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ROBIN HUT: Briefe aus Absurdistan |
Archiv - Politik | |
Mittwoch, 8. November 2006 | |
15. Brief: November 2006
Hallo, alter Freund! Jetzt solltest du dir wirklich überlegen, ob du nicht deiner alten Heimat, unserem lieben kleinen Absurdistan einen Besuch abstatten willst. Um den Preis eines Flugtickets aus deinem Exil bekommst du gratis noch ein Ticket für eine soziale Zeitreise dazu! Denn noch ist zwar die Demokratie nicht wieder abgeschafft in unserem Land, aber die Vertreter der oberen Zehntausend – und als nichts Anderes wollte sich ja die ÖVP mit ihrem orangen Beiwagerl in den letzten Jahren offensichtlich profilieren – gehen schon wieder so damit um, wie noch ganz kurz nach deren Einführung. „Das größte Entgegenkommen sei es, mit den Vertretern der (traditionellen Arbeitnehmerpartei) SPÖ überhaupt Verhandlungen auf zu nehmen", ließ Ex-Mascherl-Träger und wohl bald Ex-Bundeskanzler Schüssel die staunende Öffentlichkeit wissen, nachdem er die Nationalratswahl rauschend verloren hatte. Zu seiner völligen Überraschung übrigens, was ja auch schon ein Hinweis auf die Geisteshaltung ist: Belastungen noch und nöcher für alle Durchschnitts- und Unterdurchschnittsverdiener unter dem Titel „den Gürtel enger schnallen", in Wahrheit aber um die laufenden Steuererleichterungen für Großkonzerne und deren abnehmende Beteiligung am Sozialsystem zu finanzieren. Wie kann es sein, dass diese Politik keine Mehrheit findet? „Ja dürfen sie denn das?" soll der alte Franz Josef gefragt haben, als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts sich das Volk gegen soziale Missstände erhob, die Schüssel-ÖVP geht da einen Schritt weiter: Es kann einfach nicht sein, was nicht sein darf. Also mussten die SPÖ-Politiker sich einmal dafür entschuldigen, dass sie erstmals einen Wahlkampf ähnlich hart geführt hatten wie die ÖVP alle letzten Jahre. Als sie sich dann aber auch noch erdreisteten gar den geheimnisumwitterten Eurofighter-Deal und das Verhalten der Bankenaufsicht bei der BAWAG-Affäre und anderen Banken-Ungereimtheiten zum Ziel parlamentarischer Aufklärung zu machen, da war’s dann wirklich aus mit der Geduld. „Blöd fragen auch noch, oder wie?" Da wählen wir lieber noch einmal und wenn’s sein muss so lange, bis den anderen Parteien das Geld ausgeht. Weil darauf wird man sich wohl noch verlassen können, dass man als Wirtschaftsvertreterpartei mehr Geld in der Kasse hat, wenn’s drauf ankommt. Ein erstes politisches Opfer in diesem Klassenkampf um die Bundesregierung ist leider auch schon in der Steiermark zu beklagen: So lange die ÖVP – Gott und damit Kleine Zeitung gewollt, natürlich – an der Macht war, hielt sie sich den Hermann Schützenhöfer als soziales Feigenblatt. Auch wenn ihn die eigenen Parteikollegen immer belächelt haben für seine Forderung nach einem lebenswerten Mindestlohn etwa, immerhin, er konnte sich selbst treu bleiben. Jetzt aber ist’s auch damit vorbei, brav macht der Hermann seiner Bundespartei die Mauer. Aber er wird’s verschmerzen, immerhin darf er dafür LH Stv. und Parteichef sein und schließlich müssen sich ja auch genug andere Arbeitnehmer täglich selbst verleugnen, wenn sie in die Arbeit gehen, so gesehen, bleibt er ihnen ja doch treu. Schade ist nur, dass dich wahrscheinlich auch dieser Bericht nicht zu einem Besuch zu Hause verführen kann: Schließlich geht’s bei dir in der dritten Welt ja ohnehin so zu. Nur da wissen wir, warum es Entwicklungsländer sind: Weil die herrschenden Klassen alle anderen klein halten: Über Schulgeld und Studiengebühren den Zugang zur Bildung verwehren, ein ernsthafter Krankheitsfall sofort das ganze Familienvermögen kostet und auf Grund eines fehlenden Sozialsystems ohnehin alle nur von der Hand in den Mund leben können. Außer den oberen Zehntausend halt. Liebe Grüße Dein Robin Hut
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