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Richard Sennett: Der Triumph der Oberflächlichkeit
Archiv - Kultur
Mittwoch, 13. Dezember 2006
ImageWoWagners Gartenlaube fortschrittlichen Schrifttums

Nach „Respekt im Alter der Ungleichheit" und „Der flexible Mensch" liegt nun Richard Sennetts dritte bedeutende Studie zu den gesellschaftlichen Umbrüchen der letzten Jahrzehnte als Taschenbuch vor: „Die Kultur des neuen Kapitalismus". Sennett beschreibt Veränderungen – um nicht zu sagen Zerfallserscheinungen – welche die meisten von uns direkt betreffen. Die Macht und der Reichtum allerdings bleiben unangetastet.

Die vorliegende Studie ist das Ergebnis von zahlreichen Interviews, die zusammengefasst und mit bestehenden theoretischen Ansätzen (u.a. von Max Weber, Foucault und Marx) in Beziehung gesetzt werden. Darüber hinaus versucht Sennett ein Schlaglicht auf zukünftige positive Entwicklungen zu werfen. In Sennets eindringlicher Schreibweise ergänzen sich Sensibilität und nüchterne Analyse. In dem schmalen Buch findet sich eine Vielzahl an Formulierungen, die sich als Anregungen und Mottos für ganze Essays eignen, z.B.: „Die Ungleichheit ist zur Achillesferse der modernen Ökonomie geworden." (S. 46), oder: „Wie soziale Distanz in der Praxis funktioniert, lässt sich gut an der Beratertätigkeit studieren. Berater sind ein wesentlicher Bestandteil moderner bürokratischer Macht. Sie schmieren die Maschine ... In der Praxis übernehmen sie die unangenehme Aufgabe, die Tätigkeiten an der Peripherie der Organisation umzustrukturieren." Was das bedeutet, ist klar: „Mitarbeiter werden freigesetzt."(Vgl. S. 47) Der „soziale Kapitalismus" hat das soziale Element eingebüßt. Eine handwerkliche Einstellung, also etwas „um seiner selbst gut machen" zu wollen, wird von Seiten des flexiblen Kapitals als „festgefahrene" Haltung aufgefasst. Trotzdem ist genau dieses Element zentral. „Da die Menschen nur dann sicheren Halt in ihrem Leben finden können, wenn sie versuchen etwas seiner selbst willen gut zu tun, erscheint mir der Triumph der Oberflächlichkeit in Arbeit, Schule und Politik sehr zweifelhaft." (S. 164) Der letzte Satz des Buches soll wegen seiner Schönheit hier noch Platz finden: „Und vielleicht wird die Revolte gegen diese entkräftete Kultur die nächste Seite der Geschichte sein, die wir aufschlagen."(S. 165)

Richard Sennett: Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berliner Taschenbuch Verlag 2007. 9,20 Euro
Richard Sennett (geb. 1943) lehrt Soziologie und Geschichte in New York und London und hat eine Reihe kulturhistorischer Bücher verfasst.
Mag. Wolfgang Wagner, Jg. 1963, Germanist, Autor, Aktivist und Sozialpädagoge führt seit Juli 2006 den Buchladen „Wendepunkt" in der Josefigasse 1, 8010 Graz, Tel/Fax 0316/76 52 44, WoWagner@gmx.at
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