12 / 2000
  Nulldefizit entmystifiziert

„Mythos Nulldefizit – Alternativen zum Sparkurs” war der Titel einer Podiumsdiskussion, die KORSO gemeinsam mit dem Café Palaver (einer Initiative des Frauenservice Graz), dem BEIGEWUM und der Studienrichtungsvertertung Volkswirtschaft am 20. November in Graz veranstaltete. Im Folgenden bringen wir einige Highlights aus den Statements der TeilnehmerInnen.
Eine Mitschrift der gesamten Veranstaltung finden Sie hier am KORSO-InfoServer!

Markus Koza (Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen, Co-Autor der Broschüre „Mythos Nulldefizit”): „Das Pensionssystem wird völlig krank geredet und als nicht mehr finanzierbar dargestellt. Es findet eine extreme Entsolidarisierung zwischen Alt und Jung statt, und was wird als Lösung vorgeschlagen? Die Lösung ist angeblich, dass die Pensionsbeiträge öffentlich nicht mehr erhöht werden dürfen, dass dafür aber von den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft verlangt wird, dass sie eine private Pensionsvorsorge eingehen. Diese private Vorsorge beläuft sich auf ca. 13.000 bis 20.000 Schilling jährlich. Die Frage, warum jemand, der diese Summe privat aufbringen kann und soll, diese nicht ins öffentliche Pensionssystem einspeisen soll, wird schon nicht mehr gestellt; in Wirklichkeit geht’s einfach um einen Paradigmenwechsel. [...] Die Auswirkungen von derartigen großen, aufgeblasenen Pensionsfonds kennen wir aus den USA: Diese Unmengen an Geld gehen dann auf den Finanz- und Kapitalmärkten auf Jagd nach höchsten Renditen; der Druck der Finanzmärkte wird direkt an die Arbeitnehmer weitergegeben, das heißt, der/die ArbeitnehmerIn versichert sich privat und ist dann, damit die Pensionsvorsorge künftighin gewährleistet ist, gezwungen, mehr Druck am Arbeitsplatz hinzunehmen bis dorthin, dass er oder sie wegrationalisiert wird.” (das ganze Referat hier)
 

Von links nach rechts: Dr. Gerhard Wohlfahrt, Dr. Margareta Kreimer, Markus Koza

Univ.-Ass. Dr. Gerhard Wohlfahrt (Institut für Volkswirtschaft, Uni Graz): „Wäre das Nulldefizit wirklich eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit – was ich bestreite –, dann müssten wir darüber diskutieren, wie es erreicht werden kann: ausgabenseitig oder einnahmenseitig. Eine solche Diskussion gibt es aber nicht wirklich. Immer dann, wenn man eine Transferleistung abschaffen will, wird behauptet, dies sei zur Erreichung des Nulldefizites nötig, statt dass darüber debattiert wird, ob vielleicht eine Besteuerung in einem anderen Bereich sinnvoller sei. Das deutet schon darauf hin, dass es sich hier um einen Vorwand handelt. [...] Wie misst man als Ökonom eigentlich Staatsschulden? Welche Belastung stellen die 1700 Milliarden Schilling Schulden eigentlich wirklich dar? Wenn man sie in Bezug zur Leistung der Volkswirtschaft pro Jahr setzt, dann liegen die Konvergenzkriterien bei 60%, Österreich mit 63-64% knapp darüber; in Belgien ist die Staatsschuld bezogen auf’s BIP doppelt so hoch – darüber wird bei uns nicht diskutiert. Da fehlt aber noch ein zweiter Aspekt, den jede Bank bei Haushalten oder Betrieben abfragt, bevor sie einen Kredit gewährt: Nämlich der Besitz. Den Schulden ist ja auch der Besitz gegenüberzustellen, aber in Österreich ist das Staatsvermögen – die ganze Infrstaruktur – nach wie vor unbewertet. Ein Staat, der viel an Aktiva hat, muss, kann und soll logischerweise mehr Schulden haben als ein Staat, der alles privat organisieren ließ.” (das ganze Referat hier)

Univ.-Ass. Dr. Margareta Kreimer (Institut für Volkswirtschaft, Uni Graz): „Bei der Suche nach Sparpotenzialen ist die Regierung auch darauf gekommen, Überschüsse aus der Arbeitslosenversicherung ins Budget umzuleiten. Der Vorschlag – der jetzt offenbar doch nicht realisiert wird, aber jederzeit ein Revival erleben kann –, das Arbeitslosengeld nicht nur bei Selbstkündigung, sondern auch bei einvernehmlicher Kündigung und befristeten Verträgen zu sperren, ist besonders problematisch, weil er einen echten Strukturbruch darstellt.  Mit der Arbeitslosenversicherung versichere ich mich ja gegen das von mir nicht beeinflussbare Risiko derArbeitslosigkeit. Könnte man bei einvernehmlicher Kündigung noch von einer gewissen Beinflussbarkeit sperren, so ist diese bei befristeten Verträgen sicherlich nicht gegeben, die ja hauptsächlich zur Spitzenabdeckung im Handel oder bei Karenzvertretungen vergeben werden, also hauptsächlich Frauen treffen. Hier bedeutet eine Sperre des Arbeitslosengeldes einfach eine Aushebelung des Versicherungssystems, das Arbeitslosengeld wird damit in eine Art Sozialhilfe umgewandelt, die nur mehr von Bedürftigen bezogen werden kann.” (das ganze Referat hier)

Uni. Prof. Dr. Richard Sturn (das ganze Referat hier)

 

 
DEZEMBER-AUSGABE WIRTSCHAFT UND ARBEIT