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WoWagners Gartenlaube fortschrittlichen Schrifttums
Dienstag, 11. September 2007
Müßiggänger und Rebellen

Logbuch / Sommer 2007 / das Schiff schwankt / noch immer fern der Heimat / an ein paar Sommerlöchern vorbeigetappt / in einen Festplattencrash verwickelt / entnervt, aber fast unbeschädigt daraus hervorgegangen / Anfälle krankhafter Arbeitswut durch die Lektüre von Hodgkinsons „Anleitung zum Müßiggang“ unter Kontrolle gebracht / in ruhigere Gewässer geraten.

Die kürzlich erschienene wohlfeile Taschenbuchausgabe der „Anleitung“ passt gut zum Herbst, d. h. in die Vorweihnachtszeit mit all der hektischen Betriebsamkeit, die damit einherzugehen pflegt. Hodgkinson lotet in diesem unterhaltsamen und subversiven Buch das Phänomen  „Herum-
hängen“ und verwandte Zustände aus. Zum Beispiel: „Bummeln ist ein direkter Akt der Auflehnung gegen die trockenen Lebensphilosophien, die uns auf der Schule und bei der Arbeit eingebläut werden, der Gedanke: Leiden jetzt, Vergnügen später. Nun, diese Art zu denken ist jedem Müßiggänger ein Gräuel ... Er glaubt, dass das Aufschieben des Vergnügens einer stabilen Zukunft zuliebe ein bourgeoises Märchen ist. Daher beschließt er den Tag zu genießen und reißt aus.“ (S. 60) – JIPPIE!

Wir begegnen in dem Buch einer ganzen Reihe von sympathischen Weisen und Rebellen, wie z. B. Walt Whitman, G. Chesterton, Louis Stevenson, Oscar Wilde und Paul Lafargue, dessen „Recht auf Faulheit“ die erste sozialistische Schrift war, die mir – man möge mir verzeihen – beim Lesen Spaß gemacht hat. Natürlich kommen auch weniger bekannte Tagediebe zu Wort. Darüber hinaus wird eine ganze Reihe von Techniken des Müßiggangs vorgestellt, wie z. B. so lange wie möglich im Bett bleiben, flanieren, das Mittagessen möglichst über den Nachmittag hin ausdehnen, krankfeiern, Sex ohne Leistungsdruck, rauchen und – last but not least – den Kater nach durchzechter Nacht genießen. Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, dass diese Art zu leben viele Feinde hat und eine Riesenmaschinerie hauptsächlich dafür da ist, von ihr abzulenken oder sie zu behindern. „Hunger und Gott sind im Konsumzeitalter durch Besitz und Status ersetzt worden. Die Werbeindustrie will uns glauben machen, dass das Leben durch den Kauf von Waren verbessert wird. Zum Kauf einer Ware ist Geld nötig. Geld erfordert harte Arbeit. Oder Schulden. Wir machen Schulden, um unsere Wünsche zu erfüllen, und dann arbeiten wir in einem fort, um unsere Schulden zu bezahlen.“ (S. 42)

Eine Binsenweisheit, klar, aber nett zu lesen. Hodgkinson neigt selbstverständlich zum Simplifizieren. Beispiel: „Den Leuten wurde ihre Unabhängigkeit genommen, um dem erhabenen Traum eines gesellschaftlich aufstrebenden Fabriksbesitzers dienlich zu sein, der an harte Arbeit glaubte – die anderer Leute.“ (S. 34) Erfreulicherweise hinterlässt das Buch beim müßigen Leser, der nicht zu sehr in der Workoholic/Burnout-Spirale verfangen ist, das beruhigende Gefühl, einer globalen Aufstandsbewegung ohne politisches Programm anzugehören und mit jeder verbummelten Stunde der Maschinerie die lange Nase zu zeigen.
Tom Hodgkinson, geboren 1968, hat englische Literatur studiert und unter anderem in einem Skateboardladen gearbeitet. Nach der Entlassung durch eine bekannte Boulevardzeitung hat er von Sozialhilfe gelebt und die Zeitschrift „The Idler“ gegründet. Seither gilt er in den englischen Medien als Experte für alles, was mit Müßiggang zu tun hat. Er lebt mit seiner Familie in Devon, England (Quelle: www.perlentaucher.de/autoren/17010.html). Aktueller Titel: „Die Kunst, frei zu sein“.


Tom Hodgkinson, Anleitung zum Müßiggang (Heyne), Paperback 9,20 Euro.
Empfehlenswert ist auch die sehr schöne 2001-Ausgabe um 21,50 Euro.




Mag. Wolfgang Wagner, Jg. 1963, Germanist, Autor, Aktivist und Sozialpädagoge führt seit Juli 2006 den Buchladen „Wendepunkt“ in der Josefigasse 1, 8010 Graz, Tel/Fax 0316/ 76 52 44, WoWagner@gmx.at

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