenn ihm auch die Distanz zu seinen früheren politischen Anschauungen anzumerken ist: Das damals erworbene Analyseinstrumentarium setzt Bologna nach wie vor fruchtbar ein.
Ein postfordistisches Phänomen. Die aktuelle selbstständige Arbeit, jene der „zweiten Generation“, so Bologna, unterscheide sich grundlegend von ihrem früh- und vorkapitalistischen Äquivalent und dessen Überbleibseln. Während diese Sektoren – etwa kleine Bauern oder der Kleinhandel – immer mehr schrumpften, wachse die Zahl der neuen Selbstständigen im Dienstleistungssektor und in den so genannten „neuen Berufen“ im IT-Bereich weiter an. Der ökonomische Hintergrund für die Entstehung dieses neuen Sektors liege in der Fragmentierung der Arbeit im Postfordismus, wodurch immer mehr Bereiche aus Kostengründen ausgelagert wurden.
Das Ein-Personen-Unternehmen und die „Ich-AG“ sind ideologische Konstruktionen. Die zentralen Unterschiede gegenüber der klassischen Lohnarbeit lägen, so Bologna, in der undefinierten, unreglementierten Arbeitszeit, in der Tatsache, dass Selbstständige mehr arbeiteten als Lohnabhängige, in der Notwendigkeit zur Selbstausbildung, in der Flexibilität beim Übergang von einem Berufsfeld ins nächste und schließlich in erhöhten Mobilitätsanforderungen. Noch weniger habe aber die Selbstständigkeit etwas mit Unternehmertum zu tun: „Ein Unternehmer beschäftigt Lohnarbeiter, es gibt Manager im Unternehmen und in der Regel auch Investoren – und innerhalb des Betriebes arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen zusammen.“ Die Bezeichnungen „EPU“ oder „Ich-AG“ seien daher ideologische Konstruktionen, die den Selbstständigen vorgaukelten, sie seien UnternehmerDarum sei es auch skurril, wenn etwa die Arbeitsmarktverwaltung in ihren Beratungen die Erstellung von „Business-Plänen“ für die kleinen Selbstständigen fördere: „Business-Pläne sind typische Methoden der Führung eines Unternehmens, die mit der ökonomischen Realität der Selbstständigen nichts zu tun haben.“ Letztendlich handele es sich bei der neuen Selbstständigkeit um eine Form der Prekarisierung. Auch von den klassischen selbstständigen Berufen wie ÄrztInnen oder RechtsanwältInnen unterscheiden sich die neuen Selbstständigen: Denn im Gegensatz zu jenen verfügten sie nicht über effiziente Interessensvertretungen.
Nur Vernetzung hilft. Und damit kommt Bologna zum Hauptthema seines Vortrags: Dem Problem, dass die „new professionals“ keine gemeinsame Stimme haben, die sie gegen die Fährnisse des Marktes erheben können – und gegen die Tatsache, dass ihre Auftraggeber im Fall von Konflikten immer am längeren Ast sitzen. Denn die Gewerkschaften verträten nur die LohnarbeiterInnen und RentnerInnen – schon 52% der Mitglieder der größten italienischen Gewerkschaft, der CGIL, seien Rentner. Im besten Fall bemühten sie sich um die Scheinselbstständigen wie freie DienstnehmerInnen und versuchten ihnen die Rechte von Lohnabhängigen zu verschaffen. Bologna versuchte selbst in Mailand eine stärkere Vernetzung der neuen Selbstständigen zu erreichen – aber erst sind gerade mal 1000 der insgesamt 80.000 „new professionals“ in der norditalienischen Industriestadt organisiert. Aber dennoch gäbe es Hoffnung, wie internationale Beispiele zeigten, betont Bologna: So gebe es etwa in New York eine „Freelancer’s Union“ mit 40.000 Mitgliedern. Ihre Hauptthemen seien die gleichen, die auch in Europa die kleinen Selbstständigen beschäftigen: „Renten- und Steuerfragen, die Krankenversicherung – und die Frage, was man macht, wenn der Auftraggeber nicht zahlt“ – denn letztere Fälle häuften sich. Vernetzung sei die einzige Möglichkeit für die neuen Selbstständigen, auch sei in manchen Fällen der Zusammenschluss zu einem wirklichen Unternehmen sinnvoll. Letztendlich komme man ja nicht darum herum, dass die neue Selbstständigkeit vielen als das kleinere Übel gegenüber der Lohnarbeit erscheine, die immer unattraktiver werde, weil die Reallöhne stagnierten. Bologna abschließend: „Wir müssen in Analogie zur historischen Arbeiterbewegung Lebens- und Aktionsformen finden, die uns helfen, bessere Arbeitsbedingungen und ein besseres Einkommen für uns selbst zu schaffen.“
Christian Stenner
» 1 Kommentar
1"link zu bologna-artikel" am Donnerstag, 1. Januar 1970 00:33
guter artikel von bologna zum thmea: http://www.jungle-world.com/seiten/2007/42/10823.php
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