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Kontaktbögen – Das fotografische Werk von Einar Schleef
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ImageEinar Schleef, so kommt es mir vor, fasst in seinen Fotos etwas, bei dem ihm das Davor und das Danach genauso wichtig ist wie der festegehaltene Moment selber. Er ist ja Regisseur geworden, und selbst in seinen Regiearbeiten hat er immer den Moment an-gesagt und gleichzeitig Räume dahinter geöffnet, nein: freigemacht, die ihm genauso wichtig waren wie das Detail des Augenblicks auf der Bühne. Und nichts verschweigt er", schreibt Elfriede Jelinek zu Einar Schleefs Fotografien im Begleitband zur Ausstellung Kontaktbögen, die derzeit in der Camera Austria zu sehen ist.

Das Konzept für die Ausstellung entwarf Einar Schleef (1944-2001) im Jahr 1999, als er mit der Editierung seiner Tagebücher zugange war, deren erste beide Bände 1953-1963 und 1964-1976 bei Suhrkamp erschienen sind. So folgt die Schau der Chronologie des Lebenslaufes, abgefasst in thematische Kapitel. „Ich arbeite immer in Serien, da es mir wichtig ist, bestimmte Situationen in ihrer Entwicklung festzuhalten", merkte Schleef zum Kapitel Die Nachbarn an, das in den Jahren 1964 bis 1976 entstand, als er in einem Mietshaus in Ostberlin wohnte. Weitere Stationen sind etwa mit Zuhause 1970 – Sangerhausen Geburtsort der Mutter unterschrieben (auch Einar Schleef wurde 1944 in Sangerhausen im Harz geboren), Heimkehr 1990 – Sangerhausen, Berlin 1965-1976 oder Der Baum 1978-1994. Auch der Titel Kontaktbögen stammt von Schleef, und folgerichtig besteht der Großteil der Ausstellung aus Kontaktbögen, die auch Ausgangsmaterial für die literarische Arbeit wie dem zweibändigen Prosawerk Gertrud (1980 und 1984), einem fiktiven Monumentalmonolog seiner Mutter, oder die Tagebücher werden sollten. Über einen Zeitraum von sechzehn Jahren fotografierte er einen Baum aus einem Fenster seiner Wohnung in Westberlin; die Auseinandersetzung mit dem Baum führte weiter in literarische Arbeiten wie im Auszug von Droge Faust Parsifal, 1997: „Das ist der Baum draußen. Viele Jahre war er mein Gegenüber, in jedem Jahr ein Stück weiter gestorben, ein Stück weiter zersägt, ein Stück mehr gestützt, ein Eisenreifen, noch einer, ein Ast ab, der nächste, der nächste im vorigen und vorvorigen Winter und davor. Heute ist er umgelegt. 2 Monate stand er geborsten. Jetzt ist nichts mehr übrig, ein großes Loch Himmel." Und wieder erzählt Schleef die Geschichte des Baumes in einem auf Video festgehaltenen Gespräch mit Alexander Kluge in der Reihe Alexander Kluge, Facts & Fakes, Fernseh-Nachschriften, ebenfalls in der Camera Austria zu sehen.
Mit Kontaktbögen wird ein spezifischer, autobiografischer Teil der Fotografien aus dem immens vielschichtigen Werk Einar Schleefs beleuchtet. Das gesamte Œuvre aus Literatur, Theater, Fotografie und Film, die Tagebücher, Manuskripte, Entwürfe, Zeichnungen und Malerei wurde bald nach seinem Tod am 21. Juli 2001 von der Akademie der Künste Berlin übernommen. Insgesamt handelt es sich um gut 50 Regalmeter Schriftgut und ungefähr 4400 Zeichnungen für Theaterarbeiten, die für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die archivarische Erschließung des Nachlasses wird derzeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Am Donnerstag den 21. Juni, um 19.00 Uhr, kommentiert Hans-Ulrich Müller-Schwefe – Wegbegleiter, Co-Autor und langjähriger Lektor Einar Schleefs beim Suhrkamp Verlag – die fotografischen Arbeiten in ihrem Zusammenhang mit dem Gesamtwerk des Künstlers. Lesungen aus den Tagebüchern bilden den Rahmen dieser Veranstaltung in einer Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Graz.
Im Verlag der Akademie der Künste Berlin erschien zur Ausstellung die Publikation Einar Schleef. Kontaktbögen, herausgegeben von Harald Müller und Wolfgang Behrens (ISBN 3-944344-58-5).
Einar Schleef, Kontaktbögen, in der Camera Austria, Kunsthaus Graz, ist bis zum 24. Juni zu sehen. Informationen unter www.camera-austria.at
Wenzel Mraček

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