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Die Geschichte des Beistrichs |
Archiv - Kultur | |
Mittwoch, 14. Februar 2007 | |
Ernst Marianne Binder geboren 1953 in Mostar, Steinmetz, Fensterputzer, Zeitungsausträger, Kellner, Olivenbauer, Autor, Musiker, Regisseur, seit 1987 Leitung des forum stadtpark theater / dramagraz
Die Geschichte des Beistrichs ist meine Geschichte. Es ist die Geschichte über mich als Herumkommandierter, als unhörbarer unausgesprochener Teil von Sprache. Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich will mich nicht beklagen. Ich habe gar keinen Grund zur Klage. Ich neige zwar dazu, mein Schicksal zu beklagen, aber das tue ich nur, um mich ein wenig wichtiger zu machen, als ich bin. Mit meinem Geplärre gehe ich allen ganz schön auf die Nerven. Da krieg ich endlich den Platz zugeordnet, der mir zusteht. Da schaut die ganze Welt auf mich. Aber wenn ich dann aufhöre zu schreien, ist es wieder still. Alle Blicke ruhen auf mir als ungeliebtes Anhängsel der Syntax. Inzwischen schreie ich nur mehr selten. Mein Unglück behalte ich lieber für mich. Es ist ein grenzenloses Unglück. Eines, das nicht zu reparieren ist. Es ist praktisch ein durchgeritten und -gesessen Moped. Eins, wo ich draufsitze wie ein Affe auf einem Schleifstein. Und der Schleifstein radiert mir den Hintern wund. Ich werde so sehr von mir entfernt sein, dass ich gar nicht mehr weiß, wozu ich auf der Welt. Sie werden links und rechts von mir. Ich werde hochschauen und nichts sehen. Nichts. Nicht Vati Mutti noch das A, das ist mir eh bis jetzt am Blödesten vorgekommen. Weil es das „h" verweigert hat. Den Himmel. Wie sollte man den Himmel sehn, wenn das „A" kein „h" hat. Wein (Ja, das was mit Tränen zu tun hat!). Immer werde ich dazwischengeschaltet. Immer, wenn es klemmt, wenn das eine und das andere nicht zusammengehören sollen, dann werde ich hineingetippt. Dabei bin ich eigentlich ein Vermittler. Einer voller Unschuld. Einer, der nichts weiß von der Welt, als das, was er da zwischen den Buchstaben-Erwachsenen hindurch gegen oben erblickt. Ein Stückerl Himmel. Hin und wieder. Aber auch der nicht immer blau. Ein fallendes gelbrotes Herbstblatt, das zwischen einem b und einem d mir auf die Nasenspitze fällt. Ich will gar nicht davon erzählen, was später mit mir passiert ist. Das würde dann so aussehen, als ob ich als das, was ich geworden, eine Folge dessen wäre, was ich erlebt. Ich bin immer noch, als was ich in die Syntax geworfen. Ein Beistrich, also ein Sprung im Eis. Ein Blick, der nie gemalt. Ich bin auch blöderweise nie an vorderster Front gestanden. Ich habe alles immer nur aus dem Hinterhalt beobachtet. Und mich im Schützengraben versteckt. Mir die Ohren zugehalten, wenn es krachte. Und es krachte oft. Zu oft für meinen Geschmack. Ich hab mir auch nicht ausgesucht, was ich bin. Ich wurde in die Welt hinausgeschissen. In diese Toilette, die deutsche Sprache heißt. Keine besonders schöne Toilette. Für mich als Beistrich schon gar nicht. Weil da setzt man sich drauf und weiß ganz genau, links und rechts ist die Welt und bei mir beginnt sozusagen der Abgrund. Da schaut man zwar drüber, aber in Wirklichkeit drückt sie von innen. Zerdrückt einen, als ob die Offenbarung des Johannes bereits in Erfüllung gegangen wäre. Sie wissen, was die Offenbarung des Johannes ist? Dass sie eine Trostschrift ist. Also dass sie mir, dem Beistrich gewidmet ist? Bevor ich auf die Welt gekommen bin, hat es mich nicht gegeben. Oft hab ich das Gefühl, wenn ich nicht wäre, wäre die Welt befriedet. Dann würde niemand mehr sich in die Luft sprengen. Dann würde niemand mehr sterben. "I’m digging a grave in the moonlight … there’ll be no compromise again ..." Singt grade Micah P. Hinson. Naja. Lieber ein kleiner Kompromiss als ein poetischer Tod. Ich halt’s da lieber mit Georges Brassens: „Aucune idée sur terre n’est digne d’un trepas" – „Keine Idee auf Erden ist einen Toten wert". Also ich hab‘s mal gedanklich ausprobiert. Mit einer Ziege. Als kleiner gebogener Strich war ich steif und gefüllt, als ob ich eine Blutkonserve inhaliert. Nein, hab ich nicht. Ich bin oft steif in der Früh, wassersteif. Wie man es nennt. So ein kleines Dingsda halt. Und dann diese satte Offenbarung der Ziege. Diese Sakristei. Sie wollte mich spüren. Sie ist in die Knie. Der Stall roch nach Heu und nach Leben. Die Pfütze, in die ich trat, war keine Regenpfütze, sondern Urin. Die Kügelchen am Boden hatte sie herausgeschissen. Staubtrocken. Nur die im gelben Wasser schwollen an. Da, wo die Welt Anfang und Ende hab ich sie genommen. Der Mond war still und hatte einen Hof. Sie war auch still. Davor, dabei und danach. Beide waren wir still und lauschten in die Nacht. Sie hatte ihr Gesäß hochgeklappt und stand da. Stille. Stille. Stille. Als ob die Gewissheit protestieren wollte. Sie schaute mich nicht an. Sie schaute zwischen den Stallbalken gen Himmel. Der war hell und schwarz und wollte nichts zu tun haben mit uns. „Marika", flüsterte ich, und sie wendete ihren Kopf. Und ich wusste, nie wieder im Leben würde mir ein Lebewesen so nah, obwohl mich das Schicksal schon wieder wo dazwischen geschoben hatte. Ich wusste, dass in dem Moment, wo ich jemandem zu nahe kommen würde, er sich von mir verabschieden würde. Diese Nähe ist nur möglich, wenn es davor eine Leere gibt. Aber diese Leere verunmöglicht die Liebe. Über diesen Abstand kann man nicht rüber. Obwohl er die Nähe ermöglicht. Das, was die Liebe ermöglichen würde, schließt er aus. Verhängnisvoll und ausweglos. Da muss dann ich als Vogelscheuche herhalten. Wenn ich jetzt nicht mehr weiter weiß, dann hat das damit zu tun, dass ich noch nie weiter wusste. Dass ich immer da gestanden bin vor einem neuen Tag wie vor einem neuen ICH: dass der Himmel immer über mir: dass ich den Kopf nie heben wollte: dass ich nie Ausschau halten wollte: dass mein Blick immer gen unten dort, wo die Steine der Sand das Meer: da wo ich hingefallen am Boden gelegen, der Speichel mir aus dem Mund, Kopf seitwärts, die Buchstaben links und rechts. Da will man nur noch weg: da will man nicht bleiben. Ich hatte mich verloren. Ich war nur noch Nichts. Aber um ehrlich zu sein, ich wollte auch gar nicht mehr sein als Nichts. Ich hatte keine Lust mehr, ein Beistrich zu sein. Meine Geschichte ist nämlich die Geschichte eines Eingesperrtseins. Aber auch eine Geschichte des Überlebenwollens. Wissen Sie eigentlich, wie kalt es in Russland ist im Winter? Wie viel Wodka man braucht, um diese Kälte auszuhalten? Man muss so lange weinen, bis die Tränen versiegen. Bis das Blut in den Adern stockt, muss man es pissen. Wir sind nicht geboren um uns mit uns abzufinden. Wir müssen uns gegen uns wehren. Als ich klein war, dachte ich, das würde sich geben. Da stand ich stolz zwischen t und t. Da war ich mir sicher, auch einmal so groß zu werden. Aber ein Beistrich wird nicht groß. Ein Beistrich wird als Beistrich enden. Beistrich und dann FUMP. Der Sarg fällt in die Grube. Als Grabschmuck kriegt er zwei Gänsefüßchen. Die stehen dann auf dem Grab als ob. Graz, Januar 2006 © beim Autor
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