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ROBIN HUT: Briefe aus Absurdistan
Archiv - Politik
Image19. Brief: März 2007

Hallo, alter Freund!
Ich hoffe, du wartest schon hart auf Neuigkeiten aus unserer kleinen Welt, die sich – zumindest da waren wir uns ja immer einig – doch so viel schneller dreht, als die deine. Wo immer noch eine Hungersnot die andere jagt und ein Bürgerkrieg den nächsten. Allerdings bin ich zurzeit selber leicht verwirrt, muss ich gestehen.

Zuerst begann am heutigen Sonntag alles wie immer: Die helle Stimme meiner Holden reißt mich aus dem Schlaf, die grelle Frühjahrssonne lässt aber nicht zu, dass ich auch die Augen öffne. Dementsprechend taumle ich mit geschlossenen Augen zur Wohnungstür, erledige mit zusammengebissenen Zähnen meine Morgengymnastik, indem ich die Zeitungen von der Fußmatte fische und lasse mich erleichtert in meinen Sessel am Esstisch fallen. (Die Kaffeemaschine war diesen Sonntagmorgen ganz nett zu mir und äußerte keinerlei Bedürfnisse wie Wassser oder Bohnen nachfüllen, die Details der morgendlichen Toilette erspare ich dir).
Ich sitze also endlich wieder und widme mich den Zeitungen: Die Murufer endlich in das Leben unserer kleinen Stadt einzubeziehen ist eine ganz vehemente Forderung, die es sogar auf die Titelseite geschafft hat. Jaja, wäre schon schön, so wie bei den slowenischen Nachbarn direkt am Ufer des Flusses sonnenbeschirmt seinen Espresso zu schlürfen oder zu späterer Stunde auch das eine oder andere alkoholische Getränk.
Beim Durchblättern stoße ich auf andere wichtige Vorhaben, die unser Land voranbringen mögen: Das Ennstal gehört endlich mit einer zeitgemäßen Straße erschlossen, die zuständige Landesrätin verspricht weitere Trassenführungsvarianten prüfen zu lassen. Die alte Ghega-Bahntrasse über den Semmering muss endlich durch einen Tunnel ersetzt werden, ohne diese Erschließung geraten wir wirtschaftlich ins Abseits, der steirische Landeshauptmann droht der Bundesregierung im fernen Wien ein Durchreiseverbot an, wenn sie das nicht endlich einsieht.
Heftig gerungen wird natürlich auch um die Staatsausgaben. Während die einen meinen, dass man nicht so viel Geld für Pensionen, Sozialwesen, Bildung oder öffentliche Gesundheitsversorgung ausgeben dürfe, wären die anderen doch eher dafür. Auch dem Klimawandel widmen die Medien ausreichend Platz und da sind sich offensichtlich auch die politischen Parteien einig: Es muss endlich was geschehen, bevor was g’schicht. Nur wo man genau ansetzen soll, da fehlt noch die Inspiration. Bei der Industrie geht’s nicht, das kostet Arbeitsplätze und beim Schwerverkehr auch nicht, weil das schädigt auch die Wirtschaft. Andererseits sehen die Wähler wieder nicht ein, warum sie allein beim Pkw -Verkehr und dem Hausbrand drankommen sollen – aber wird schon noch werden.
Ganz hinten kurz vor dem Fernsehprogramm steht noch was über eine ORF-Reform, damit der Gebührenfunk endlich gegenüber dem Privatfernsehen konkurrenzfähig wird. Dann raffe ich mich auf und schlurfe ins Bad. Wo es mich beim Blick in den Spiegel beinahe auf meine vier Buchstaben setzt: Ich leide an einer schweren Krankheit, bin über Nacht um 15 oder gar 20 Jahre gealtert. Gerade lese ich noch die latest News der späten achtziger Jahre und jetzt schaut mich aus dem Spiegel ein Gesicht an, das ich erst irgendwann im neuen Jahrtausend haben dürfte. So will ich bitte nie aussehen!
Du brauchst jetzt gar nicht zu lachen beim Lesen dieser Zeilen: Ich kann dir versichern, es ist ein ganz schöner Schock draufzukommen, dass einem irgendwo 15 bis 20 Jahre verloren gegangen sind. Ob das unsere Politiker auch so empfinden?

Fragt sich
dein Robin Hut


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